Digitale Tagelöhner

Hinter der hippen Fassade von Foodora und Co.

Eine Fahrerin von Foodora steht in Berlin im Bezirk Mitte an ihrem Fahrrad.
Je größer das Unternehmen wird, desto schlechter werden die Arbeitsbedingungen, sagen Fahrer. © picture alliance / Wolfram Steinberg
Von Mathias von Lieben |
Lieferdienste wie Foodora oder Deliveroo boomen. Doch vom Wachstum profitieren die Fahrerinnen und Fahrer kaum. Sie fordern deshalb mehr Lohn, ein besseres Schichtsystem und höhere Pauschalen für Reparaturen an den Fahrrädern.
Sie sind überall in Berlin: Die pinken Fahrradkuriere des Lieferdienstes Foodora und der Start-Up-Konkurrenz. Sie schwirren durch die Berliner Kieze und liefern Essen aus. Aus dem Stadtbild sind sie mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Besonders beliebt sind diese Kurierjobs bei jungen, arbeitssuchenden Menschen – nicht nur wegen der Flexibilität, mit der die Start-Ups werben. Fahrradkuriere sind klimaneutral unterwegs, sie treiben Sport und verdienen nebenbei auch noch Geld. Das zieht. Aber passen die wirtschaftlichen Interessen eines Unternehmens mit einem solch flexiblen Arbeitsmodell langfristig zusammen – oder lauern irgendwann Probleme?

Kein Geld für die Fahrradreparatur

Berlin-Friedrichshain. Nieselregen. Sarah steht vor einem Café und mustert ihr Fahrrad. Die lila Farbe des Rahmens ist abgesplittert, die Kette rostet. Stabil sieht das Ganze nicht aus.
"Man merkt ihm durchaus an, dass es mittlerweile zwei Winter hinter sich hat und eigentlich müssten viele Sachen grunderneuert werden. Aber dafür hab ich absolut nicht das Geld."
In einem Winter mit frostigen Temperaturen: schlecht – besonders, weil das Fahrrad für Sarah das Fundament ihrer Arbeit ist. Um ihr Studium zu finanzieren, hat sie zwei Jobs. Einer davon: Foodora-Riderin. Für das Berliner Unternehmen liefert sie Essen aus. Eine Reparatur ihres Fahrrads würde sie rund 100 Euro kosten. Die Verschleißpauschale, die ihr Arbeitgeber dafür seit kurzem seinen Angestellten zahlt, reiche dafür nicht aus.

Fünf Cent Verschleißpauschale pro Kilometer

"Naja ist halt nur fünf Cent pro Kilometer und ist nach einem Monat verfallend. Das heißt, ich müsste da eigentlich was ansparen, um alles reparieren zu können. Aber man kann das ja gar nicht ansparen, weil es ja einfach verfällt. Und ich müsste dann eine Zeitlang auf mein Fahrrad verzichten. In der Zeit, wo ich mein Fahrrad nicht habe, kann ich nicht arbeiten und kein Geld verdienen. Ich versuche jetzt so lange zu fahren, bis es mir um die Ohren fällt."
Bei weitem nicht Sarahs einziger Vorwurf an ihren Arbeitgeber. Die Liste ist lang und Sarah nicht die einzige, die sie formuliert. Mit einigen anderen Fahrerinnen und Fahrern engagiert sie sich daher seit März in der kleinen Basisgewerkschaft FAU. Dort wurde die Kampagne Deliverunion gegründet. Die Interessen der Fahrer von Foodora und Konkurrent Deliveroo werden da gegenüber dem Unternehmen vertreten. Die Kernforderungen: Ein Euro Lohnerhöhung, ein flexibleres Schichtsystem und eine höhere Verschleißpauschale. Anfang November haben sie die Verhandlungen mit Foodora abgebrochen und vor kurzem zu einer Kundgebung aufgerufen. Clemens Melzer von der FAU ist Mitinitiator der Deliverunion und erklärt warum:
"Alle unsere Vorschläge wurden ignoriert. Foodora hat während der Verhandlungen hinter unserem Rücken Verschlechterungen eingeführt. Das betrifft die Arbeitszeitenregelung, es ist schwieriger für die Fahrer, sich ihren Arbeitsalltag zu planen."

Foodora: Forderungen nicht erfüllbar

Berlin-Mitte. Die Zentrale des Mutterkonzerns von Foodora. Pressesprecher Vincent Pfeifer sitzt in einem kleinen Raum in der dritten Etage und winkt ab. Er kann all die Vorwürfe nicht verstehen und bewertet die Verhandlungen mit der FAU und den Fahrern ganz anders:
"Zum einen muss man sagen, dass die Gespräche mit der besagten Gruppe nicht maßgeblich dazu bestimmt waren, das Management der Fahrer in Deutschland zu bestimmen. Manche Forderungen und Wünsche waren einfach nicht realisierbar. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass wir mit den positiven Änderungen und Neurungen auch den Anforderungen und Forderungen der Fahrervertretung FAU entgegenkommen."

Eine Neuerung: Die bereits erwähnte Verschleißpauschale. Pfeifer erinnert auch daran, dass sein Unternehmen im Gegensatz zu Konkurrent Deliveroo ausschließlich feste – wenn auch befristete – Verträge vergibt – und sich auch sonst im gesetzlichen Rahmen bewegt. Alle Fahrer sind sozialversichert und mit mindestens neun Euro pro Stunde wird mehr gezahlt, als es der Mindestlohn vorgibt. Zudem sei das Schichtsystem jetzt flexibler. In der Praxis kann Fahrerin Sarah das aber nicht bestätigen:
"Wir hatten mal ne Zeit wo wir wirklich sehr flexibel arbeiten konnten, wo das Schichtsystem so geregelt war, wenn man eine Schicht 48 vorher Stunden weggeben wollte, konnte man sie einfach weggeben. Heute ist das so, dass man prinzipiell immer einen Tauschpartner für seine Schichtweitergabe angeben muss. Wenn man also niemanden findet, muss man halt fahren oder man riskiert einen No-Show, einen Strike. Und wenn man davon zu viele hat, fliegt man halt. Damit wurde uns jede Flexibilität genommen."
Eine Deliverunion-Fahraddemo in Berlin: Lieferdienst-Fahrer von Foodora und Deliveroo protestieren gegen die Arbeitsbedingungen bei den Lieferdiensten. Unter anderem fordern die Kurierer eine Übernahme der Reperaturkosten von Fahrrad und Handy, mindestens einen Euro mehr pro Stunde oder Lieferung und genügend Schichten um davon leben zu können.
Lieferdienstfahrern von Foodora und Deliveroo setzen sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen zur Wehr.© imago / Christian Mang

Nur schnelles Wachstum zählt

Vincent Pfeifer begründet diese Verschärfung mit einer notwendigen unternehmerischen Planbarkeit. Was aber streng genommen nicht ganz vereinbar ist mit der Außendarstellung des Unternehmens. Denn der Essenslieferant steht für ein ultra-flexibles Arbeitsmodell und wirbt damit auch auf seiner Homepage. Das klingt dann so:
"Kurierjobs gibt es hier sicherlich so einige, aber nur wenige bieten Dir so viel Flexibilität und Freiraum, wie als Fahrradkurier bei Foodora."
Musik in den Ohren vor allem junger, arbeitssuchender Menschen. Als das Unternehmen vor knapp drei Jahren gegründet wurde, gab es die heutigen Vorwürfe alle noch nicht. Mit seinem pinken Design und dem flexiblen Arbeitsmodell traf es den urbanen Zeitgeist und zieht bis heute viele Mitarbeiter an. Sarah ist eine Fahrerin der ersten Stunde in Berlin - lange hat sie sich wohlgefühlt. Doch da war ihr Arbeitgeber noch ein - wie sie sagt – kleines gemütliches Start-up.
"Plötzlich hat aber Foodora rasant angefangen zu wachsen und wollte sich international etablieren. Und genau das war der Knackpunkt, wo man gemerkt hat: Okay. Ich werde als Fahrer nicht mehr persönlich wertgeschätzt und auch nicht mehr richtig wahrgenommen. Ich bin nur noch eine Nummer. Jede Neuerung kam zu unseren Ungunsten raus. Und das alles nur, damit Foodora schneller wachsen kann."
Eine innovative Geschäftsidee und schnelles Wachstum – dafür stehen Start-ups. Unternehmen wie Foodora werden zur sogenannten Plattformökonomie gezählt. Das heißt, Angebot und Nachfrage nach Dienstleistungen werden über eine Internetplattform organisiert. Die Essensbestellungen werden per App direkt an die Fahrer weitergeleitet. Das Modell biete zwar flexible und kurzfristige Jobs, die aber immer prekärer würden, meint Clemens Melzer von Deliverunion.

Kleine Fortschritte

"Diese Start-ups stellen die digitale Infrastruktur zur Verfügung, aber die ganze Arbeit wird von den Leuten auf der Straße gemacht. Wir sehen gerade bei diesen Start-ups, die mit neuen und noch effektiveren Formen der Ausbeutung experimentieren, dass noch mehr Risiko ausgelagert wird."
Vincent Pfeifer widerspricht dem. Er sieht sein Unternehmen im Umgang mit den Fahrern auf einem guten Weg - auch hinsichtlich der Kommunikation.
"Dass wir wie zu Anfang unserer Zeit 2015 nicht zu zehnt in einem Basement von unserem ehemaligen Finanzgeber sitzen, ist klar. Da war das noch eine sehr familiäre Atmosphäre. Aber da sind wir natürlich immer umso glücklicher, wenn wir diese Information bekommen."
Klar, Verbesserungen gibt es im Unternehmen. Dass eine Verschleißpauschale überhaupt eingeführt wurde, wertet Deliverunion als Erfolg. Doch: Die Interessen der Fahrer werden immer andere sein, als die des Unternehmens. Was der Fall aber auf jeden Fall zeigt: Nicht alles ist immer so, wie es die hippe Start-up-Fassade nach außen hin vermuten lässt.
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