Es werde dunkel!

Franz Hölker im Gespräch mit Dieter Kassel · 14.06.2010
Durch die permanente Beleuchtung in der Nacht werden nicht nur die Tiere und Pflanzen gestört, sondern auch ganze Ökosysteme und die Gesundheit der Menschen. Welche konkreten Folgen das Dauerlicht hat, untersucht der Chronobiologe Franz Hölker in dem Forschungsprojekt "Verlust der Nacht".
Dieter Kassel: In Neuseeland gibt es ein Dorf, das nachts so sensibel beleuchtet ist, dass das Dorf die Hoffnung hat, zum ersten UNESCO-Sternenlichtreservat zu werden, und in den USA, da gibt es bereits mehrere sogenannte Dark Sky Parks, die eigentlich nichts weiter zu bieten haben als Dunkelheit am Boden, die dann dafür sorgt, dass man – meist übrigens sogar gegen Eintritt – den Sternenhimmel besonders deutlich sehen kann.

Daran merkt man schon, es gibt eine gewisse Sensibilität dafür weltweit, dass zu viel Licht in der Nacht zum Problem werden kann, und das ist nicht nur in den USA und in Neuseeland so. In Deutschland gibt es ein Forschungsprojekt, das sich den Namen "Verlust der Nacht" gegeben hat, und in diesem Projekt arbeiten verschiedene Wissenschaftler einiger Leibniz-Institute und anderer Forschungseinrichtungen zusammen. Und bei mir im Studio ist jetzt der Leiter dieses Projektes, der Chronobiologe Franz Hölker. Schönen guten Tag, Herr Hölker!

Franz Hölker: Ja, guten Tag!

Kassel: Nun wird ja Licht in einer Gesellschaft wie der deutschen erst mal positiv empfunden. Gerade nachts: Man bringt es in Zusammenhang mit Sicherheit, vielleicht auch mit Modernität, mit Leben ... Wie kann denn zu viel Licht in der Nacht was Negatives sein?

Hölker: Also grundsätzlich diese positive Verknüpfung von Licht mit solchen Aspekten, wie Sie eben nannten, ist auch das Problem überhaupt bei dem Thema Lichtverschmutzung, weil jeder Mensch immer was Positives damit assoziiert und die Ambivalenz erst deutlich wird, wenn wir uns gestört fühlen. Und gestört fühlen wir Menschen uns zum Beispiel, wenn wir zu viel Licht in der Nacht erleben und dadurch zum Beispiel auch die Produktion unseres Schlafhormons, Melatonin, gestört sein könnte, was eben dauerhaft auch dazu führen kann, dass man nicht nur Schlafprobleme bekommt, sondern auch Gesundheitsprobleme.

Ökosysteme können beeinträchtigt werden, wenn eben zu viel Licht in bestimmten Regionen vorherrscht, sodass als Beispiel jetzt mal ein ganzes Ökosystem verzehrt werden kann. Eine Straßenlampe in der Nähe eines Gewässers oder eines Naturschutzgebietes lockt – und das Beispiel wird jeder kennen – Unmengen an Insekten an. Man sieht diese Insekten um diese Straße kreisen, in Dichten, in denen sie sonst nie vorkommen, und diese Insekten fehlen dann dem benachbarten Ökosystem. Man spricht hier auch von einem Staubsaugereffekt, wie ein Staubsauger steht eine Straßenlampe in der Landschaft und saugt quasi Insekten an, die dann Vögeln oder Fischen auch als Nahrung fehlen.

Auf der anderen Seite gibt es Profiteure – Spinnen, Fledermäuse –, die in Dichten vorkommen, die in einer baumähnlichen Struktur so nie vorkämen, und profitieren von der Situation. Sodass wir also insgesamt von verzerrten Nahrungsnetzen hier sprechen müssen.

Kassel: Nun ist das Bild mit der Laterne – also die Motten, die ums Licht kreisen, wo bei es andere Insekten gibt und nicht nur Motten, aber das ist ja fast sprichwörtlich – recht bekannt. Nun gibt es Orte, wo ich richtig einen Widerspruch erkenne, nehmen wir mal Gewässer: An Gewässern gibt es natürlich gerne Brücken und Brücken wollen wir nachts beleuchtet haben, weil ganz platt gesagt: Es will ja niemand ins Wasser fallen, weder mit dem Auto noch zu Fuß. Daran denkt man immer gar nicht, ich meine man kann ja wahrscheinlich die Beleuchtung nur schwer so gestalten, dass nicht auch Teile des Wassers beleuchtet werden. Hat das auch Einflüsse zum Beispiel auf Lebewesen in Gewässern?

Hölker: Lebewesen in Gewässern können auch betroffen sein, auch hier gibt es wenig Untersuchungen. Das ist grundsätzlich bei diesem ganzen Problem Lichtverschmutzung der Fall, dass wir eigentlich immer nur wenige Fallstudien haben, nie so ganze Ökosysteme betrachtet haben. Aber es gibt einige wenige Untersuchungen, die zum Beispiel zeigen, dass einige Wanderfischarten von Licht durchaus beeinträchtigt sein können. Also einige herkömmliche Leuchtmittel in der Außenbeleuchtung wirken durchaus attraktiv auf einige Arten, sodass sie also sich davon angezogen fühlen; andere suchen, solche Leuchtmittel oder solche Leuchtquellen zu vermeiden.

In beiden Fällen würde zum Beispiel eine Wanderfischart, ein Aal, eine Forelle, ein Lachs zum Beispiel an solch einer extrem stark beleuchteten Brücke länger verweilen. Der Raumwiderstand (so nennen wir Ökologen das) würde sich erhöhen. Die Tiere verweilen dort länger, weil sie entweder nicht vorbei wollen oder angezogen werden, verbrauchen sehr viel Energie und das ganze Timing sozusagen, was bei der Fortpflanzung sehr wichtig ist, dass die Geschlechtspartner zur gleichen Zeit irgendwo ankommen, ist auch noch dadurch gestört. Also wir haben zwei Effekte, die davon betroffen sein können, die letztlich auch dazu führen können, dass auch eine ganze Population beeinträchtigt sein könnte oder zumindest verändert wird.

Kassel: Kommen wir noch einmal auf den Menschen zurück. Nun wissen wir aus Experimenten zum Beispiel in Schlaflaboren und anderen Dingen, dass es diese innere Uhr, die auch wiederum sprichwörtlich ist, ja irgendwie wirklich gibt. Auch wenn ein Mensch kein Tageslicht mehr sieht, keinerlei Uhrzeitinformation hat, hat er ja zwar nicht exakt 24 Stunden, aber einen dem sehr nahekommenden Rhythmus. Warum ist denn dann trotzdem das Licht und diesen Rhythmus, den wir durch Hell und Dunkel bekommen, so wichtig für uns?

Hölker: Also man spricht ja auch bei diesem Tag-Nacht-Rhythmus von einem Cirkadianrhythmus – also circa: ungefähr; dian: ein Tag. Das Licht benutzen wir als Zeitgeber und das synchronisiert im Prinzip die Lichtsituation mit unserer inneren Uhr. Unsere innere Uhr muss also ständig wieder neu gestellt werden, und wenn Sie jetzt im Jahresgang die verschiedenen Lichtsituationen sich vorstellen, so haben wir im Sommer ja eine ganz andere Situation, viel längere Tage als im Winter. Und eben diese Übergang von Licht zu Dunkel, Dunkel wieder zu Hell, die nutzen wir als Zeitgeber. Unsere Uhr wird gestellt, sodass wir also unsere Bedürfnisse oder auch unsere ganze Physiologie auf genau diese Tag-Nacht-Situation einstellen.

Und wenn das gestört wird, wenn also der Unterschied sozusagen zwischen Tag und Nacht nicht mehr so deutlich ist, so kann eben auch unsere Uhr ein wenig aus dem Takt laufen, was eben zu Problemen führen kann wie eben Schlaflosigkeit. Von der Schichtarbeit wissen wir jetzt, dass eben so ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus dazu führen kann, also erst mal zu Schlafproblemen, und wenn das über längeren Zeitraum andauert, kann das eben auch krankmachen: Herz-Kreislauf-Probleme, Erkrankung des Magen-Darm-Traktes und letztlich kann es, das sind einige Untersuchungen, die darauf hinweisen, auch dazu führen, dass sogar die Krebsrate steigen könnte, Prostatakrebs, Brustkrebs. Hie gibt es einige wenige Untersuchungen, die Korrelation zumindestens feststellen zwischen beleuchteten Gegenden und dem Auftreten von bestimmten Krebsarten.

Allerdings muss ich hier noch sagen: Wir kennen die Mechanismen nicht. Wir wissen gar nicht, warum es überhaupt zu dieser erhöhten Krankheitsanfälligkeit kommt, und wir müssen es auch noch weiter erforschen, bevor wir wirklich sagen können, Licht in der Nacht ist krebserregend.

Kassel: Und genau das und vieles andere passiert in dem übergreifenden Forschungsprojekt "Verlust der Nacht", über das wir hier reden im Deutschlandradio Kultur, Franz Hölker ist der Projektleiter. "Verlust der Nacht" ist ja, finde ich, für Wissenschaftler, die ja immer ganz vorsichtig sind – Sie haben auch schon gesagt, wir wissen das alles nicht so genau –, ein relativ dramatischer Name für so ein Projekt. Ist denn das wirklich, was wir schon erleben in Industriegesellschaften, ein Verlust der Nacht?

Hölker: Also wenn Sie sich die Erdoberfläche aus dem Weltraum betrachten, dann sehen Sie schon, dass in den industriestarken Gegenden – das sieht man sehr deutlich – auch die nächtliche Beleuchtung sehr stark ist und dass der Mensch quasi durch das Nutzen von künstlichem Licht seine Nachtlandschaft, wenn ich das mal so sagen darf, neu strukturiert hat. Es gibt plötzlich Barrieren, die existierten vorher gar nicht, es gibt Agglomeration, es gibt Kontraste, die es vorher gar nicht gab und ...

Alle Organismen auf der Erde, inklusive uns Menschen, Pflanzen, Tiere, haben sich evolutionär über Zehntausende von Jahren an eine ganz andere Nachtsituation gewöhnt: Es war dunkel, es war fast stockdunkel, nur eben natürliches Licht monatlich durch den Mond und die Sterne existierte, darauf haben wir uns angepasst. Und durch diese Neustrukturierung der Nachtlandschaften in den letzten 30, 40 Jahren haben wir eine ganz neue Situation geschaffen.

Und wenn wir jetzt mal nach Berlin gehen, Platz der Vereinten Nationen, da gibt es jetzt Lichtmessungen und die zeigen eigentlich, dass viele Nächte weitaus heller leuchten als der Vollmond im Zenit, also die heller sind als der Vollmond bei seiner stärksten Strahlkraft. Das heißt, wir erzeugen eine permanente, in solchen Bereichen eine permanente Vollmond- bis Dämmerungssituation und da kann man sich natürlich vorstellen, dass das auch negative Auswirkung auf Organismen, auf Pflanzen und eben auch auf uns Menschen haben könnte.

Kassel: Ist das für Sie und vielleicht für einige Ihrer Kollegen, das sind ja ganz unterschiedliche Fachrichtungen, die bei "Verlust der Nacht" mitmachen, auch so eine Art Kulturverlust? Denn diese Dark-Sky-Projekte, die es langsam auch in Deutschland gibt – in den USA gibt es halt schon diese Parks –, die wollen einem ja vor allen Dingen die Möglichkeit geben, den Nachthimmel zu sehen und um zu sehen, da gibt es halt nicht ein, zwei Sterne am Himmel, sondern da gibt es ganz viele, wenn es mal dunkel ist. Ist das auch so ein Kulturverlust, dass wir gar keine Vorstellung mehr davon haben, wie eine richtige Nacht aussieht?

Hölker: Ja, das Problem ist tatsächlich so, dass die urbane Bevölkerung selten eine Milchstraßenerfahrung macht, und es gibt Umfragen, dass ungefähr 40 Prozent der unter 30-Jährigen noch nie eine Milchstraße gesehen haben. Das sind schon sehr viele Menschen, die das noch nie erlebt haben, und gerade Sternbilder zum Beispiel haben ja eine ganz wichtige kulturelle Bedeutung in unserer Gesellschaft, und jeder, der plötzlich zum Beispiel im Urlaub in Thailand am Strand eine Milchstraße erfährt, die er noch nie vorher gesehen hat, ist erschlagen davon.

Uns Menschen, denke ich, geht dadurch ein kultureller Wert abhanden, weil wir solche Erfahrung, auch im Prinzip das Erfahren einer Milchstraße, dazu dient, uns selber als kleines Licht im Universum mal zu erfahren und selber zu verorten. Und na ja eine 1000 Jahre alte Kultur eben auch im Prinzip mit den Sternbildern, mit der Nachterfahrung auch sich entwickelt hat.

Kassel: Aber wie wird aufgrund der Anstöße, die Ihr Projekt irgendwann geben wird, die Lösung aussehen? Sie haben den Platz der Vereinten Nationen als Beispiel jetzt gebracht in Berlin. Da kann man doch nicht einfach das Licht ausschalten, da ist auch nachts viel Autoverkehr, da laufen Leute rum, wir haben ja geredet über Sicherheit, da geht es nicht nur um die Frau allein im Bahnhofsviertel, da geht es um Autoverkehr, da geht es um andere Dinge. Wie kann eine Lösung da aussehen?

Hölker: Also man kann es ganz kurz vielleicht in drei Worten sagen: intelligent, bedarfsgerecht und in einem raum-zeitlichen Kontext. Das heißt, wir müssen erst mal untersuchen, welche Auswirkungen wir zu befürchten haben. Auch hier gibt es eben nur einige Fallbeispiele, wir werden auch in dem Verbund interdisziplinär verschiedene sozioökologische Kontexte untersuchen.

Kassel: Dann schlage ich vor, wir unterhalten uns in ungefähr zwei Jahren noch mal, dann nicht im Studio, dann setzen wir uns an den Platz der Vereinten Nationen in Berlin gegen zwei Uhr nachts ...

Hölker: Ja, sehr gerne!

Kassel: ... , denn Radio braucht ja kein Licht und dann gucken wir mal, dass wir auskommen!

Hölker: Sehr gerne!

Kassel: Danke Ihnen, dass Sie da waren! Das war Franz Hölker, er ist der Leiter des interdisziplinären Forschungsprojekts "Verslust der Nacht", wo Wissenschaftler diverser Fachrichtungen – die meisten kommen von Leibniz-Instituten, einige aber auch von anderen Forschungseinrichtungen – herausfinden, was für Einflüsse auf Mensch, Natur und andere Faktoren die große Helligkeit, die wir alle inzwischen nachts kennen, eigentlich hat.