Der Highway 61 führt durch zahlreiche Orte, die in Geschichte und Kultur der Afroamerikaner, von der Sklaverei über Segregation und Bürgerrechtsbewegung, das Entstehen von Blues und Jazz bis zu den Rassenunruhen im August 2014, eine Rolle gespielt haben.
Interview mit dem Autor der Langen Nacht, Tom Noga:
Bis heute ist der Süden den meisten Nordstaatlern fremd. Bis heute sind die Wohngebiete von Schwarzen und Weißen in den meisten Städten des Südens strikt getrennt.
Bluesmusiker reisten auf Highway 61 von Auftritt zu Auftritt, erst auf den Plantagen Mississippis, dann zur Beale Street im Schwarzenviertel von Memphis, schließlich bis hoch nach St. Louis in Missouri. Umgekehrt begaben sich junge Musiker auf die oft imaginäre Reise zu den Ursprüngen des Blues, wie etwa Bob Dylan auf seiner epochalen LP "Highway 61".
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+ Geografisch: Der Highway 61 beginnt Mitten im Nichts, weit oben im Norden der USA, wo der Pigeon River in den Lake Superior mündet und an der Grenze zu Kanada. Von dort führt er Richtung Süden, über 2.500 Kilometer zumeist entlang des Mississippi River bis nach New Orleans am Golf von Mexiko.
+ Sozial: Der Highway 61 verbindet das weiße mit dem schwarzen Amerika. Zwei Welten, die sich lange fremd waren und es bis heute sind. Er verbindet Städte, die bedeutend waren in der Bürgerrechtsbewegung, und solche, die berüchtigt sind für Rassenunruhen und Lynch-Morde. Und als schwarze Landarbeiter im 20. Jahrhundert massenhaft aus dem Süden in die industriellen Zentren des Nordens zogen, geschah dies auf Highway 61. Historiker bezeichnen diesen Exodus als Great Migration.
+ Musikalisch: Blues-Sänger zogen auf dieser Straße von Auftritt zu Auftritt, Nobelpreisträger Bob Dylan erwies ihr mit seinem epochalen Album "Highway 61 Revisited" aus dem Jahr 1965 seine Reverenz.
Hibbing: Jugendzeit von Bob Dylan
Trailer zum Dokumentarfilm "No direction home" über Bob Dylan auf Youtube:
Iron Range, "Eisengürtel" wurde dieser Teil Minnesotas einst genannt.Zu Boomzeiten in den 40er- und 50er-Jahren wurde hier mehr als ein Drittel der weltweiten Eisenproduktion abgebaut. Allein Hull-Rust Mahooning hat damals 5.000 Arbeiter beschäftigt. Heute sind es nur noch ein paar hundert.
An Hibbing ist der Verlust der Arbeitsplätze nicht spurlos vorübergegangen. Die Straßen in der Innenstadt sind von Schlaglöchern übersät, die meisten Geschäfte geschlossen. Ein Star kommt hierher:
Bob Dylan.
"Wir waren richtige Rabauken. Wir hatten die Filme mit James Dean und das Ganze andere Zeug im Kino gesehen. Klar, dass wir unsere Hemdkragen hoch gestellt und die Haare zurückgekämmt haben. Wir wollten aussehen wie Elvis und sein wie James Dean: egal, was ihr sagt, ich mache, was ich will. Hier oben, das war damals eine extrem konservative Gegend, 20 Jahre hinter dem Rest des Landes zurück." (Monte Edwardson)
Hibbing war damals weiß und ist es bis heute: Laut Zensus aus dem Jahr 2010 sind gerade mal 0,6 Prozent der Einwohner Afroamerikaner. In ganz Minnesota sind 5,2 Prozent, in den gesamten USA 12,7. In Hibbing ist die Great Migration, die Völkerwanderung schwarzer Amerikaner Richtung Norden, nie angekommen.
Hannibal, Missouri: die Heimatstadt Mark Twains
Trailer zu "Die Abenteuer des Huck Finn" auf Youtube:
Hannibal ist Mark Twains Heimatstadt. Unweit von hier wurde der Schriftsteller als Samuel Langhorne Clemens in einem Kaff namens Florida geboren. Seine Kindheit und Jugend hat er in Hannibal verbracht.
Ein
Museumsdorf ist dem fiktiven St. Petersburg nachempfunden, in dem "Die Abenteuer des Tom Sawyer" spielen. Das Haus der Familie Thatcher ist beigefarben mit grünen Fensterläden, das von Tante Polly, bei der Tom Sawyer lebt, ein Souvenirladen. Ein kleines weißen Haus firmiert als Mark Twains Boyhood Home. Daneben der Zaun, den Tom Sawyer streichen soll - eine Arbeit, die er bauernschlau an seine Freunde delegiert und sich dafür auch noch entlohnen lässt.
"Am Abend war Tom reich. Er besaß einen Drachen, zwölf Murmeln, eine blaue Glasscherbe, einen Revolver, einen Schlüssel, ein Stück Kreide, einen Zinnsoldaten, zwei Kaulquappen, sechs Knallfrösche, ein einäugiges Kätzchen, einen Türgriff, ein Hundehalsband, vier Stück Apfelsinenschale und einen alten Fensterrahmen. Den ganzen Tag hatte Tom gefaulenzt und den Jungen bei der Arbeit zugesehen. Der Zaun war jetzt dreimal gestrichen."
Faye Dant ist Afroamerikanerin. Die ehemalige Lehrerin sitzt auf der Terrasse in den Hügeln oberhalb von Hannibal, mit Blick auf das Museumsdorf.
"Hannibal hat von Anfang an nur diese Richtung eingeschlagen, vielleicht weil alles andere nicht seicht genug ist. Die Stadt reduziert Mark Twain auf diese beiden Kinder, wie sie mit Murmeln spielen und Streiche aushecken - eine Art Märchen. Aber das wird Mark Twain nicht gerecht. Klar, Tom Sawyer kann man als Kinderbuch lesen. Aber Mark Twain hat auch eine Art Fortsetzung geschrieben, "Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten", mit Toms Freund als Hauptfigur. Und dieses Buch hat viel mehr Tiefe. Huck Finn wird bei uns im elften Schuljahr durchgenommen, Tom Sawyer im vierten. Das sagt doch alles."
Im Buch liefert Huck Finn den entlaufenen Sklaven Jim nicht aus. Die beiden werden Freunde, später stößt auch Tom Sawyer wieder hinzu. Literaturwissenschaftler gehen davon aus, dass Tom Sawyer dem jungen Mark Twain nachempfunden ist. Und dass Huck Finn die Metamorphose des Schriftstellers darstellt: vom Sohn eines Sklavenhalters, der die herrschende Ordnung als gegeben akzeptiert und sich nach Ausbruch des Bürgerkriegs mit seinem Anschluss an eine Miliz zum entschiedenen Gegner von Sklaverei und Rassismus wird.
"Mark Twain selbst hat einen Mann namens Daniel Quarels als Prototypen für Jim benannt. Er basiert also auf einem Menschen, der wirklich hier gelebt hat. Mark Twains Onkel hieß Sam Quarels, er hatte Daniel als Sklaven in Kentucky gekauft. Daniel hat den Nachnamen seines "Besitzers" übernommen - einen Sklavennamen, wie damals üblich. Aber so weit ich weiß, hieß er mit Vornamen tatsächlich Daniel." (Faye Dann)
Im Museumsdorf kommt Hick Finn nur am Rande vor, mit einer Bronzestatue, die ihn mit Tom Sawyer zeigt und einer Hütte, die sein Wohnhaus darstellen soll. Daniel Quarels wird nirgends erwähnt. Deshalb hat Faye Dent
Jim's Journey gegründet - ein Museum, das Jims Geschichte erzählt und die der Afroamerikaner in Hannibal.
Ferguson als Sinnbild für den Rassenhass
Protestmarsch in Gedenken an den erschossenen Michael Brown in Ferguson/ Missouri am 13. Oktober 2014. © AFP / Foto: Joshua Lott
Es ist ein
verstörendes Video, aufgenommen per Handy. Ein junger Afroamerikaner in weißem T-Shirt und schwarzer Hose liegt mitten auf einer Straße. Unter seinem Kopf eine Blutlache. Die Fahrbahn ist mit Klebeband abgesperrt. Dahinter ein paar Hundert Menschen - alle sind schwarz. Innerhalb der Absperrung rennen Polizisten umher - alles Weiße. Auf dem Canfield Drive wurde im August 2014 der schwarze Teenager Michael Brown von einem weißen Polizisten erschossen.
"Wir haben zu viele Tragödien wie diese gesehen. Wir alle als Amerikaner sollten uns wegen diesen Schießereien Sorgen machen. Ich möchte Sie auf ein paar Statistiken hinweisen. Nach zahlreichen Studien, die in den letzten Jahren erhoben wurden, werden Afroamerikaner zu 30 Prozent häufiger von der Polizei angehalten als Weiße. Nachdem sie angehalten wurden, werden Afroamerikaner und Latinos dreimal häufiger durchsucht als Weiße. Letztes Jahr wurden Afroamerikaner zweimal so oft von der Polizei erschossen wie Weiße. Sie werden zweimal so oft angeklagt. Die Strafen, zu denen sie verurteilt werden sind zehn Prozent höher als bei Weißen, die für ähnliche Verbrechen vor Gericht stehen. Das führt dazu, das Afroamerikaner und Latinos nur 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen, aber 50 Prozent der Gefängnisinsassen." (Barack Obama)
Mehr als sieben Millionen Amerikaner sind in Haft, auf Bewährung oder in Haftaussetzung. Nach neusten Zahlen ist knapp die Hälfte von ihnen schwarz. Damit sind 6,5 Prozent aller Schwarzen im Strafsystem, aber nur etwas mehr als ein Prozent aller Weißen. Die Juristin und Hochschulprofessorin Michelle Alexander stellt in ihrem Bestseller "The New Jim Crow" eine provozierende These auf: Die Masseninhaftierung sei ein Instrument, um Schwarze systematisch zu unterdrücken:
"Auch wenn dieses neue System vorgibt, farbenblind zu sein, schafft und erhält es doch eine Rassenhierarchie. Wie die Rassentrennung und davor die Sklaverei basiert es auf einem engmaschigen Netz aus Gesetzen, Methoden, Gewohnheiten und Institutionen, deren Zusammenwirken die Unterdrückung einer durch ihre Hautfarbe definierten Bevölkerungsgruppe bewirkt."
Mit einer Tüte mit Einkäufen in der Hand geht Kevin Massey über den Canfield Drive, die Straße, in der Michael Brown erschossen wurde. Auch Kevin Massey hat gesessen: 18 Jahre wegen 250 Gramm Crack, als Ersttäter. Während seiner Haftzeit durfte er nicht wählen, später war er als Drogentäter von Wohngeld und Sozialhilfe ausgeschlossen. Bis heute ist er nicht mehr richtig auf die Beine gekommen. Der Bürgermeister der Stadt redet von erfolgreichen Programmen für ein besseres Verhältnis zwischen Bürgern und Polizei. Auf dem Canfield Drive ist von einem besseren Verhältnis zwischen Bürgern und Polizisten nichts zu spüren, jedenfalls, wenn man Kevin Massey glaubt.
"Hier hat sich nichts geändert, es ist wie immer. Wir kennen es nicht anders. Als Schwarze sind wir es gewohnt, dass die Polizei mit schmutzigen Tricks arbeitet und uns grundlos filzt."
Cairo - der ausgestreckte Finger in die Südstaaten
Porträt des amerikanischen Schriftstellers Mark Twain (1835-1910). © picture alliance / dpa / Bifab
In "Huckleberry Finne Abenteuer und Fahrten" schildert Mark Twain Huck Finns Flucht aus der kleinbürgerlichen Enge von St. Petersburg. Mit dem entlaufenen Sklaven Jim trudelt er auf einem Floß den Mississippi hinab nach Cairo. Der Ort liegt zwar weiter südlich als das fiktive St. Petersburg, aber in Illinois, das an der Mündung des Ohio River in den Mississippi wie ein ausgestreckter Finger in die Südstaaten hinein ragt. Illinois ist Nordstaat, die Sklaverei ist dort lange vor dem amerikanischen Bürgerkrieg abgeschafft worden.
"Zum allerersten mal in der ganzen langen Zeit, die ich mit Jim zusammen gewesen war, wurde mir so recht klar, was ich eigentlich tat. Mir wurde siedend heiß bei dem Gedanken. Ich suchte mich bei mir selbst zu entschuldigen, ich war ja eigentlich gar nicht zu tadeln, ich hatte ja Jim nicht davonlaufen heißen von seiner rechtmäßigen Besitzerin!"
Heute ist Cairo eine Geisterstadt. Nach Hochrechnungen auf Basis der letzten Volkszählung leben hier weniger als 2.000 Menschen. Cairo war einmal ein blühendes Handelszentrum mit 20.000 Einwohnern und einer verkehrsgünstigen Lage an der Mündung des Ohio River in den Mississippi.
In Cairo herrschte in den 60er-Jahren de facto Rassentrennung, die Washington Avenue war die Demarkationslinie. Westlich lebten die Weißen, auf der Eastside die Schwarzen. Im Kern aber ging es bei bei den Rassenunruhen in dieser Zeit um Jobs. Die Geschäftsleute stellten nur Weiße ein, Schwarze waren allenfalls als Kunden willkommen. Clarence Dossie und andere Bürgerrechtler riefen zum Boykott auf. Vier Jahre hielten sie durch.
"Nicht alle Weißen waren Rassisten, einige standen sogar auf unserer Seite. Aber das Sagen hatten Leute mit vernebeltem Sinn, die nicht akzeptieren wollten, dass wir gleiche Rechte forderten. Sie haben uns angespuckt. Auf dem Bild dort, das ist der Bürgermeister, wie er auf einen Demonstranten einschlägt. Sie sind mit dem Panzerwagen rumgefahren, aus den Löchern an den Seiten haben sie geschossen."
Clarence Dossie schüttelt den Kopf: Wie einfach der Konflikt zu lösen gewesen wäre. Stattdessen ist die Auseinandersetzung eskaliert. Die Weißen haben eine Bürgerwehr gegründet, die sogenannten White Hats. Oft hallten Schüsse durch die Nacht, immer wieder gerieten Gebäude in Brand. Weil die Schwarzen Molotowcocktails warfen, sagen die einen, angezündet von den weißen Hausbesitzern, um die Versicherungssumme zu kassieren, sagen die anderen. Schließlich gaben die Ladenbesitzer auf, aber nicht nach: Statt Schwarze einzustellen, sind sie weggezogen.
Clarence Dossie: "Wir haben diese Schlacht gewonnen, aber den Krieg verloren, jedenfalls wirtschaftlich. Wir hatten nichts, um die Läden zu ersetzen. Sie haben uns eine sterbende Stadt hinterlassen."
Memphis, die Musikmetropole
Martin Luther King am 28. August 1963 in Washington, D. C. © AFP
Memphis in Tennessee: die Musikmetropole. In den Sun Studios ist der Rock'n'Roll entstanden, als Hybrid aus weißer Country-Musik und schwarzem Blues. Johnny Cash hat hier aufgenommen, Carl Perkins und Jerry Lee Lewis. Und nicht zuletzt Elvis Presley.
Und in Memphis gibt es das National
Civil Rights Museum, Bürgerrechtsmuseum. Erbaut wurde es um das Lorraine Motel herum. Auf dem Balkon des Lorraine vor Zimmer 307 wurde Martin Luther King am 4. April 1968 erschossen.
Martin Luther King (1963): "Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einem Land leben, in dem man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt. Ich habe heute einen Traum! Endlich frei! Endlich frei! Dank sei Gott dem Allmächtigen, endlich frei!"
Ein Jahr nach dieser berühmten Rede hat Präsident Lyndon B. Johnson den Civil Rights Act unterschrieben und damit die gesetzliche Rassentrennung in den Südstaaten abgeschafft. Im März 1968 kommt Martin Luther King nach Memphis, um einen Streik der überwiegend schwarzen Müllarbeiter zu unterstützen. Polizei und Nationalgarde knüppeln die Streikenden nieder. Memphis gleicht einem Pulverfass.
"Als er das erste Mal in Memphis war, beim ersten Protestmarsch, das war das totale Chaos. Er wollte wiederkommen. Wir sagten ihm: Dr. King, besser nicht. Diese weißen Typen in Memphis werden Sie umbringen." Aber er sagte: Wie soll ich zu einem neuen Marsch nach Washington aufrufen, wenn ich nicht mal einen in Memphis hinkriege. In der Nacht, bevor er erschossen wurde, hatten sie uns zu seinem Schutz angeheuert. Und am nächsten Tag war er tot. Und ich bin Teil dieser Geschichte." (John Gary Williams)
Über John Gary Williams
John Gary Williams ein paar Hits mit den Mad Lads, den verrückten Typen. Die Mad Lads waren beim legendären Soul-Label Stax unter Vertrag. Bei Stax haben Schwarze und Weiße zusammengearbeitet - außergewöhnlich im damals gespaltenen Memphis. John Gary Williams hat seine Karriere beendet, um sich den "Invaders" anzuschließen, einer schwarzen Bürgerwehr.
Elaine Turner leitet Slave Haven, ein Museum das die Geschichte der Sklaverei und der sogenanten Underground Railroad erzählt. Dieses Netzwerks aus sicheren Häusern und Unterstützern half entlaufenden Sklaven auf der Flucht in den Norden:
"Mein Urgroßvater war versklavt. Es gab Streit mit dem Sklavenhalter. Der ist mit ein paar Leuten aufs Baumwollfeld, aber mein Urgroßvater hat sie zurückgeschlagen. Deshalb musste er fliehen, Richtung Norden. Bei Cairo wollte er durch den Ohio River schwimmen, in die Freiheit. Aber sie haben ihn geschnappt und gelyncht. Das ist die Geschichte meines Urgroßvaters, wie sie in meiner Familie erzählt wird. Dass er gelyncht wurde."
Lynchjustiz war gängige Praxis während der Sklaverei, aber auch danach. Bürgerrechtsorganisationen haben zwischen 1865 und 1968 knapp 4.000 Fälle dokumentiert. Wie hoch die Dunkelziffer ist, lässt sich nicht seriös einschätzen. Gemordet wurde vor allem im Namen des Ku Klux Klan. Dieser rassistische Geheimbund hatte in Hochzeiten mehr als 500.000 Mitglieder. Im Health Science Park bleibt Elaine Turner vor einem Reiterstandbild stehen.
"Diese Statue stellt Nathan Bedford Forrest dar, ursprünglich war auch dieser Park nach ihm benannt. Nathan Bedford Forrest war ein Sklavenhalter und nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg einer der Gründer des Ku Klux Klan. Nach seinem Tod wurde er als Held der Südstaaten glorifiziert. Darin drückt sich die weiße Vormachtstellung im Süden bis heute aus."
Mississippi im tiefen Süden
Eine Satellitenaufnahme des Mississippi-River-Deltas, Louisiana, USA© imago / UIG
Im Spätsommer schimmern die Blüten der Baumwolle im Licht der gleißenden Sonne. Das sogenannte "weiße Gold" hat den Plantagenbesitzern in Mississippi unfassbare Reichtümer beschert. Das Delta des Mississippi ist die Heimat des Blues. Und Clarksdale, eine Stadt mit 17.000 Einwohnern, die Wiege dieser Musik. Hier soll der schwarze Bandleader
W. C. Handy Ende 1904 zum ersten Mal den rohen, ungeschliffenen Sound der Plantagenarbeiter gehört haben. Kurz darauf begeisterte er sein Publikum auf der Beale Street, der schwarzen Vergnügungsmeile in Memphis, Tennessee, mit der damals neuen Musik.
Robert Johnson, der legendärste aller Blues-Sänger, wurde hier geboren. An der Kreuzung von Highway 61 und 49 soll er jenen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben, den er in seinem "Crossroads Blues" besang: seine Seele gegen die Gabe, den Blues wie kein zweiter singen zu können.
Das
Riverside Inn ist das älteste Hotel in Clarksdale, ein windschiefer Holzbau am Ufer des Sunflower River. Geleitet wir es von Zee Ratliff, einer kräftigen schwarzen Frau mit großem Herz, die jeden zur Begrüßung innig umarmt. Ursprünglich beherbergte das Gebäude ein Krankenhaus, während der Rassentrennung das einzige weit und breit, das Schwarze aufnahm. Bessie Smith, die "Kaiserin des Blues" ist hier nach einem Verkehrsunfall gestorben. An den Wänden im Flur Bilder von Musikern, die hier übernachtet haben: Muddy Waters, John Lee Hooker. Und Ike Turner, dessen "Rocket 88" aus dem Jahr 1951 als erster Rock 'n' Roll-Song überhaupt gilt. Joyce Ratliff betreibt das Hotel:
"Früher war es okay hier. Aber heute fühlt es sich nicht mehr wie Zuhause an. Wir hatten so viel Hoffnung für die Zukunft. Aber es gab so viel, was gegen uns stand. Und jetzt ist das nicht mehr die Stadt, in der ich aufgewachsen bin."
Das ehemalige weiße Downtown von Clarksdale ist heute der Anziehungspunkt für Blues-Fans: ein paar Restaurants, ein hipper Coffee Shop, das Ground Tero, ein Blues-Club. Und der
Cat-Head-Plattenladen - Inhaber Roger Stolle:
"Bilder wie die Straßenkreuzung, an der man einen Deal mit dem Teufel macht, sind typisch für den Blues. In anderen Songs wir der Konflikt zwischen dem Prediger auf der rechten Schulter und dem Blues-Mann auf der linken beschrieben. Der eine Weg ist der richtige, aber der andere verspricht mehr Spaß."
Auf der
Dockery Plantation lässt sich erahnen, wie das Leben als Baumwollpflücker einst gewesen sein muss. Sie liegt weit außerhalb von Clarksdale. Drumherum gruppierten sich die sogenannten Shotgun Houses der Plantagenarbeiter, schmale, längliche Zwei-Raum-Baracken für die oft mehr als zehnköpfigen Familien. Über 2.000 Menschen haben hier einst gearbeitet als sogenannte Sharecropper. Einen Teil der Ernte durften sie behalten, ausgezahlt wurde er am Jahresende. Im Grunde war dieses System die Fortführung der Sklaverei mit andere Mitteln, sagt Roger Stolle.
"Die Arbeiter waren durch eine Art von Kredit auf ihr Jahreseinkommen an die Plantagen gebunden. Auf jeder Plantage gab es einen Lebensmittelladen, in dem sie alles für den täglichen Bedarf kaufen mussten, was sie nicht selbst anbauen konnten. Dort ließen sie anschreiben. Am Ende des Jahre wurde abgerechnet. Hatten sie mehr eingekauft, als die Baumwolle, die sie gepflückt hatten, wert war, mussten sie einen Kredit aufs nächste Jahr aufnehmen. Damit gerieten sie noch tiefer in die roten Zahlen. Sie waren Gefangene des Sharecropper-Systems."
Am 9. Dezember 2017 wird in Jackson das Mississippi Civil Rights Museum eröffnen. Hier wird die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen zwischen 1945 und 1976 dargestellt werden.
Money, Mississippi: eine Straßenkreuzung mit einer stillgelegten Tankstelle, eine verfallene Baumwollspinnerei, ein Dutzend Häuser, verstreut in den Wäldern. Im Jahr 1955 hat Money durch den Mord an
Emmett Till traurige Berühmtheit erlangt. Die Bürgerrechtlerin Minnie Watson erzählt:
"Emmett Till war ein 14-jähriger Junge aus Chicago. Seine Mutter hatte ihn nach Mississippi geschickt, zu Besuch bei seinen Cousins und seinem Onkel. Emmett und ein Cousin haben in einem Laden Süßigkeiten gekauft. Hinter dem Tresen Carolyn Bryant, natürlich eine Weiße. Manche sagen, Emmett Till habe nach ihr gepfiffen oder "Bye, baby” gerufen. Aber sein Cousin hat ausgesagt, dass er nur "bye" gesagt habe. Carolyn Bryant hat ihrem Mann Roy Bryant davon erzählt. Zusammen mit seinem Halbbruder John William Milam hat er den Jungen ermordet. Sie haben ihn mitten in der Nacht aus dem Haus seines Onkels gezerrt, ihn verprügelt, gelyncht und die Leiche in einen Fluss geworfen."
Der Mord an Emmett Till war einer von vielen in jenen Jahren in Mississippi - nichts, was außerhalb Aufmerksamkeit erregt hätte, erst recht nicht außerhalb des Staates. Aber Emmetts Mutter beschloss, den Sarg bei der Beerdigung offen zu lassen. Die Trauergäste sahen das von Schlägen einstellte Gesicht des Jungen, Fernsehsender übertrugen die Bilder im ganzen Land. Die Täter wurden nie verurteilt.
Angola, das Louisiana State Penitentiary
"Ich bin hier, weil ich ungehorsam war. Ich war auf einer Party, ich trank, und rauchte und füllte mich ab - Hauptsache high sein. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, wurden mir Handschellen angelegt. Ich wurde wegen Vergewaltigung angeklagt und bekam lebenslänglich. Als Ersttäter. Seit 29 Jahren sitze ich hinter Gittern. Seit 29 Jahren." (Sydney de Loach)
Rückblende: Herbst 2007, Louisiana State Penitentiary, das Staatsgefängnis des Bundesstaats Louisiana. Es liegt auf einer Landzunge am Mississippi, auf dem Gelände einer ehemaligen Plantage names Angola. Ein Gespräch mit Sydney de Loach, dem Bischof von Angola. Er wird so genannt, weil er im Knast zu Gott gefunden und eine Glaubensgemeinschaft um sich versammelt hat.
"Ich war zweimal vor dem Begnadigungsausschuss. Das erste mal 1985. Meine Strafe wurde auf 40 Jahre verkürzt, aber der Gouverneur hat die Begnadigung nicht unterschrieben. Fünf Jahre später der zweite Antrag, unter einem neuen Gouverneur. Meine Strafe wurde auf 60 Jahre verkürzt, wieder hat der Gouverneur nicht unterschrieben. Danach habe ich's nicht mehr versucht. Ich verstehe Louisiana nicht, obwohl ich hier geboren und aufgewachsen bin."
6.300 Häftlinge sitzen in Angola ein, die meisten lebenslänglich. Vier von fünf Insassen sind schwarz. Es sind nicht nur Gewalttäter. In Louisiana gilt: "three strikes and you're out" - drei Verbrechen, egal welcher Art, und man sitzt lebenslänglich. Angola erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 120 Millionen Dollar - durch die Arbeit der Häftlinge. Sie stellen Matratzen her und Nummernschilder. Andere arbeiten in der Landwirtschaft. Sie bauen Kohle und Mais an, Okra und Soja. Und sie pflücken Baumwolle - wie früher die Sklaven.
Und einmal im Jahr veranstaltet die Haftanstalt einen Jahrmarkt mit einem Rodeo - mit den Insassen als Cowboys. Das Preisgeld beträgt 500 Dollar, ein Vermögen für die Häftlinge. Auf der Plantage oder ins den Werkstätten arbeiten sie für einen Stundenlohn von 30 Cent. Überall auf Highway 61 wird das Rodeo angekündigt: als "Wildest Show in the South". Das Rodeo beginnt mit der Nationalhymne - intoniert von einem Insassen und unterstützt von zwei weiteren in Gebärdensprache. Die Ode an das Land der Freien, gesungen von einem Häftling - die Ironie fällt scheinbar niemandem auf.
39 Jahre hat Sydney de Loach in Angola gesessen. Sein Führungszeugnis ist makellos, womöglich kommt er bald frei. Entlassen würde er in eine Welt, die er nicht kennt. Ohne Freunde, mit nur noch wenigen familiären Bindungen. Zudem sind Gefängnisse im ganzen Land dazu übergegangen, ehemalige Häftlinge für die Zeit im Knast zur Kasse zu bitten. Hinzu kommen oft noch die Kosten für Beschwerdeverfahren. Nicht selten summieren sich die Beträge auf mehr als 100.000 Dollar.
New Orleans, "the big easy"
Auch zwei Monate nachdem Hurrikan Katrina wütete, sind die enormen Schäden in New Orleans noch allgegenwärtig. (Aufnahme vom 21. Oktober 2005) © picture alliance / dpa - Bevil Knapp
In New Orleans wurde der Jazz erfunden. Und ein Mythos: In New Orleans scheint alles erlaubt, vor allem auf der Bourbon Street, der Ausgehmeile im French Quarter. Betrunkene torkeln über die verkehrsberuhigte Straße, an jeder Ecke Gaukler, Trommler, Wahrsager. Und aus jeder Kneipe dröhnt Jazzmusik. Das ist das New Orleans für Touristen.
Das andere New Orleans ist nicht so easy. Die Stadt ist von Wasser umgeben, weite Teile liegen unter dem Meeresspiegel. Dämme sollen sie vor Überflutungen schützen. Doch im Spätsommer 2005 fegt Hurrikan Katrina über den Golf von Mexiko. Um New Orleans brechen die Dämme. Mindestens 700 Menschen verlieren ihr Leben in den Fluten, 80 Prozent des Stadtgebiets werden überschwemmt.
Besonders schlimm wütet Katrina im Lower 9th Ward, einem ehemaligen Sumpfgebiet. Hier lebten hauptsächlich Schwarze. Bis heute ist das Lower 9th Ward ein Arme-Leute-Viertel. Weiße findet man hier kaum.
Katrina hat vieles offenbart, worüber in den USA sonst nicht gesprochen wird: Wer zu arm war, um die Stadt zu verlassen, landete im Stadion, im Superdome. Zeitweise an die 40.000 Menschen, fast nur Schwarze. Sie lebten unter unmenschlichen Bedingungen. Das Dach leckte, die sanitären Anlagen fielen aus. Und die Versorgung mit Nahrungsmitteln funktionierte nicht. Was damals wie unter einem Brennglas sichtbar wurde, ist für den Musiker
Calvin Johnson Alltag.
"Ein weißes Viertel zum Beispiel: Da gibt es Lebensmittelläden, du kriegst frische Produkte. Du hast einen Park und gute Nachbarschaft. In schwarzen Vierteln gibt es nichts davon. Sieh dich hier um. Zwei Straßenblöcke weiter ist ein Schnapsladen - neben der Schule."
Neulich wurde Calvin Johnson von der Polizei angehalten, angeblich hatte er ein Stoppschild missachtet. Erst hat der Streifenpolizist Calvins Wagen provozierend lange mit seiner Taschenlampe ausgeleuchtet und sich dann geschlagene 45 Minuten fürs Ausstellen des Strafzettels Zeit gelassen. Calvin musste die ganze Zeit in seinem Wagen sitzen. Natürlich hätte er aussteigen können, aber was, wenn der Polizist darin eine Aggression gesehen hätte. Das schwarze Amerika kennt für Ereignisse wie dieses einen ironischen - Straftatbestand: driving while black, "als Schwarzer Autofahren".
"Früher war Rassismus der Ku Klux Klan. Oder dass meine Mutter noch hinten im Bus sitzen musste. Oder von weißen Kindern mit Steinen beworfen wurde. Seitdem haben sich nur die Formen verändert, in denen sich Rassismus ausdrückt. Das ist das Los eines Schwarzen in Amerika. Als Schwarzer in Amerika musst du ihr Spiel spielen. Wenn nicht, landest du schnell unter der Erde. Oder in einer Zelle."
Produktion dieser Langen Nacht
Autor: Tom Noga, Regie: Sabine Fringes, Redaktion: Dr. Monika Künzel, Sprecher: Daniel Berger, Thomas Martin Balou, Martin Bross, Claudia Mischke, Thomas Krause; Webvideo- und Webproduktion: Jörg Stroisch
Über den Autor:
Tom Noga ist freier Journalist in Köln. Er studierte Rechtswissenschaften an der Ruhr-Universität in Bochum , arbeitet unter anderem für "Die Zeit", "Stern" und für WDR, SWR, BR und Deutschlandradio. Sein Schwerpunkt liegt auf gesellschaftlichen und sozialen Themen aus den USA und Lateinamerika. 2012 erhielt er für seine Lange Nacht "The Crazy Never Die" über Hunter S. Thompson den Deutschen Radiopreis.