Eislauffieber im Amsterdamer Reichsmuseum

Von Kerstin Schweighöfer |
Dank der kalten Witterung können die Niederländer jetzt ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Schlittschuhlaufen auf den Grachten. Passend dazu zeigt das Amsterdamer Reichsmuseum bis zum 15. Februar die erste Übersichtsausstellung von Hendrick Avercamp– jenem Maler aus dem Goldenen 17. Jahrhundert, der die Welt noch heute mit seinen bunten Eislaufbildern bezaubert. Zu sehen sind 20 der schönsten Gemälde und 30 seiner besten Zeichnungen – Leihgaben aus aller Welt.
So hört sich die Lieblingsbeschäftigung der Niederländer an: Schatsen, wie Schlittschuhlaufen auf Holländisch heißt. Es gehört zu den Niederlanden wie die Tulpen und die Windmühlen.

Auf Natureis macht es am meisten Spaß. Dann werden die Gemälde Alter Meister lebendig, die schon im Goldenen 17. Jahrhundert das bunte Treiben der Eisläufer verewigt haben: Genauso wie vor 400 Jahren schieben Anfänger einen Stuhl vor sich her, um nicht dauernd hinzufallen. Kinder nehmen ihre Schlitten mit aufs Eis, Jugendliche spielen Hockey oder flitzen um die Wette.

Am schönsten ist das alles im Grachtengürtel altholländischer Städte wie Leiden oder Amsterdam, vor der Kulisse historischer Grachtenhäuser aus dunklem Backstein, die mit ihren prächtig verzierten weißen Giebeln alle aussehen wie Lebkuchen mit Zuckerguss. Rechts und links am Rand machen sich Buden mit Glühwein oder warmer Chocolademelk breit. Und so manche Kneipe rollt einen Läufer aus, damit die Schlittschuhläufer auf Kufen in die Kneipe stolpern können, um sich bei einem Schnaps aufzuwärmen.

Durch den Klimawandel wird es leider oft nicht mehr so kalt, dass die Grachten zufrieren. Aber viele Städte helfen mit künstlichen Eisbahnen nach.

Auch vor dem Amsterdamer Reichsmuseum wurde eine aufgebaut. Die Schlittschuhläufer, die sich als erste aufs Eis wagten, trugen alle Pluderhosen und Halskrausen und wärmten ihre Finger in einem Muff, so wie die unzähligen bunten Figuren auf den berühmten Eislauf-Winterlandschaften von Hendrick Avercamp. Denn das Reichmuseum feiert diesen Alten Meister in diesem Winter erstmals mit einer Übersichtsausstellung. Der "Stumme aus Kampen", wie der taubstumme Maler auch genannt wird, hat die Winterlandschaft zu einem eigenständigen Genre gemacht. Schuld daran war die kleine Eiszeit um 1600, erklärt Kustos Pieter Roelofs:

"Höhepunkt war der Winter von 1607/1608, der kälteste seit Menschengedenken. Selbst die wilde Zuiderzee, die damals noch nicht durch den Abschlussdeich zum Ijsselmeer gezähmt worden war, fror zu! Es war bitter bitterkalt damals, und zwar über Monate hinweg, von November bis Februar."

Avercamp wurde lange Zeit als isolierter, einsamer Künstler angesehen, der wegen seiner Behinderung Zeit seines Lebens bei seiner Mutter lebte und nach deren Tod innerhalb von sechs Monaten im Alter von nur 49 Jahren ebenfalls starb. Doch die Kunstgeschichte musste dieses romantisierte Bild korrigieren:

"Avercamp lebte zwar in der Tat bei seiner Mutter und hat nie geheiratet. Aber er arbeitete nicht allein, er hatte in seinem Atelier sogar gleich mehrere Mitarbeiter. Denn mit den Winterlandschaften hatte er eine Nische gefunden, mit der er Erfolge feiern konnte, auch außerhalb seiner Heimat. Sogar in Wien kannte man schon im 17. Jahrhundert seine Bilder. Er war kein Außenseiter, sondern ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann."

Zunächst stand Avercamp ganz in der Tradition von Pieter Brueghel dem Älteren mit einem hohen Horizont und Bauernhöfen oder Bäumen. Der Betrachter hat den Überblick, er sieht alles von oben, aus der Vogelperspektive.

Im Laufe der Jahre jedoch wird der Horizont, so wie es für die nordholländischen Maler üblich ist, immer niedriger. Avercamp konzentriert sich zunehmend auf das Eis selbst - bis der Betrachter sich zwischen den Schlittschuhläufern wähnt und selbst auf dem Eis zu stehen scheint, erklärt der Direktor des Reichsmuseums Wim Pijbes:

"Auf den Bildern von Avercamp geschieht unglaublich viel, er war ein anekdotischer Maler. Wir zeigen zwar in Anführungszeichen 'nur' 20 Gemälde, aber das ist in diesem Falle mehr als genug. Eigentlich ist jedes Gemälde eine Ausstellung für sich!"

Auf den ersten Blick ist die Welt auf diesen Bildern in Ordnung. Es stürmt nicht, es schneit auch nie, alle amüsieren sich. Groß und klein, reich und arm, auf dem Eis scheinen sie alle gleich zu sein.

Man muss schon genauer hingucken, um die arme Bäuerin zu entdecken, die in einem Loch im Eis ihre Wäsche zu waschen versucht. Den alten Mann, der sich beim Hinfallen verletzt hat und dessen Blut aufs Eis tropft. Den Kadaver eines ertrunkenen Pferdes. Oder die Kutsche, die gerade ins Eis eingebrochen ist und untergeht.

Wer lange genug guckt, stellt auch fest, dass die verschiedenen Ränge und Stände nicht wirklich aufgehoben sind; reich und arm laufen nur nebeneinander, nicht miteinander: Dennoch habe das Eis einen egalisierenden Effekt, betont Direktor Pijbes. Der gemeinsame Feind, das Wasser, sei bezwungen:

"Eis verbindet, Eis stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl, Eis erzeugt bei allen die gleiche Freude, egal, ob arbeitslos oder Millionär."

Das sei noch heute so. Sobald es friert, zieht es einen Niederländer unweigerlich aufs Eis. Auch Pijbes ist da keine Ausnahme, und Eislaufen, das können nicht nur seine Kinder, sondern auch er selbst, und zwar sehr gut, sagt er:

Wer Lust bekommen hat, es selbst auszuprobieren, braucht sich nach Verlassen des Reichsmuseums bloß die Schlittschuhe anzuziehen. Wetten, dass er vom Eisfieber der anderen angesteckt wird?

Service:
Die Ausstellung "Hendrick Avercamp: Kleine Eiszeit" ist bis zum 15. Februar 2010 im Reichsmuseum Amsterdam zu sehen.