Ein Panoptikum des Grauens
Mit apokalyptischen Bildern beschreibt die albanische Autorin Ornela Vorpsi in ihrem starken Debüt ihre Heimat. An der Schwelle zum Frausein lässt sie ein Mädchen befremdete Blicke auf die Gesellschaft werfen, die ihr ein Hurenschicksal vorhersagt. Die hyperrealistische Welt von Vorpsi ist sowohl von der Sozialreportage wie den Märchen der Gebrüder Grimm inspiriert.
Im Albanien zu Zeiten von Enver Hoxha, das Ornela Vorpsi in ihrem faszinierenden Erzählungsband "Das ewige Leben der Albaner" heraufbeschwört, ist jeder unsterblich und denkt ausschließlich an Sex. Mit nur halbem Bedauern wird schon Mädchen von Eltern und Verwandten ihr Schicksal geweissagt: "Ein hübsches Mädchen ist eine Hure, ein hässliches – die Ärmste! – ist keine." Vorpsis Albanien liegt hinter den sieben europäischen Bergen aber es ist trotz der märchenhaften Züge kein verwunschenes Märchenland. Hier gibt es nur Hass, Niedertracht, Brutalität, Gier und Gewissenlosigkeit. Und "Mutter Partei", die die Landeskinder prügeln, deportieren und erschießen lässt. Das von kleinen Betonbunkern übersäte Land liegt erstarrt unter einem archaischen Bann. Niemand will ihn brechen. Die Albaner lieben ihre Heimat.
Ornela Vorpsi lässt ein Mädchen an der Schwelle zum Frausein befremdete Blicke auf die albanische Gesellschaft werfen: Das Hurenschicksal sagt ihr die Tante voraus, während der Vater sie ständig zwingt, ihn zu küssen. Eines Tages wird er in ein Lager deportiert, auch sein bester Freund hat gegen ihn ausgesagt. Weil er das Volk aufzuhetzen versucht hat durch die Vermutung, es gäbe im nächsten Jahr zu wenig Kartoffeln? Weil ein Parteifunktionär die schöne Mutter vögeln wollte? Wer weiß. Eine Anklage gibt es nicht. Die Familie schmäht den politischen Gefangenen als "Schwulen" und hält der Tochter vor, auch sie trage "es" "im Blut" und werde mit ihm ein Geschäft gründen: "Vater & Tochter: Arsch zu verkaufen – Liebesdienste aller Art." Derweil sterben in der Nachbarschaft Frauen an illegalen Schwangerschaftsabbrüchen, doch deren Kinder nennen die eigene, tote Mutter "Hure" und spucken aus.
Diese Aufzählung von Grausamkeiten ließe sich ohne Mühe fortsetzen. Die nur wenige Seiten langen Erzählungen, vom Verlag zum Roman nobilitiert, reihen sie ohne Erklärungen oder Distanzierungen aneinander. So stellt sich zunächst der Eindruck einer Sozialreportage aus dem finstersten Verließ Europas ein, dann der einer feministischen Kampfschrift voll verständlichem Furor. Oder sollte es sich um einen symbolisch aufgeladenen Realismus vom irdischen Leidenstal handeln?
Es ist von allem ein wenig und die Geschichte einer Befreiung. Nicht zufällig wurde sie auf Italienisch verfasst. Vorpsi lässt in der fremden Sprache den knarrend archaischen Legendenton eines Ismail Kadaré hinter sich. Die 1968 in Tirana geborene Frau, die an der albanischen Akademie der Schönen Künste studiert hat, 1991 nach Mailand ausreiste und seit 1997 in Paris als Fotografin, Malerin und Videokünstlerin lebt, erzählt auch auf raffinierte Weise. Oft verschränkt sie zwei Erzählstränge, die nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, mit einer Fülle von Bildern ineinander. Revolution und Sinnlichkeit stoßen aufeinander, die Endlosigkeit des Universums und die parteitreue Haltung, der Darwinismus und die kindliche Suche nach dem Schatz im heimischen Garten. In einer Erzählung von zwei schönen und geheimnisvollen Nachbarsfrauen erweisen sich Elektrokabel als roter Faden. Denn in "Albanien, wo es an so manchem fehlt, müssen sie für vieles herhalten": Kabel dienen als Wäscheleine, unter der die Frauen, halb durch die nasse Wäsche verborgen, Sonnenbäder nehmen, und später, nach ihrer Deportation ins Lager, zum Erhängen.
Diese hyperrealistische Welt ist inspiriert von den Märchen der Brüder Grimm, und nicht zufällig erwähnt die Erzählerin, die am Ende wie die Autorin in das "gelobte Land" Italien ausreist, Hieronymus Bosch. "Das ewige Leben der Albaner" ist ein Panoptikum des Grauens – und ein starkes Debüt.
Rezensiert von: Jörg Plath
Ornela Vorpsi: "Das ewige Leben der Albaner"
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007
139 Seiten, 14,90 Euro
Ornela Vorpsi lässt ein Mädchen an der Schwelle zum Frausein befremdete Blicke auf die albanische Gesellschaft werfen: Das Hurenschicksal sagt ihr die Tante voraus, während der Vater sie ständig zwingt, ihn zu küssen. Eines Tages wird er in ein Lager deportiert, auch sein bester Freund hat gegen ihn ausgesagt. Weil er das Volk aufzuhetzen versucht hat durch die Vermutung, es gäbe im nächsten Jahr zu wenig Kartoffeln? Weil ein Parteifunktionär die schöne Mutter vögeln wollte? Wer weiß. Eine Anklage gibt es nicht. Die Familie schmäht den politischen Gefangenen als "Schwulen" und hält der Tochter vor, auch sie trage "es" "im Blut" und werde mit ihm ein Geschäft gründen: "Vater & Tochter: Arsch zu verkaufen – Liebesdienste aller Art." Derweil sterben in der Nachbarschaft Frauen an illegalen Schwangerschaftsabbrüchen, doch deren Kinder nennen die eigene, tote Mutter "Hure" und spucken aus.
Diese Aufzählung von Grausamkeiten ließe sich ohne Mühe fortsetzen. Die nur wenige Seiten langen Erzählungen, vom Verlag zum Roman nobilitiert, reihen sie ohne Erklärungen oder Distanzierungen aneinander. So stellt sich zunächst der Eindruck einer Sozialreportage aus dem finstersten Verließ Europas ein, dann der einer feministischen Kampfschrift voll verständlichem Furor. Oder sollte es sich um einen symbolisch aufgeladenen Realismus vom irdischen Leidenstal handeln?
Es ist von allem ein wenig und die Geschichte einer Befreiung. Nicht zufällig wurde sie auf Italienisch verfasst. Vorpsi lässt in der fremden Sprache den knarrend archaischen Legendenton eines Ismail Kadaré hinter sich. Die 1968 in Tirana geborene Frau, die an der albanischen Akademie der Schönen Künste studiert hat, 1991 nach Mailand ausreiste und seit 1997 in Paris als Fotografin, Malerin und Videokünstlerin lebt, erzählt auch auf raffinierte Weise. Oft verschränkt sie zwei Erzählstränge, die nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, mit einer Fülle von Bildern ineinander. Revolution und Sinnlichkeit stoßen aufeinander, die Endlosigkeit des Universums und die parteitreue Haltung, der Darwinismus und die kindliche Suche nach dem Schatz im heimischen Garten. In einer Erzählung von zwei schönen und geheimnisvollen Nachbarsfrauen erweisen sich Elektrokabel als roter Faden. Denn in "Albanien, wo es an so manchem fehlt, müssen sie für vieles herhalten": Kabel dienen als Wäscheleine, unter der die Frauen, halb durch die nasse Wäsche verborgen, Sonnenbäder nehmen, und später, nach ihrer Deportation ins Lager, zum Erhängen.
Diese hyperrealistische Welt ist inspiriert von den Märchen der Brüder Grimm, und nicht zufällig erwähnt die Erzählerin, die am Ende wie die Autorin in das "gelobte Land" Italien ausreist, Hieronymus Bosch. "Das ewige Leben der Albaner" ist ein Panoptikum des Grauens – und ein starkes Debüt.
Rezensiert von: Jörg Plath
Ornela Vorpsi: "Das ewige Leben der Albaner"
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007
139 Seiten, 14,90 Euro