Ein neues ideologisches Zeitalter

Ohne Schwarzweiß-Malerei geht gar nichts mehr

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Nur auf dem Schachbrett stehen sich Schwarz und Weiß gegenüber. Die Realität ist vielschichtiger. © imago stock&people
Von Bodo Morshäuser · 11.05.2017
Wer Gutes über Russland berichtet, gilt als "Putinversteher". Wer Probleme der Europäischen Union anspricht, wird zum "Europafeind". Und zum "Globalisierungsgegner", wer globale Missstände anprangert. Schriftsteller Bodo Morshäuser über Kampfbegriffe des Mainstream.
Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde ein paar Jahre lang der Traum geträumt, das Zeitalter der Ideologien, Demagogie und Propaganda sei vorüber. Heute gehört diese Hoffnung der Vergangenheit an. Wir leben längst im nächsten ideologischen Zeitalter. Ohne Schwarzweiß-Malerei geht gar nichts mehr.
Wenn gegen globale Missstände demonstriert wird, für die die neoliberale Auslegung der Globalisierung verantwortlich gemacht wird, hören solche Demonstranten oft, sie seien "Globalisierungsgegner". Obwohl die Mehrheit nur eine andere Art von Globalisierung als die bestehende will, und nicht vorhat, ihre in China gefertigten iPhones wegzuwerfen. Mit der Titulierung "Globalisierungsgegner" soll genau dieser Veränderungswille bestritten werden.
Oder wenn gesagt wird, die EU, so, wie sie besteht, bringe zu viele Probleme und müsse verändert werden, kommt es häufig vor, dass selbsternannte "Pro-Europäer" rufen, diese Kritiker seien "Europagegner" oder "Europafeinde". Obwohl Veränderungen der EU aus Sorge um ihren Weiterbestand gefordert werden. Aber genau das soll mit solchen Kampfbegriffen in Zweifel gezogen werden. Übrigens abgesehen davon, dass die EU nicht Europa ist.

"Ende der Diskussion!"

Derselbe Trick wird oft angewandt, wenn es um die Beziehung zu Russland geht. Wer westlichen Informationen über Russland andere Informationen entgegenhält, hat bald das Etikett "Putin-" oder "Russlandfreund" an der Backe.
Diese Beispiele haben eines gemein: Wenn zentrale Einverständnisse der westlichen Welt in ihrer praktischen Ausführung kritisiert werden, dauert es nicht lange, bis interessierte demagogische Kreise den Vorwurf anbringen, jeder Zweifel an Erscheinungsformen der Sache sei generell gegen die Sache gerichtet. Gegen Globalisierung, gegen Europa, gegen den Westen. Damit soll gemeldet werden: Ende der Diskussion! Du bist ein Störenfried. Du stehst auf der anderen Seite.
Der Klassiker dieses Tricks ist schon länger bekannt: es ist der Vorwurf des "Antisemitismus" für jemanden, der sich erlaubt, irgendeine Entscheidung einer gegenwärtigen israelischen Regierung zu kritisieren. Dieser Trick ist nicht so harmlos, wie er klingt. Man kennt ihn auch aus einem Gebiet, wo bei Meinungsverschiedenheit schon mal geschossen wird.

Vergessen geglaubte Kampfbegriffe

Eine Muslima, die sich entscheidet, kein Kopftuch zu tragen, muss sich von islamischen Fundamentalisten oft anhören, sie sei unislamisch. Aber sie ist Muslima und legt den Glauben so aus, wie sie ihn leben kann und will. Genau das soll mit Bezeichnungen wie "unislamisch" oder, unter umgekehrten Vorzeichen, "islamophob" verhindert werden.
Der Kampfbegriff "Islamophobie" lebte 1984 mit der Fatwa gegen Salman Rushdie wieder auf. Rushdie hatte sich in seinem Roman "Die satanischen Verse" kritisch mit dem Islam auseinandergesetzt. Der Kampfbegriff "Europagegner" kam ins Spiel, seit die EU infrage steht wie noch nie. Der Kampfbegriff "Globalisierungsgegner" ist im Spiel, seit sichtbar ist, dass die neoliberale Auslegung der Globalisierung die Staaten in ein Rattenrennen ohne Rücksicht auf eigene Bevölkerungen geschickt hat. Der Begriff "Putin-" oder "Russlandfreund" wird benutzt, seit Russland 2007 erklärt hat, dass es gegen eine "monopolare Welt" sei, womit der Führungsanspruch der USA gemeint ist. All diese Begriffe aus vergessen geglaubten Zeiten des Freund-Feind-Denkens wirken nahezu hilflos. Oder sind sie schon Ausdruck von Rückzugsgefechten?
Jedenfalls sind es Totschlagbegriffe. Sie haben das Ziel, Andersdenkende zu stigmatisieren. Sie haben das Ziel, Diskussionen über diskussionsbedürftige Themen zu verhindern. Wie in vergangen geglaubten schwerideologischen Zeiten. In so einer Zeit leben wir wohl wieder. Umso wichtiger ist es, auf die Vokabeln zu achten, die im ideologischen Kampf durch die Luft fliegen.

Bodo Morshäuser wurde 1953 in Berlin geboren und lebt dort als Schriftsteller. Er hat etliche Romane, Gedichte und Erzählungen veröffentlicht, beispielsweise: "Und die Sonne scheint" (Hanani-Verlag) und "In seinen Armen das Kind" (Suhrkamp). Zudem beschäftigt er sich mit dem Thema Rechtsextremismus.

© M. Maurer
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