Donna Haraway: "Monströse Versprechen. Die Gender- und Technologie-Essays"
Aus dem Englischen von Michael Haupt u.a.
Argument-Verlag, Hamburg 2017
320 Seiten, 27 Euro
Optimistisches Cyborg-Manifest
Eine Gemeinschaft von Menschen und Cyborgs – für Donna Haraway war das schon in den 80er-Jahren denkbar. Die gesammelten Essays der Frauenforscherin sind nun unter dem Titel "Monströse Versprechen" erschienen. Eine brillante Denkerin, findet unser Kritiker.
Verkabelt mit Smartphone, mit Headset vor dem Bildschirm, in Hörimplantat im Ohr: Wenn es eines Belegs für die prophetische Kraft von Donna Haraways "A Cyborg Manifest" von 1985 bedürfte – die Lebenswelt des 21. Jahrhunderts liefert sie täglich.
Reizvokabeln wie die von der "artefaktischen Natur", die Forderung, das "Bild des Cyborgs nicht länger als ein feindliches zu betrachten" oder Sätze wie: "Die Lust an Maschinenpotenzen hört auf Sünde zu sein" hatten der 1944 geborenen Frauenforscherin und Naturwissenschaftlerin den Vorwurf einer Apologie der Technik eingebracht.
Reizvokabeln wie die von der "artefaktischen Natur", die Forderung, das "Bild des Cyborgs nicht länger als ein feindliches zu betrachten" oder Sätze wie: "Die Lust an Maschinenpotenzen hört auf Sünde zu sein" hatten der 1944 geborenen Frauenforscherin und Naturwissenschaftlerin den Vorwurf einer Apologie der Technik eingebracht.
Die Einsicht der amerikanischen Wissenschaftlerin, "nicht länger in einer 'natürlichen' Welt leben" zu können, war jedoch nie affirmativ gemeint. Den unwiderruflichen "Zusammenbruch der sauberen Trennung zwischen Organismus und Maschine" sah Haraway nämlich stets als Aufforderung an Feministinnen, "Methoden für die Analyse und Herstellung von Technologien finden, die zu einem Leben führen, wie wir es alle wollen, ohne Herrschaft vermittels Rasse, Geschlecht und Klasse".
Artübergreifende Widerstandsfront
In ihren gesammelten Essays, die unter dem Titel "Monströse Versprechen" erscheinen, lässt sich der theoretische Werdegang einer der inspirierendsten Querdenkerinnen unserer Zeit jetzt noch einmal nachvollziehen. Von dem überschäumenden Optimismus aus der Zeit ihres Cyborg-Manifestes bis zum düsteren Ton des jüngsten Aufsatzes: "Anthoropozän, Kapitalozän, Plantagozän, Chtuluzän: Making kin" von 2015. Mit ihren "Cyborgs für irdisches Überleben" ruft sie darin zum Aufbau einer artübergreifenden Widerstandfront im "Bauch des Ungeheuers Neue Weltordnung AG" auf. Nur dann sei für "Multispezies-Assemblagen, die auch Menschen umfassen, ein Gedeihen" auf dem Planeten möglich.
Die leisen Zweifel der deutschen Feministin Frigga Haug im Geleitwort, ob es bei Haraways atemberaubenden Theoriemix mit rechten marxistischen Dingen zugeht, widerlegt sie glänzend in ihrem Aufsatz "Genfetischismus". Analog zu Marxens Analyse vom Fetischcharakter der Ware kritisiert sie die Idee darin die Idee des Gens als allmächtiges "Master-Molekül". Haraways Analyse, dass "Kommunikations- und Biotechnologien die entscheidenden Werkzeuge zum Umbau unserer Körper" seien, ist heute womöglich noch aktueller als vor 20 Jahren.
Pionierin grenzüberschreitenden Denkens
Umso dringlicher stehen Arbeiter- und Frauenbewegung vor der Aufgabe, die "theoretische Starre" zu überwinden, die Haraway schon früh auffiel: "Warum scheint der Sozialismus so mit dem 'Arbeiter' als Quelle allen Seins verheiratet zu sein und der Feminismus wie durch eine Nabelschnur mit diesem anderen mythischen produktiven Wesen Frau", fragte Haraway 1981 auf der Internationalen Sozialismus-Konferenz in Jugoslawien.
Kein Zweifel: Die Umrisse einer "feministischen, antirassistischen und multikulturellen Zukunft" lassen sich nur entwerfen, wenn Biologie, Technologie und Kultur so brillant zusammengedacht werden, wie Donna Haraway es bis heute vormacht. Eine außerordentliche Fusion, die dieser Pionierin des grenzüberschreitenden Denkens bis heute offenbar ganz ohne Datenbrille gelingt.