"Der größte Fehler ist, zu glauben, man habe alles im Griff"
Keine Probleme mehr, sondern nur noch Herausforderungen? Negative Gedanken einfach abschütteln? Das komme einer Verleugnung der Wirklichkeit gleich, kritisiert der Philosoph Konrad Liessmann und plädiert mit Schopenhauer und den Stoikern für mehr negatives Denken.
Heute vor 100 Jahren wurde Edward Murphy geboren, der Erfinder von "Murphys Gesetz". Es besagt, dass alles, was schiefgehen kann, unter bestimmten Bedingungen auch schiefgehen wird.
"Im Prinzip verweist uns dieses Gesetz darauf, dass wir Menschen sind, die Fehler machen, die begrenzte Wesen sind, die endliche Wesen sind, die nicht alles im Griff haben", sagt der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann. "Und der größte Fehler ist, zu glauben, man habe alles im Griff."
Probleme werden zu Herausforderungen umgedeutet
Genau das scheint aber das Prinzip zu sein, nach dem die Gesellschaft gegenwärtig lebt. "Es ist ja verpönt mittlerweile, auf negative Entwicklungen, auf Fehlentwicklungen, auf Probleme tatsächlich aufmerksam zu machen", so Liessman im Deutschlandfunk Kultur. "Manche sagen, es gibt ja keine Probleme mehr, wir stehen nur noch vor Herausforderungen." Vorherrschend sei das Denken: "Wir schaffen alles, egal, ob das soziale Probleme sind, ob das technische Fragen sind, ob das Atomkraftwerke sind – es wird schon nicht schiefgehen."
Auch die diesem Geist entsprechende Ratgeberliteratur, die dazu auffordert, negative Gedanken einfach abzuschütteln oder erst gar nicht zu denken, hält Liessmann aus philosophischer Perspektive für problematisch. Das komme einer Verleugnung der Wirklichkeit gleich. "Es herrscht in der heutigen Gesellschaft, in unserer Kommunikationskultur ein unglaublicher Druck zum Euphemismus, zur Verschönerung, zur Behübschung der Wirklichkeit", kritisiert er.
Dem hält Liessmann eine andere philosophische Traditionen entgegen, wie sie etwa von Arthur Schopenhauer, "diesem großen Pessimisten des Philosophie", verkörpert würde. "Dann würde das bedeuten, mal wirklich zu akzeptieren, dass ein Großteil dessen, was wir denken, fühlen und tun, doch höchst mit zweifelhaften Aspekten behaftet ist. Und dass wir sozusagen der Wirklichkeit gegenüber auch zu dieser Einsicht kommen sollten, dass nicht alles gelingen kann."
Die Vorstellung des Schlimmsten führt zur Gelassenheit
Auch die Stoiker der Antike hätten die These vertreten, man müsse sich immer auch das Schlimmste vorstellen können. "Die hatten sogar eine Art Übung entwickelt – das nannten sie prämeditatio malorum, also die Vorstellung des Schlimmsten." Diese Übung führe nicht zu Lähmung, sondern im Gegenteil dazu, handlungsfähig zu bleiben, sollte die Situation doch eintreten. Und letztlich "zu einer Form von Gelassenheit und Souveränität führen gegenüber demjenigen, was uns eigentlich als das Unerträglichste, das Schlimmste, das Widerwärtigste, das Anstößigste erscheint", so der Wiener Philosoph.
(uko)