Digitaltechnologie Blockchain

Eine als Technik getarnte Ideologie

Abstraktes Muster: Gitternetz mit Würfeln
Viele Speicherorte, keine zentralen Instanz: das Prinzip der Blockchain. © imago
Von Michael Seemann |
Die Blockchain wird als neue Wundertechnologie gepriesen. Doch wer in Blockchain investiert, wettet gegen das Vertrauen in die Institutionen, sagt Kulturwissenschaftler Michael Seemann.
Um einen Service im Internet anzubieten, braucht man normalerweise eine Datenbank, in der man alle Aktionen aller Nutzer – zum Beispiel alle Nachrichten und Likes – abspeichert. Die Datenbank wird meistens von einem Unternehmen betrieben und kontrolliert.
Die Blockchain will eine Alternative zu der zentralen Datenbank sein. Statt einer Datenbank sollen alle Nutzer des Systems alle Aktionen speichern. So kann kein Einzelner mehr das System kontrollieren. Ein kompliziertes Verschlüsselungsverfahren wacht derweil darüber, dass die Einträge von niemandem manipulierbar sind.

Das Vertragswesen revolutionieren

Die digitale Währung Bitcoin ist die bekannteste, aber nicht die einzige Anwendung. Die Blockchain soll, folgt man dem Hype, das ganze Vertragswesen der bürgerlichen Gesellschaft revolutionieren.
Doch trotz des nunmehr sieben Jahre anhaltenden Versprechens, dass Blockchains die Welt verändern werden, sieht man bis heute keine einzige populäre Anwendung. Kein Blockchain-Facebook, kein Blockchain-Uber und keine Blockchain-Google hat bislang seinen Counterpart herausgefordert. Warum ist das so?
Die Antwort: Hinter Blockchain steckt mehr Ideologie als Technologie. Ideologie meint hier, dass hinter ihr eine Vorstellung steht, wie Gesellschaft funktioniert und wie sie funktionieren sollte. Eines der ältesten Probleme der Sozialwissenschaft ist die Frage, wie Vertrauen zwischen Unbekannten hergestellt werden kann. Gesellschaft funktioniert erst, wenn dieses Problem hinreichend gelöst ist. Der Lösungsansatz unserer modernen Gesellschaft sieht vor, Institutionen zu etablieren, die als vertrauensvoller Dritter Interaktionen absichern. Denken wir an Banken, das Rechtssystem, Parteien oder Medien. All diese Institutionen bündeln Vertrauen und sichern soziale Handlungen zwischen Unbekannten ab.

Der Staat soll sich nicht einmischen

Diese Institutionen erlangen allerdings durch ihre zentrale Rolle gesellschaftliche Macht, welche Anhängern einer bestimmten Denkrichtung schon immer ein Dorn im Auge war: den Libertären, oder auch Anarchokapitalisten. Sie glauben zum Beispiel, dass es keinen Staat geben solle, der sich in die Angelegenheiten der Menschen einmischt. Der Markt – als Summe aller Individuen, die miteinander handeln – solle das von sich aus regeln. Libertäre sind dementsprechend sehr kritisch gegenüber Institutionen wie Zentralbanken oder Banken und sie aus der Gleichung zu streichen ist schon der Grundgedanke hinter Bitcoin.

Gesellschaft ohne Institutionen

Hinter der Blockchain verbirgt sich der libertäre Wunsch einer Gesellschaft ohne Institutionen. Statt Vertrauen in Institutionen sollen wir Vertrauen in die Kryptografie haben. Deswegen ist Bitcoin und die Blockchaintechnologie so beliebt bei den amerikanischen Rechten, die eine lange libertäre Tradition haben und den Staat ablehnen. Deswegen kommt sie auch bei deutschen Rechten gut an, zum Beispiel bei Alice Weidel von der AfD. Die hält nun die Keynote auf einer großen deutschen Bitcoin-Konferenz und gründet ein eigenes Blockchain-Startup. Wer gegen "Lügenpresse" und "Altparteien" wettert, steht im Zweifel auch allen anderen Institutionen kritisch gegenüber.
Wenn man also in Blockchain investiert, macht man eine Wette gegen das Vertrauen in die Institutionen. Und das ist auch der Grund, warum diese Wette noch nicht ein einziges Mal gewonnen wurde.

Ohne Ideologie ist Blockchain nur eine ineffiziente Datenbank

Rein technisch kann eine Blockchain nämlich dasselbe, was jede Nullachtfuffzehn-Datenbank schon lange kann. Der einzige Vorteil ist das Fehlen einer zentralen Instanz. Doch das kostet. Statt einer Datenbank braucht es Millionen, statt eine Transaktion einmal aufzuschreiben muss sie Millionen Mal aufgeschrieben werden.
Wenn man also die libertäre Grundannahme, dass die Menschen den Institutionen misstrauen sollen, nicht teilt, dann ist die Blockchain nur die ineffizienteste Datenbank der Welt.

Michael Seemann ist Kulturwissenschaftler, Autor und mit verschiedenen Projekten im Internet aktiv. Er gründete twitkrit.de und die Twitterlesung, betreibt den populären Podcast wir.muessenreden.de.

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