Diktatoren und Doppelgänger
Ein junger, ehrgeiziger Mann ermordet den Machthaber eines kleinen südamerikanischen Landes und wird zum neuen Diktator. Etwas schmälert ihm die Lust an der Macht: Eine weiße Zauberin weissagt ihm, dass er von einer Menschenmenge auf einem Platz gelyncht wird, eines fernen Tages, aber dafür: ganz sicher.
Der junge Diktator hat bis dahin geglaubt, zu intelligent für den landestypischen Aberglauben zu sein. Aber warum, fragt er sich, warum habe ich dann die Wahrsagerin sofort erschossen? Um der unangenehmen Todesart zu entgehen, legt sich der Diktator einen Doppelgänger zu.
Daniel Pennac steigt flott ein in seine Geschichte vom Diktator und seinem Doppelgänger, und ebenso zügig erzählt er sie zu Ende. Nach sechzig Seiten ist der Held beseitigt, der Diktator Pereira ist tot, aber der Roman ist noch lange nicht vorbei. Wie vorhergesagt wird Pereira von einer wütenden Menge zerfleischt, der Anlass ist von schöner Ironie. Pereira hat seinen Doppelgänger erschossen, den vierten auf diesem Posten.
Alle Vorgänger hatten die Lust am Job des Diktatorenimitators verloren, sie haben ihrerseits Doppelgänger angeheuert. Der letzte in der Kette war nur noch eine verbogene, verkrümmte Karikatur des echten Diktators, was den so ergrimmt, dass er auf offenem Platz, inmitten einer Menschenmenge, das schlechte Imitat erschießt. Sein Pech, dass das Volk den Imitator als vermeintlich großherzigen Landesvater über alles liebte. Die Wut auf den Attentäter ist – prophezeiungsgetreu - mörderisch.
Die Geschichte von Pereira und dessen Doppelgängern ist nun aber ihrerseits wieder die Spiegelung einer anderen, berühmten Geschichte: Diktator Hynkel und der Barbier, die Doppelgänger aus Charlie Chaplins Film "Der große Diktator". In Daniel Pennacs Roman hat Chaplin die Anregung für diesen Film von Pereiras erstem Doppelgänger. Der war in die USA geflohen, geriet dort an den großen Komiker und erzählte ihm von seinem Leben als Diktatoren-Darsteller. Pennac macht daraus einen schönen Tod, der Pereira-Doppelgänger stirbt in einem Kino in Chicago, als er den "Großen Diktator" sieht, Chaplins Film, und damit seine eigene Lebensgeschichte.
Eine Geschichte erzeugt eine neue Geschichte und ruft wieder eine andere hervor. Daniel Pennacs Roman ist eine Kette von Geschichten, die sich immer weiter fortschreiben, sie sich ineinander spiegeln und einander ironisch beleuchten. Die schönste Volte kommt am Schluss. Daniel Pennac, der selbst als Erzähler im Roman auftritt, stöbert in Paris eine alte Frau auf. Sie war in ihrer Jugend Platzanweiserin in einem Kino in Chicago, sie hatte dort den toten Pereira-Doppelgänger gefunden. Sie, die erfundene Figur, begegnet nun dem echten Autor Pennac, sie liest dessen Doppelgänger-Roman, um ihm zu sagen, ob er der Wahrheit nahe genug gekommen ist.
Die Beziehung zwischen dem Autor und seinen Geschichten, die Doppelgängerschaft zwischen Leben und Phantasie, das ist das eigentliche Thema dieses Romans. An der Stelle kommt nun endlich auch die Hängematte ins Spiel. Die schaukelt in der Hitze Brasiliens, in der Gegend, in der Pennac seine fiktive Diktatur errichtet.
Der Autor in seiner Hängematte träumt, er erinnert sich an die Menschen, die Spuren hinterlassen haben in seinem Leben. Seine Träume, seine Erinnerungen geraten hinüber in den Roman, eine zweite Welt entsteht, die ihre eigene Macht gewinnt. Der Autor ist nicht mehr Herr über seine Figuren, sie schütteln ihn ab, sie treten ihm entgegen, sie stellen ihn in Frage. Noch ergeht es ihm nicht wie dem Diktator aus seiner Geschichte. Aber die Gefahr besteht.
Daniel Pennac hatte schon einmal mit dem spielerischen Nachdenken über das Schreiben großen Erfolg. Seine Romanphilosophie "Wie ein Roman" wurde in Deutschland in 42.000 Exemplaren verkauft, das hat kein anderes der Pennac-Bücher geschafft. Der frühere Lehrer Daniel Pennac hat schon zwei Autorenkarrieren hinter sich. Bekannt wurde er als Kinder- und Jugendbuchautor.
Berühmt wurde Pennac mit einer Serie von Kriminalromanen, einer Serie mit dem definitiv sympathischsten Helden der Krimigeschichte: Benjamin Malaussène. Die ersten dieser Krimis sind großartige Milieustudien, temperamentvolle, überdrehte, liebevolle Geschichten aus dem 20. Arrondissement in Paris.
Nach einigen schwächeren Büchern hat Daniel Pennac jetzt wieder zu seiner alten Form gefunden. "Der Diktator und die Hängematte" ist eine klug komponierte Geschichtenmaschine, Pennac erzählt so ironisch und aufrichtig, so unbarmherzig und menschenfreundlich wie in den besten seiner früheren Bücher.
Daniel Pennac: "Der Diktator und die Hängematte"
Roman. Übersetzt von Eveline Passet.
Verlag Kiepenheuer und Witsch, 384 Seiten, 22,90 €
Daniel Pennac steigt flott ein in seine Geschichte vom Diktator und seinem Doppelgänger, und ebenso zügig erzählt er sie zu Ende. Nach sechzig Seiten ist der Held beseitigt, der Diktator Pereira ist tot, aber der Roman ist noch lange nicht vorbei. Wie vorhergesagt wird Pereira von einer wütenden Menge zerfleischt, der Anlass ist von schöner Ironie. Pereira hat seinen Doppelgänger erschossen, den vierten auf diesem Posten.
Alle Vorgänger hatten die Lust am Job des Diktatorenimitators verloren, sie haben ihrerseits Doppelgänger angeheuert. Der letzte in der Kette war nur noch eine verbogene, verkrümmte Karikatur des echten Diktators, was den so ergrimmt, dass er auf offenem Platz, inmitten einer Menschenmenge, das schlechte Imitat erschießt. Sein Pech, dass das Volk den Imitator als vermeintlich großherzigen Landesvater über alles liebte. Die Wut auf den Attentäter ist – prophezeiungsgetreu - mörderisch.
Die Geschichte von Pereira und dessen Doppelgängern ist nun aber ihrerseits wieder die Spiegelung einer anderen, berühmten Geschichte: Diktator Hynkel und der Barbier, die Doppelgänger aus Charlie Chaplins Film "Der große Diktator". In Daniel Pennacs Roman hat Chaplin die Anregung für diesen Film von Pereiras erstem Doppelgänger. Der war in die USA geflohen, geriet dort an den großen Komiker und erzählte ihm von seinem Leben als Diktatoren-Darsteller. Pennac macht daraus einen schönen Tod, der Pereira-Doppelgänger stirbt in einem Kino in Chicago, als er den "Großen Diktator" sieht, Chaplins Film, und damit seine eigene Lebensgeschichte.
Eine Geschichte erzeugt eine neue Geschichte und ruft wieder eine andere hervor. Daniel Pennacs Roman ist eine Kette von Geschichten, die sich immer weiter fortschreiben, sie sich ineinander spiegeln und einander ironisch beleuchten. Die schönste Volte kommt am Schluss. Daniel Pennac, der selbst als Erzähler im Roman auftritt, stöbert in Paris eine alte Frau auf. Sie war in ihrer Jugend Platzanweiserin in einem Kino in Chicago, sie hatte dort den toten Pereira-Doppelgänger gefunden. Sie, die erfundene Figur, begegnet nun dem echten Autor Pennac, sie liest dessen Doppelgänger-Roman, um ihm zu sagen, ob er der Wahrheit nahe genug gekommen ist.
Die Beziehung zwischen dem Autor und seinen Geschichten, die Doppelgängerschaft zwischen Leben und Phantasie, das ist das eigentliche Thema dieses Romans. An der Stelle kommt nun endlich auch die Hängematte ins Spiel. Die schaukelt in der Hitze Brasiliens, in der Gegend, in der Pennac seine fiktive Diktatur errichtet.
Der Autor in seiner Hängematte träumt, er erinnert sich an die Menschen, die Spuren hinterlassen haben in seinem Leben. Seine Träume, seine Erinnerungen geraten hinüber in den Roman, eine zweite Welt entsteht, die ihre eigene Macht gewinnt. Der Autor ist nicht mehr Herr über seine Figuren, sie schütteln ihn ab, sie treten ihm entgegen, sie stellen ihn in Frage. Noch ergeht es ihm nicht wie dem Diktator aus seiner Geschichte. Aber die Gefahr besteht.
Daniel Pennac hatte schon einmal mit dem spielerischen Nachdenken über das Schreiben großen Erfolg. Seine Romanphilosophie "Wie ein Roman" wurde in Deutschland in 42.000 Exemplaren verkauft, das hat kein anderes der Pennac-Bücher geschafft. Der frühere Lehrer Daniel Pennac hat schon zwei Autorenkarrieren hinter sich. Bekannt wurde er als Kinder- und Jugendbuchautor.
Berühmt wurde Pennac mit einer Serie von Kriminalromanen, einer Serie mit dem definitiv sympathischsten Helden der Krimigeschichte: Benjamin Malaussène. Die ersten dieser Krimis sind großartige Milieustudien, temperamentvolle, überdrehte, liebevolle Geschichten aus dem 20. Arrondissement in Paris.
Nach einigen schwächeren Büchern hat Daniel Pennac jetzt wieder zu seiner alten Form gefunden. "Der Diktator und die Hängematte" ist eine klug komponierte Geschichtenmaschine, Pennac erzählt so ironisch und aufrichtig, so unbarmherzig und menschenfreundlich wie in den besten seiner früheren Bücher.
Daniel Pennac: "Der Diktator und die Hängematte"
Roman. Übersetzt von Eveline Passet.
Verlag Kiepenheuer und Witsch, 384 Seiten, 22,90 €