Mehr zum Radioprojekt der documenta 14 und des Deutschlandradio "Every Time A Ear di Soun", das vom 8. April bis 17. September 2017 acht Radiosender weltweit vernetzt.
"Es fühlt sich an, als wären sie im gleichen Raum"
Die gemeinnützige Organisation Ruangrupa in Jakarta hat sich seit ihrer Gründung vor 17 Jahren zu einem großen Kulturzentrum entwickelt. Dazu gehören etwa eine Galerie, ein Videofestival - und seit sechs Jahren auch ein Internetradio. Dies ist Teil des aktuellen documenta-Radioprojekts.
Es sind viele Leute, die eine Stunde lang im Studio engagiert über etwas sprechen und hin und wieder auch mal herzlich lachen. Zwischen den zehnminütigen Wortblöcken läuft Punk. Man könnte fast denken, dass von zu Hause aus gesendet wird.
"Das Studio ist auch ein Treffpunkt. Und Leute kommen da hin, um abzuhängen, zu quatschen und zu diskutieren - und daraus entstehen oft neue Ideen, oder auch mal kritische Ansätze. Die Hörer hören ihnen beim Reden zu – und es fühlt sich an, als wären sie im gleichen Raum."
Ade Darmawan gehörte 2000 zu den Gründern der Kunstplattform Ruangrupa. Von Anfang an ging es ihnen darum, in einem Kollektiv gemeinsam an Dingen zu arbeiten und sich mit anderen auszutauschen.
Denn in einer urbanen Umgebung, in der sich alles permanent ändert, weil ständig neue Menschen dazukommen, ist es wichtig Informationen zu haben. Etwa darüber, wo gerade ein neuer Pop-up Markt entstanden ist, wie man sich am besten durch die Stadt bewegt oder wo man etwas erlebt hat. Eine Sendung auf RuRu-Radio thematisiert Projekte, die sich mit dem Überleben in der Stadt beschäftigen.
Im Gespräch über Probleme im Stadtleben
"Manchmal laden wir Communities ein, die Strategien für Probleme im Stadtleben entwickelt haben. Es gibt z.B. eine Schule für Straßenkinder. Wir haben mit den Machern darüber gesprochen, wie sie lehren und über ihre Definition von Erziehung und Wissen, und wie sie es weitergeben – oder wie sie ihre Klassen organisieren. All diese Sachen sind dort ganz anders als an regulären Schulen."
Mindestens genauso wichtig wie die soziale Verankerung von RuRu-Radio in der Stadt ist die Musik. Es ist eine Mischung aus Punk, Hawaii- und Surfgitarren, Britpop, brasilianischem und indonesischem Pop. Gespielt von Leuten, denen Musik etwas bedeutet.
"Viele von uns machen selber Musik. Wir haben eine große Leidenschaft für Musik und lieben sie! Außerdem organisieren wir viele Konzerte. Wir sind richtig verknüpft mit der Musikszene. Im Mainstreamradio läuft so etwas nicht, weil es nicht populär genug ist."
Und daher haben sie bei Ruangrupa mit RuRu-Radio ein Netzradio gestartet. Einfach weil sie Lust dazu hatten - und es machen konnten. Aus genau dieser Haltung waren auch die früheren Projekte entstanden.
"Ich hatte keine Vorstellung von Fehlern. Für mich und die Freunde, die Ruangrupa starteten, ging es nur darum, wir selber zu sein. Für die jungen ist das anders, weil sie mit etwas aufgewachsen sind, das wir entwickelt haben. Es gab also plötzlich einen Standard - und damit auch eine Vorstellung von Fehlern. Das hat mich sehr überrascht."
Freundschaft statt klassischem Networking
Solch interessante Erfahrungen gibt es immer wieder. Das liegt daran, dass bei Ruangrupa mittlerweile jung und alt gemeinsam an Projekten arbeiten. Im Laufe von 17 Jahren ist aus der Idee eines kleinen Kollektivs ein großes Kulturzentrum geworden. Auf 6000 Quadratmetern finden dort neben Ausstellungen, Festivals und Konzerten auch Workshops statt. Oder Sozialwissenschaftler kommen mit Architekten und Aktivisten zusammen. Und es gibt auch Musiktheater. Ist das ein Erfolg von Networking?
"Das Wort Networking benutzen wir kaum. Vielleicht hängt das damit zusammen, wie wir innerhalb der Gesellschaft überleben – durch die Zusammenkunft, eine soziale Verbindung - und letztlich: Freundschaft. Das Wort trifft es besser im Vergleich zu Networking als etwas sehr Praktischem und Funktionalem."
Für das documenta-Programm von RuRu-Radio hat Ade Darmawan mit einem Kollegen eine Mischung zusammengestellt, die dem eigenen Publikum ungewohnte Hörerlebnisse verschaffen soll – etwa mit einer Art Crashkurs im experimentellen Hörspiel des spanischen Senders Radio Clasica. Und der Rest der Welt konnte bislang auch schon mal etwas über den indonesischen Humor erfahren.
"Wir haben ein Programm, bei dem wir einen Blockbuster Film aus den 70ern oder 80ern nehmen - und den spielen wir einfach, so dass die Leute ihn nur hören können. Eigentlich erfährt man einen Film ja durch das Sehen, aber wenn man ihn nur hört, entsteht der Film im Kopf."