Ein Leben auf der Flucht
Wenn der Name Rushdie fällt, denkt man sofort an die "Satanischen Verse". Wegen dieses im Jahr 1988 erschienenen Romans verhängte der iranische Revolutionsführer Ayatollah Chomeini ein Jahr später eine Fatwa. Jetzt hat er seine Autobiografie geschrieben.
Mit dem Erschienen von Salman Rushdies Roman "Die satanischen Verse" geschah etwas im späten 20.Jahrhundert vollkommen Unerwartetes. Bei Protestdemonstrationen in Indien, der ehemaligen Heimat des Schriftstellers, kamen Menschen ums Leben und der demokratische Staat verbot Ende 1988 die Einfuhr des Buches. Am 14. Februar 1989 verbreitete Ajatollah Chomeini vom Iran aus eine Fatwa, eine Anstiftung zum Mord des Schriftstellers wegen Gotteslästerung und Abfall vom Glauben. Es folgten Bücherverbrennungen und Ausschreitungen von Muslimen in England, Anschläge auf Übersetzer und Verleger des Romans. Auch in Algerien und Ägypten starben kritische Intellektuelle, weil sie islamischen Fundamentalisten ein Dorn im Auge waren.
Salman Rushdies Leben war in Gefahr und damit änderte sich schlagartig alles - auch der Alltag seiner Angehörigen. Zunächst setzte ihm eine hysterisierte Presse zu, dann diejenigen Kollegen, Intellektuellen und Journalisten, die aus ihrer Kritik am Buch beziehungsweise aus der areligiösen Einstellung seines Autors die Berechtigung der islamischen Vorwürfe ableiteten, Rushdies Anspruch auf Schutz und Sicherheit in Frage stellten, ihn selbst zum Schuldigen erklärten. Etliche Jahre lebte der Schriftsteller auf der Flucht, abhängig von Sicherheitsbeamten und ihrer komplizierten Regie, die auch seinen kleinen Sohn aus erster Ehe betraf.
Es waren neun Jahre der Schreib- und Beziehungskrisen, der Neuanfänge, vor allem aber des unablässigen Kampfes um die Publikation des Romans, seiner Übersetzungen, seiner Taschenbuchausgabe. Auf wilde Selbstbehauptung folgten depressive Phasen, sogar ein verzweifelter Versuch des Widerrufes, um eine Rücknahme der Fatwa zu bewirken.
Gleichzeitig sind es Jahre der Rückbesinnung auf seine indische Herkunft in einem muslimischen, doch nicht frommen Milieu, auf frühe Schreibversuche. Und es ist eine Zeit der großen Wut. Aus ihr speisen sich Selbsterhaltungstrieb, Widerspruchsgeist und der Wille, das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen. Rushdie würdigt jedoch auch die Solidarität und unaufgeregte Hilfe von zahllosen Freunden, die für Unterkunft sorgen in der ersten Zeit des ständigen Wohnortwechsels, die sich einmischen, Stellung beziehen gegenüber falschen Behauptungen und verdrehten Vorwürfen.
Die Bedrohung des eigenen Lebens schärft den Blick für Krankheit und Tod anderer. Manchmal erfährt man in diesem Buch zu viel aus deren Krankenakten, zu viele Details auch aus dem Liebesleben mehr oder weniger bekannter Personen. Wie ohnehin das Namedropping befremdlich und nicht ganz uneitel wirkt - allein zehn Seiten Personenregister zeigen da einen besonderen Ehrgeiz.
Salman Rushdies Leben war in Gefahr und damit änderte sich schlagartig alles - auch der Alltag seiner Angehörigen. Zunächst setzte ihm eine hysterisierte Presse zu, dann diejenigen Kollegen, Intellektuellen und Journalisten, die aus ihrer Kritik am Buch beziehungsweise aus der areligiösen Einstellung seines Autors die Berechtigung der islamischen Vorwürfe ableiteten, Rushdies Anspruch auf Schutz und Sicherheit in Frage stellten, ihn selbst zum Schuldigen erklärten. Etliche Jahre lebte der Schriftsteller auf der Flucht, abhängig von Sicherheitsbeamten und ihrer komplizierten Regie, die auch seinen kleinen Sohn aus erster Ehe betraf.
Es waren neun Jahre der Schreib- und Beziehungskrisen, der Neuanfänge, vor allem aber des unablässigen Kampfes um die Publikation des Romans, seiner Übersetzungen, seiner Taschenbuchausgabe. Auf wilde Selbstbehauptung folgten depressive Phasen, sogar ein verzweifelter Versuch des Widerrufes, um eine Rücknahme der Fatwa zu bewirken.
Gleichzeitig sind es Jahre der Rückbesinnung auf seine indische Herkunft in einem muslimischen, doch nicht frommen Milieu, auf frühe Schreibversuche. Und es ist eine Zeit der großen Wut. Aus ihr speisen sich Selbsterhaltungstrieb, Widerspruchsgeist und der Wille, das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen. Rushdie würdigt jedoch auch die Solidarität und unaufgeregte Hilfe von zahllosen Freunden, die für Unterkunft sorgen in der ersten Zeit des ständigen Wohnortwechsels, die sich einmischen, Stellung beziehen gegenüber falschen Behauptungen und verdrehten Vorwürfen.
Die Bedrohung des eigenen Lebens schärft den Blick für Krankheit und Tod anderer. Manchmal erfährt man in diesem Buch zu viel aus deren Krankenakten, zu viele Details auch aus dem Liebesleben mehr oder weniger bekannter Personen. Wie ohnehin das Namedropping befremdlich und nicht ganz uneitel wirkt - allein zehn Seiten Personenregister zeigen da einen besonderen Ehrgeiz.
"Joseph Anton" war Rushdies Deckname
Rushdie hat eine spielerische Fantasie, einen Hang zu verrückten Szenen, eine Vorliebe für melodramatische Effekte, er beherrscht die polemischen Register, Sarkasmus, Satire, Kalauer, flapsige Ausfälle. All das stellt er auch in seiner Autobiographie unter Beweis, die den Titel "Joseph Anton" trägt. Das war sein Deckname in der Zeit der Bedrohung, ein literarisches Konstrukt aus Joseph Conrad und Anton Tschechov- und als literarisches Konstrukt müssen wir dieses Buch auch lesen.
Sein Autor kann gnadenlos die Widersprüche bestimmter Argumente, die Unstimmigkeiten von Haltungen analysieren: die Feigheit vor dem Feind, die mediale Unterstützung seiner Verfolger, denen - aus Gründen der Ausgewogenheit - Sendezeit für ihre Hetze eingeräumt wurde; die Hinhaltetaktiken der britischen Regierung, weil im Libanon noch Geiseln der islamischen Hisbollah zu befreien waren. Die Franzosen stellen sich auf Rushdies Seite, doch darf er aus Sicherheitsgründen keine Nacht im Land verbringen.
Die protokollarische Genauigkeit, mit der Rushdie auflistet, welche Gespräche mit welchen Mittelsmännern, Beratern und Politikern nötig waren, u.a. bis es tatsächlich zu einem Treffen im Weißen Haus - und noch dazu mit Präsident Clinton - kam, bestätigt wohl viele Leser in dem, was sie schon immer über das Politikgeschäft gedacht haben. Sie ist aber auch ein Zeugnis für westliche Fehleinschätzungen und Doppelzüngigkeit. Es wird politisch laviert, nicht gehandelt.
Großbritanniens neue Labor-Regierung wertet das Recht auf freie Meinungsäußerung, Religionskritik und Freiheit der Kunst auf, versucht jedoch, den daraus folgenden Konsequenzen zu entgehen. Also wird Rushdie hingehalten mit seinem Bedürfnis nach einer klaren Position gegenüber dem Iran und nach Rücknahme der Fatwa. Im Hin und Her der Argumente tauchen wirtschaftliche Interessen ebenso auf wie Verständnis für kulturelle und religiöse "Eigenarten" - die nicht unwichtig werden, sobald das Land wenig später in den Irak-Krieg ziehen sollte.
Diese in der dritten Person erzählte Autobiographie rekapituliert Dinge, die es zu erinnern gilt. Oft hat der Westen und seine Institutionen die viel beschworenen eigenen Werte nicht offensiv genug verteidigt. Hingegen gab es die Unterstützung von islamischen Schriftstellern und Intellektuellen, einen Band - "Pour Rushdie" - in dem sie genau das leisteten, was wir bis heute immer wieder einklagen: ein Bekenntnis zur freien Meinungsäußerung, zum Recht, vom Konsens abzuweichen, die Unterstützung von Kritik und künstlerischer Umgestaltung feststehender Wahrheiten.
Ob man Rushdie mag oder nicht, ob man ihn für einen guten oder einen überschätzen Schriftsteller hält: Die Presse hat eine unrühmliche Rolle gespielt, mitgemischt, Stimmung gemacht, Emotionen angeheizt. Der Schriftsteller selbst weist darauf hin, dass sich sein "Fall" vor der Verbreitung des Internets und vor Google abgespielt hat - er hätte wohl keine Überlebenschancen gehabt, wäre er ins Fadenkreuz und in die rasante Allgegenwärtigkeit dieser Verbreitungswege geraten.
Besprochen von Barbara Wahlster
Salman Rushdie: Joseph Anton - Die Autobiographie
Aus dem Englischen von Verena von Koskull und Bernhard Robben
C. Bertelsmann Verlag, München 2012
720 Seiten, 24,99 Euro
Sein Autor kann gnadenlos die Widersprüche bestimmter Argumente, die Unstimmigkeiten von Haltungen analysieren: die Feigheit vor dem Feind, die mediale Unterstützung seiner Verfolger, denen - aus Gründen der Ausgewogenheit - Sendezeit für ihre Hetze eingeräumt wurde; die Hinhaltetaktiken der britischen Regierung, weil im Libanon noch Geiseln der islamischen Hisbollah zu befreien waren. Die Franzosen stellen sich auf Rushdies Seite, doch darf er aus Sicherheitsgründen keine Nacht im Land verbringen.
Die protokollarische Genauigkeit, mit der Rushdie auflistet, welche Gespräche mit welchen Mittelsmännern, Beratern und Politikern nötig waren, u.a. bis es tatsächlich zu einem Treffen im Weißen Haus - und noch dazu mit Präsident Clinton - kam, bestätigt wohl viele Leser in dem, was sie schon immer über das Politikgeschäft gedacht haben. Sie ist aber auch ein Zeugnis für westliche Fehleinschätzungen und Doppelzüngigkeit. Es wird politisch laviert, nicht gehandelt.
Großbritanniens neue Labor-Regierung wertet das Recht auf freie Meinungsäußerung, Religionskritik und Freiheit der Kunst auf, versucht jedoch, den daraus folgenden Konsequenzen zu entgehen. Also wird Rushdie hingehalten mit seinem Bedürfnis nach einer klaren Position gegenüber dem Iran und nach Rücknahme der Fatwa. Im Hin und Her der Argumente tauchen wirtschaftliche Interessen ebenso auf wie Verständnis für kulturelle und religiöse "Eigenarten" - die nicht unwichtig werden, sobald das Land wenig später in den Irak-Krieg ziehen sollte.
Diese in der dritten Person erzählte Autobiographie rekapituliert Dinge, die es zu erinnern gilt. Oft hat der Westen und seine Institutionen die viel beschworenen eigenen Werte nicht offensiv genug verteidigt. Hingegen gab es die Unterstützung von islamischen Schriftstellern und Intellektuellen, einen Band - "Pour Rushdie" - in dem sie genau das leisteten, was wir bis heute immer wieder einklagen: ein Bekenntnis zur freien Meinungsäußerung, zum Recht, vom Konsens abzuweichen, die Unterstützung von Kritik und künstlerischer Umgestaltung feststehender Wahrheiten.
Ob man Rushdie mag oder nicht, ob man ihn für einen guten oder einen überschätzen Schriftsteller hält: Die Presse hat eine unrühmliche Rolle gespielt, mitgemischt, Stimmung gemacht, Emotionen angeheizt. Der Schriftsteller selbst weist darauf hin, dass sich sein "Fall" vor der Verbreitung des Internets und vor Google abgespielt hat - er hätte wohl keine Überlebenschancen gehabt, wäre er ins Fadenkreuz und in die rasante Allgegenwärtigkeit dieser Verbreitungswege geraten.
Besprochen von Barbara Wahlster
Salman Rushdie: Joseph Anton - Die Autobiographie
Aus dem Englischen von Verena von Koskull und Bernhard Robben
C. Bertelsmann Verlag, München 2012
720 Seiten, 24,99 Euro