Die unerwünschte Generation

Von Bernd Musch-Borowska |
Für Sextouristen, die es auf Kinder abgesehen haben, sind die Philippinen ein begehrtes Reiseziel. Dort, wo seit den 80er-Jahren hunderttausende Frauen ihr Geld in der Sexwirtschaft verdienen, ist eine Generation unerwünschter Kinder herangewachsen, die oft ihrerseits zur Prostitution gezwungen werden.
Die 23-jährige Joeanne aus Batangas auf der philippinischen Insel Luzon hat ein knapp ein Jahr altes Mädchen, das seinem koreanischen Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Gesehen hat die Kleine ihren Vater noch nie und wahrscheinlich wird sie ihn auch nie sehen. Denn der war nur kurz auf den Philippinen, um sich zu amüsieren, unter anderem mit Joeanne.

"Einer meiner Kunden war ein Koreaner. Einen ganzen Monat lang habe ich jede Nacht mit ihm verbracht. Dann ist er nach Hause zurück gegangen und ich war schwanger. Aber ich habe nicht mal seine Telefonnummer oder seine Adresse, um Kontakt mit ihm aufzunehmen."

Unter Tränen erzählt Joeanne, dass sie als Tänzerin in einer der Bars in Angeles, rund eine Autostunde nördlich von Manila, gearbeitet hat. Ihr Chef habe von ihr verlangt, dass sie mit den Kunden auch ins Hotel geht. Nachdem sie schwanger geworden war, stieg sie aus dem Gewerbe aus und wohnt nun in einem Haus der Renew-Foundation, gleich neben dem Rotlicht-Viertel von Angeles.
Die gemeinnützige Stiftung hilft jungen Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution.

Joeanne sei kein Einzelfall, sagt Loida Patindol, die Sozialarbeiterin der Renew-Foundation, die zusammen mit ihren Kolleginnen die jungen Mütter betreut.

"Das ist ein Riesen-Problem für die Mädchen. Vor allem finanziell und das in doppelter Hinsicht. Von den Vätern bekommen sie keine Alimente, um die Kinder versorgen zu können. Und angesichts der Lebensumstände, in denen sie sich befinden und bei dem Job, den sie machen sind dann auch die Kinder stark benachteiligt. Meist reicht das Geld nicht mal fürs Essen, geschweige denn für eine Ausbildung und der Teufelskreis setzt sich fort."

In Angeles gibt es das größte Rotlicht-Viertel der Philippinen. Rund 15.000 junge Frauen sind hier offiziell als sogenannte Tänzerinnen in den zahlreichen Bars registriert, schätzungsweise noch mal so viele arbeiten in Bordellen und auf der Straße.

Die Kunden sind hier meist Ausländer. Sogenannte Sex-Touristen aus aller Welt, die mit den Billig-Fluggesellschaften am nahe gelegenen Clark-Airport ankommen, der auf dem früheren Stützpunkt der US-Airforce eingerichtet wurde. Nachdem die Amerikaner Anfang der 90er-Jahre die einst größte Airbase außerhalb der USA auflösten, kam die Prostitution in Angeles vorübergehend fast völlig zum Stillstand. Doch mit dem Internet und den billigen Fluggesellschaften kamen die Freier zurück.

"Wie heißt Du? Hast Du eine Freundin? Bist Du verheiratet oder noch zu haben?"

Die meisten jungen Frauen in den Bars von Angeles seien auf der Suche nach einem ausländischen Ehemann, der sie aus dem Elend des Gewerbes rettet, meint Sonita Arienzano, die Programm-Leiterin der Renew-Foundation

"In vielen Fällen kommen die ausländischen Männer für eine Weile nach Angeles und nehmen sich die Mädchen als Freundin für diese Zeit. Manchmal heiraten sie sie sogar, aber das sind in der Regel keine echten und dauerhaften Ehen. Wenn sie genug von ihnen haben, lassen die Männer die Frauen einfach sitzen. Auch wenn sie schwanger sind oder schon Kinder haben. Die Mädchen fallen immer wieder darauf herein, denn sie träumen alle von einem ausländischen Ehemann."'"

Joeanne ist wie viele andere junge Filipinas von dem Besitzer der Bar, in der sie als Tänzerin arbeitete, zur Prostitution gezwungen worden. Den Mädchen, die sich weigerten, mit den Männern aufs Hotel zu gehen, werde einfach auch das Tänzerinnen-Gehalt vorenthalten. Dem finanziellen Druck könnten die meisten nicht standhalten.

""Von Abends sechs Uhr bis Nachts um drei dauert eine Schicht. Eine Tänzerin bekommt 100 Pesos, umgerechnet knapp drei Euro. Für eine Nacht im Hotel zahlt der Kunde 1.500 Pesos, davon bekommt der Barbesitzer 1.000 und wir Mädchen 500. Den meisten Mädchen reicht das Geld, das sie mit dem Tanzen verdienen, aber die Barbesitzer behalten dann einfach das Gehalt der Tänzerinnen ein. Und dann gehen die meisten doch mit den Männern mit."

Kondome zum Schutz vor Krankheiten oder zur Verhütung einer Schwangerschaft werden kaum benutzt. Die Tänzerinnen in den Bars tragen Gesundheits-Ausweise der Behörde an ihrem knappen Bikini. Doch bei den Gesundheits-Checks wird nicht mal ein HIV-Test gemacht. Die Freier fühlen sich angesichts der fragwürdigen Zertifikate so sicher, dass die meisten keine Kondome verwenden wollen.

Viele der Mädchen würden von den Zuhältern mit Drogen gefügig gemacht, sagt Joeanne.

"Die Mädchen bekommen irgendwelche Tabletten oder Marihuana. In vielen Fällen wird das den Mädchen hinter deren Rücken in Getränke gemischt und dann wissen sie nicht mehr, was sie tun und gehen mit den Freiern mit, obwohl sie das eigentlich gar nicht wollten."

Abtreibungen sind auf den Philippinen verboten. Den Frauen, die ein ungewolltes Kind von einem ausländischen Kunden nicht austragen wollen, bleibt nur der Weg zu einem der zahlreichen Kurpfuscher, die in Hinterzimmern des Rotlicht-Viertels ihre Dienste anbieten. Aileen Diaz arbeitet als Prostituierte in Angeles und hat einen elf Jahre alten Sohn von einem Briten. Als sie gesehen habe, wie eine solche Abtreibung durchgeführt werde, habe sie vor Angst Reißaus genommen.

"Als ich mit meinem Sohn schwanger war, wollte ich abtreiben lassen. Aber ich hatte solche Angst. Außerdem habe ich erkannt, dass das Kind doch gar nichts dafür kann. Meine Freundinnen haben gesagt, ich soll das Kind lieber loswerden, aber ich dachte mir, es ist doch unschuldig."

Die auf den Philippinen sehr mächtige katholische Kirche spricht sich weiterhin gegen die Verwendung von Kondomen aus, obwohl selbst der Papst im vergangenen Jahr die zuvor starre Haltung der Kirche in dieser Frage gelockert hat. Das Rotlichtviertel von Angeles liegt im Pfarrbezirk von Father Sonny Pahed. Viele der Mädchen aus den Bars kommen zu ihm in den Gottesdienst.

"Die heilige katholische Kirche der Philippinen ist sehr strikt beim Thema Kondome, vor allem wegen des umstrittenen Familienplanungsgesetzes der Regierung. Deshalb müssen wir nach jeder Messe ein Gebet gegen die Regierung, die Nichtregierungsorganisationen und die Medien sprechen, die sich gegen das Leben und für Verhütungsmittel aussprechen. Denn dieses sogenannte Familienplanungsgesetz dient nicht wirklich der Familienplanung. Vielmehr ruiniert es die Grundwerte der Familie und des philippinischen Volkes."

Im Oktober vergangenen Jahres hatte sich die neue Regierung unter Präsident Aquino mit der mächtigen katholischen Kirche in dem Land angelegt und damit begonnen, kostenlos Verhütungsmittel zu verteilen, insbesondere an arme Familien.
Der philippinische Kongressabgeordnete Edcel Lagmann, der das umstrittene Familienplanungsgesetz unterstützt hatte, begrüßte die Kehrtwende des Vatikan:

"Das ist eine sehr willkommene Entwicklung. Eine Abkehr von dem totalen Kondom-Verbot der Kirche eröffnet neue Möglichkeiten für einen liberaleren Umgang mit dem Gebrauch von Verhütungsmitteln."

Mehr als 80 Prozent der rund 90 Millionen Staatsbürger der Philippinen bekennen sich zur katholischen Kirche. Ungewollte Schwangerschaften treiben viele Frauen in die Illegalität und in Lebensgefahr. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Center for Reproductive Rights nehmen mehr als eine halbe Million Frauen auf den Philippinen jedes Jahr eine illegale Abtreibung vor. Schwangerschaftsabbrüche sind in dem mehrheitlich katholischen Land ausnahmslos verboten. 1000 Frauen sterben jedes Jahr infolge unfachmännisch vorgenommener Schwangerschaftsabbrüche. Die Gegner des philippinischen Familienplanungsgesetzes sagten, die Äußerungen des Papstes seien aus dem Zusammenhang gerissen. Der Universitätsprofessor Paul Dinoy:

"Man darf jetzt nicht einfach annehmen, dass auch verheiratete Paare Kondome verwenden dürfen. Ehepaare haben sich dem Leben verpflichtet und haben eine heilige Pflicht, nicht in die Entstehung des Lebens einzugreifen. Sex ist direkt verbunden mit dem höchsten Gut des Lebens und das sind Kinder."

Durch den Sex-Tourismus wächst auf den Philippinen eine unerwünschte Generation heran. Kinder, denen man ansieht, welchem Gewerbe ihre Mütter nachgehen. Die Zahl unerwünschter Schwangerschaften steige, sagt der Gründer der Renew-Foundation, Paolo Fuller

"Vor drei bis vier Jahren haben wir beobachtet, dass es immer mehr Kinder des Sex-Tourismus gibt. Und wir reagieren auf dieses Phänomen auf verschiedene Weisen. Zum einen helfen wir den Müttern mit dem psychologischen Problem fertig zu werden. Ein Kind zu haben von einem fremden Mann und dieses Kind in dem Umfeld groß zu ziehen, ist sehr schwierig. Zum anderen versuchen wir, den Frauen zu helfen, die Väter ausfindig zu machen. Und in einigen Fällen schaffen wir es sogar Alimente einzutreiben."

Während die meisten Sex-Touristen glauben, dass sie in der Anonymität des Rotlicht-Viertels von Angeles ihren Trieben freien Lauf lassen können, ohne Verantwortung für die Folgen übernehmen zu müssen, gibt es nach der bestehenden Gesetzeslage durchaus Möglichkeiten, den Vater eines Kindes zur Zahlung von Alimenten zu zwingen. Die meisten kehrten immer wieder nach Angeles zurück, sagt Paolo Fuller. Und dann könnten sie gefasst werden.

"Wenn der Mann auf die Philippinen zurückkommt, kann er wegen Kindesvernachlässigung angezeigt werden. Wir haben da sehr strenge Gesetze. Einmal gelang es uns, einen Briten mit einer Klage vor Gericht zu konfrontieren, als er wieder nach Angeles kam. Der war ganz schön geschockt. Er zitterte am ganzen Leib und fragte sich immer wieder, wie das passieren konnte. Diese Männer denken, sie können hier machen, was sie wollen. Die Frage ist natürlich, was passiert, wenn die Männer wieder nach Hause zurückkehren und dann aufhören zu zahlen? Ich sage ihnen immer, dass wir Möglichkeiten haben, ihren Reisepass für die Philippinen sperren zu lassen. Und das hat Auswirkungen auf ihre Bewegungsmöglichkeiten. Denn ein solcher Eintrag auf der schwarzen Liste wird weltweit registriert."

Die Renew-Foundation hilft den jungen Mädchen aus dem Rotlicht-Viertel nicht nur dabei, im Falle eines Falles den Vater ihres Kindes zu finden. Spezielle Ausbildungs- und Umschulungsprogramme sollen den jungen Prostituierten helfen, aus dem Milieu heraus zu kommen und eine neue Existenz aufzubauen, sagt der Gründer der Renew-Foundation, Paolo Fuller.
"Hier in Angeles gibt es die spezielle Wirtschaftszone Clark auf der früheren US-Luftwaffenbasis. Dort gibt es alle möglichen Unternehmen, Call-Center, Touristik-Unternehmen, 5-Sterne-Hotels, Golfplätze. Wir versuchen Jobs für die Mädchen in diesen Unternehmen zu finden und bilden sie gezielt dafür aus. Wenn man einfach die Bars über Nacht schließen würde, würde der Rotlicht-Bezirk einfach woanders wieder entstehen."

Ohne eine geeignete Ausbildung und eine neue Berufsperspektive gehen viele Mädchen nach einiger Zeit wieder in die Bars zurück. Viele finanzierten mit ihrer Arbeit Eltern und Geschwister zuhause, sagt Sonita Arienzano, die Programm-Leiterin der Renew-Foundation

"Die Familien zuhause wissen oft gar nicht, auf welche Weise die Mädchen ihr Geld verdienen. Andernfalls würden sie von ihren Angehörigen ausgestoßen. In einigen Fällen finanzieren die Mädchen aber ihre Angehörigen in ihrem Heimatdorf und dann wird das akzeptiert. Ein Ausstieg aus der Prostitution wird so aber zu einem noch größeren Problem. Wo soll ich denn sonst Geld herbekommen, fragen die Mädchen."

Paolo Fuller, der Gründer der Renew-Foundation sieht Bildung und Arbeit als die Hauptprobleme für die Prostitution in Angeles. Dabei sei die Schulbildung der meisten gar nicht so schlecht. Da es aber kaum qualifizierte Arbeitsplätze gebe, müssten sogar diejenigen mit gutem Bildungsabschluss geringfügige Arbeiten annehmen. Für junge Frauen und Männer ohne Schulabschluss bleibe dann kaum noch etwas übrig.

"Man kann nur etwas bewegen, wenn man die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert. Der Hauptgrund für die jungen Mädchen in die Prostitution zu gehen, ist die Perspektivlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Sogar die Kassiererinnen bei McDonalds haben mindestens einen mittleren College-Abschluss. Wer dann nicht mal einen normalen High-School-Abschluss hat, dem bleibt nichts anderes übrig, als in den Bars zu arbeiten."

Die meisten jungen Mütter aus dem Geschäft mit dem billigen Sex sind mit ihren Problemen auf sich alleine gestellt. Geächtet von der Gesellschaft und ausgestoßen von ihren Familien. Mit einem fremdartig aussehenden Kind und ohne den dazu gehörenden Vater brauchen sie gar nicht nach Hause in die Provinz zurückkommen.