Kommentar zur KI

Befreit zum Für-sich-sein - und zur Einsamkeit

04:35 Minuten
Symbolbild für Künstliche Intelligenz. Ein Mann mit Kopfhörer beugt sich in einem mit Computern vollgestellten Raum über eine dreidimensionale Grafik, die in grünen Umrissen ein menschliches Gehirn darstellt.
Der Computer übernimmt: KI wird inzwischen in vielen Bereichen genutzt, und wenn wir nicht aufpassen, wird sie uns verdrängen. © IMAGO / VectorFusionArt / IMAGO
Ein Kommentar von Roberto Simanowski · 24.06.2024
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Die Stimme der Service-Hotline klingt menschlich, ist es aber nicht: In immer mehr Lebensbereichen wird Künstliche Intelligenz eingesetzt. Das könnte verheerende Folgen haben: Wo bleibt der Mensch, wenn die KI alles erledigt?
Kennen Sie Ava? Ava ist die derzeit angesagteste Bürokraft der Welt. Sie bewirbt sich gerade überall, auf tausend Stellen gleichzeitig, und sie hat gute Chancen, all ihre Konkurrent:innen auszustechen.
Immerhin leistet sie für ein Zehntel des Lohns das Zehnfache einer herkömmlichen Arbeiterin, wobei herkömmlich in diesem Fall menschlich heißt. Denn Ava ist eine künstliche Arbeiterin, so wie alle Arbeiter, die das KI-Unternehmen Artisan vertreibt.
Ava, so heißt es in ihren Bewerbungsunterlagen, versendet Tausende von hyper-personalisierten Akquise-E-Mails pro Monat. Und natürlich kann sie auch selbstständig Telefonate führen.

Eine Stimme, aber kein Gegenüber

Das liegt ja irgendwie in der Luft, seit Googles Duplex-Assistent auf der Entwicklerkonferenz 2018 einen Termin beim Friseur ausmachte. Die Friseurin wusste nicht, dass sie mit einem Chatbot spricht. Insofern lag ein Identitätsbetrug vor.
Aber das ist nicht weiter schlimm, so lange nicht der Mann der Friseurin anruft, um zu erfahren, wo sie im Haus eigentlich das Bargeld verwahrt, weil er seine EC-Karte verloren hat. Und solange das nicht in Wahrheit ein Einbrecher ist, der die Stimme ihres Mannes gestohlen und einer KI eingepflanzt hat. Das nennt sich bekanntlich Deepfake und ist eine andere Geschichte. 
Hier geht es nicht um Betrug und Identitätsschwindel, hier geht es um Einsamkeit. Nicht die Einsamkeit der Friseurin, die ja ständig mit Menschen zu tun hat, ganz egal, wer den Termin ausmacht.
Es geht auch nicht um die Einsamkeit all derer, die an Ava ihren Job verloren haben und nun allein zu Hause rumsitzen und nicht wissen, was sie mit all der freien Zeit anfangen sollen. Nein, es geht um die Einsamkeit, die über uns kommt, wenn wir wissen, dass es nur eine KI ist, die mit uns spricht.
Sicher, manche Leute stört das kein bisschen. Sonst könnte man Avas KI-Geschwister aus der Therapie-Abteilung ja auch nicht als Seelsorger einsetzen. Mich stört das schon. Ich habe dann immer das Gefühl, mit einer Wand zu reden; eine Wand, die antwortet, gewiss, aber trotzdem eine Wand: eine KI-Wand. 

Keine Lust auf einstudierte Reaktionen

Es beginnt damit, dass Ava nicht einmal weiß, worum es eigentlich geht, wenn sie beim Friseur anruft. Sie hat weder Haare, die wachsen und geschnitten werden müssen, noch hat sie ein Gefühl für die Frisur, die ihr am besten steht. Und wenn Ava über den Witz lacht, dass manche Menschen ihren Kopf nur zum Haareschneiden haben, tut sie das nicht aus innerem Verständnis, sondern weil ihr im Trainingsprozess gesagt wurde, dass dies ein Witz ist.
Will man mit so einer wirklich kommunizieren? Ich kann mir jedenfalls Besseres vorstellen, als E-Mails zu beantworten – und wenn sie noch so personalisiert sind! –, die von einer Maschine geschrieben wurden. Oder mit einer Maschine zu telefonieren – und wenn ihre Stimme noch so menschlich klingt. Und mit einem Avatar in einem Online-Meeting die wichtigen Dinge des Geschäfts oder Lebens zu diskutieren, habe ich erst recht keine Lust.
Selbst beim Online-Dating weiß man nun ja nicht mehr, ob man mit einem Bot chattet, der für seinen Auftraggeber potenzielle Matches gleich vortestet, bevor er mit dem Gewinner einen Termin ausmacht. Da engagiere ich lieber selbst einen Ava-Avatar. Der kann dann für mich den Dating-Test bestehen. 

KI und Mensch - völlig losgelöst

Darauf wird es hinauslaufen: Dass unsere KI-Doppelgänger miteinander kommunizieren und wir nur noch die Ergebnisse mitgeteilt bekommen. Denn warum sollten wir an etwas teilnehmen, das die Bots viel besser unter sich ausmachen können? Ein endloses Selbstgespräch der KI in unserem Auftrag. Wir: befreit zur Nicht-Kommunikation, zum Für-sich-sein, zur Einsamkeit.
Da wünscht man sich einen kräftigen Haarwuchs, um wenigstens einmal pro Woche mit dem Friseur ins Gespräch zu kommen. Jedenfalls bis Ava sich mit einem Roboter zusammengetan hat und auch das Haareschneiden übernimmt, samt der Konversation über Gott und die Welt, die laut Jobbeschreibung dazugehört.

Roberto Simanowski ist Kultur- und Medienwissenschaftler und lebt nach Professuren an der Brown University in Providence, der Universität Basel und der City University of Hongkong als Medienberater und Buchautor in Berlin und Rio de Janeiro. Zu seinen Veröffentlichungen zum Digitalisierungsprozess gehören „Facebook-Gesellschaft“ (Matthes & Seitz 2016) und „The Death Algorithm and Other Digital Dilemmas“ (MIT Press 2018).

Roberto Simanowski
© privat
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