"Ab heute machen wir ökologische Schulden"
Die Menschheit beutet die Erde rücksichtslos aus. Forscher berechnen deswegen jedes Jahr den Erdüberlastungstag - das ist der Zeitpunkt, an dem wir alle natürlichen Ressourcen für das Jahr verbraucht haben. Heute ist es wieder soweit.
Dieter Kassel: Heute ist Erdüberlastungstag, das bedeutet, weltweit betrachtet und auf den ganzen Planeten berechnet, haben wir heute schon als Menschen die Ressourcen verbraucht, die die Erde uns für ein Jahr bereitstellt. Berechnet man das übrigens nur für Deutschland allein, ist dieser Tag schon längst vorbei, das war nämlich in diesem Jahr für Deutschland der 24. April. Und auch schon damals hat die Organisation Inkota darauf hingewiesen, und heute, an diesem Welttag, ist nun Lena Michelsen, die dort als Referentin für globale Landwirtschaft und Welternährung tätig ist, bei mir im Studio. Erst mal schönen guten Morgen, Frau Michelsen!
Lena Michelsen: Guten Morgen!
Kassel: Jetzt habe ich immer nur gesagt, die Ressourcen, die uns zur Verfügung gestellt werden. Über was sprechen wir denn da überhaupt? Welche Ressourcen sind gemeint?
Michelsen: Beim Erdüberlastungstag werden eingerechnet oder wird gemessen die CO2-Emissionen, die verbrauchten Ackerflächen, Weideflächen, Wald als Ressource für Holzprodukte dann, und Fischgründe. Das sind so die natürlichen Ressourcen, die mit in die Berechnung einfließen.
Kassel: Und man kann sich das so genau ausrechnen, dass man wirklich sagen kann, genau heute ist eigentlich schon alles verbraucht?
Leben auf Kosten der nächsten Generation
Michelsen: Genau. Das sind Daten vom Global Footprint Network. Die errechnen das jedes Jahr auf Grundlage von gut vergleichbaren UN-Daten. Da fließen also pro Land und Kopf pro Jahr ca. 15.000 Datenpunkte ein. Das ist eine sehr komplizierte Rechnung, und da werden auch jedes Jahr ein bisschen die Daten angepasst, aktualisiert, und so kommen wir jetzt also heute für dieses Jahr auf den 2. August.
Kassel: Das heißt, rein theoretisch, wenn wir Schaden vermeiden wollten – ich meine, natürlich geht es praktisch nicht, dann würden wir schließlich verhungern –, aber rein theoretisch müssten wir aufgrund des bisherigen Verbrauchs allein nur in diesem Jahr heute aufhören, Ressourcen zu verbrauchen?
Michelsen: Genau. Rein rechnerisch müssten wir aufhören. Das heißt, alles, was wir jetzt verbrauchen für den Rest des Jahres, da machen wir quasi ökologische Schulden. Das heißt, wir leben dann ganz klar auf Kosten künftiger Generationen, verbrauchen mehr als nachwachsen kann, und, auch ganz wichtig für Inkota als entwicklungspolitische Organisation, lebt der globale Norden, die Industrienationen wie Deutschland, eben auch auf Kosten ärmerer Länder im globalen Süden, die einen deutlich geringeren Ressourcenverbrauch haben, aber häufig, gerade, was den Klimawandel anbelangt, am stärksten von den Folgen betroffen sind.
Kassel: Was ist denn am Ressourcenverbrauch so im Alltag, bei dem, was wir tun, also nicht, wo man dann immer von der Großindustrie spricht, von den großen Regierungschefs, das Schlimmste? Man denkt natürlich an Verkehr, man denkt daran, dass wir nicht nach Sidney fliegen sollten. Aber im Alltag ist es wahrscheinlich eher die Ernährung, oder?
Michelsen: Es ist beides. Wenn man sich jetzt den ökologischen Fußabdruck von Deutschland insgesamt anschaut, sind die CO2-Emissionen der größte Faktor. Das heißt, da ist ganz klar eben die Energiepolitik gefragt, da ist auch der Verkehr gefragt, was Sie gerade sagten.
Jeder kann sich selbst fragen, was er tun kann
Natürlich können wir uns auch als einzelne Personen fragen, ob wir jetzt unbedingt in den Urlaub fliegen müssen oder vielleicht ein anderes Verkehrsmittel wählen können. Oder auch im Alltag, ob wir jetzt mit dem Auto fahren oder mit dem Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln.
An zweiter Stelle kommt dann, zumindest für den deutschen Verbrauch, für den deutschen ökologischen Fußabdruck, schon die Landwirtschaft, also die verbrauchten Ackerflächen. Und da sollte also einerseits die industrielle Landwirtschaft überhaupt in Frage gestellt werden, die eben auch zu starken CO2-Emissionen beiträgt, starke CO2-Emissionen verursacht, Böden zerstört, Grundwasser verschmutzt. Aber auch der enorme Fleischkonsum hat da ganz viel beizutragen, da eben hier große Flächen verwendet werden nur für den Anbau von Futtermitteln.
Kassel: Seit dieser Tag berechnet wird, ist er in jedem Jahr doch deutlich früher gewesen als im Jahr zuvor. Nur um ein einziges Jahr zu betrachten, ich sage es nochmal: Vergangenes Jahr war es der 8. August, heute ist es dieser Tag hier, der 2. August. Jeder, der ein bisschen Ahnung von Zahlen, Statistik und Durchschnittswerten hat, weiß, das ist rasant. Sechs Tage ist nicht harmlos in so einem kurzen Zeitraum. Sind Sie nicht manchmal frustriert, wenn Sie sehen, dass diese Zahlen präsentiert werden? Es gibt ja noch andere Vergleichswerte, die alle ziemlich seriös sind, und alle sagen, schön ist das nicht. Aber es passiert doch eigentlich nichts?
Die Aufmerksamkeit für das Problem hat sich erhöht
Michelsen: Auf jeden Fall. Es ist erstmal sehr schockierend, dass wir zwar sehen, in den letzten Jahren hat sich die Aufmerksamkeit da erhöht auf jeden Fall, auch letztes Jahr hatten wir schon eine relativ gute Presseresonanz. Das zeigt uns, dieser Tag wird oder das Thema wird näher betrachtet.
In der Politik geschieht tatsächlich auf jeden Fall noch zu wenig. Und auch, wie Sie vorhin sagten, auch wir Individuen – natürlich ist das auch immer eine Frage der Bequemlichkeit, den großen Fragen mag man sich im Alltag nicht stellen, wie wir denn jetzt tatsächlich ressourcenschonender leben können.
Kassel: Nun ist das natürlich eine Berechnung, anders funktioniert es ja nicht, Ressourcenverbrauch pro Kopf. Ist das aber, wenn wir mal eine andere Zahl noch nennen, dass wir wirklich gewinnen können als Menschheit? Seriöse Berechnungen sagen ja auch, im Jahr 2050 werden wahrscheinlich zehn Milliarden Menschen auf dieser Welt leben. Im Moment sind es ungefähr 7,4. Heißt das nicht, selbst wenn wir pro Kopf den Ressourcenverbrauch reduzieren, wird das ja durch die Anzahl der Köpfe sozusagen wieder ausgeglichen.
Michelsen: Ganz genau. In Anbetracht der wachsenden Weltbevölkerung ist die Herausforderung natürlich noch größer. Ich sehe da schon auf internationaler Ebene kleine Fortschritte.
Wir hatten jetzt die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN, das ist, glaube ich, schon ein wichtiges Statement, zu dem sich eben die Vereinten Nationen bekannt haben.
Auch das Pariser Klimaabkommen, selbst, wenn die USA ausgetreten sind, glaube ich, ist ein wichtiger Rahmen. Und es wird erkannt von der internationalen Gemeinschaft, dass da mehr getan werden muss.
Deutschland muss seine Hausaufgaben machen
Und ich glaube, genau diese vereinten Kräfte brauchen wir auf jeden Fall. Und natürlich dann aber auch die Umsetzung auf nationaler Ebene, das ist ganz wichtig, und da hat auch Deutschland noch seine Hausaufgaben sozusagen zu machen. Denn auch die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie lässt noch auf jeden Fall in der Konsequenz der Umsetzung zu wünschen übrig.
Kassel: Zwischen Pessimismus und Optimismus ist ja der Realismus. Ich bin mal böse jetzt am Schluss, Frau Michelsen. Was schätzen Sie denn? Wenn wir uns entschließen sollten, dieses Gespräch im nächsten Jahr am Stichtag nochmal zu führen, welcher Tag wird das nächstes Jahr sein?
Michelsen: Wenn wir so weiterrechnen, dann werden es wahrscheinlich wieder sechs Tage nach vorn. Ich kann nur hoffen, dass das nicht der Fall sein wird.
In Deutschland haben wir immerhin die gute Nachricht, dass der ökologische Fußabdruck von Deutschland zumindest mehr oder weniger stagniert hat in den letzten Jahren. Da können wir nur darauf hoffen, dass die neue Bundesregierung ab Herbst dann da noch ambitioniertere Maßnahmen ergreift und wir vielleicht unseren Ressourcenverbrauch tatsächlich aktiv reduzieren können.
Kassel: Da schließe ich mich dieser Hoffnung an. Wir werden ja sehen, welcher Tag es nächstes Jahr ist. Ich werde mir das auf jeden Fall im Kalender notieren. Dankeschön für heute!
Michelsen: Danke!
Kassel: Ina Michelsen war das. Sie ist bei der deutschen Nichtregierungsorganisation Inkota zuständig für globale Landwirtschaft und Welternährung, und wir haben mit ihr über den weltweit gesehen heutigen Erdüberlastungstag gesprochen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.