Amos Oz: "Liebe Fanatiker. Drei Plädoyers"
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler,
Berlin, Suhrkamp, 2018,
140 Seiten, 18 Euro
Amos Oz: "Wo die Schakale heulen. Erzählungen"
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler,
Berlin, Suhrkamp, 2018
316 Seiten, 22 Euro
Amos Oz über die "ansteckende Krankheit" Fanatismus
Amos Oz hat Angst um seine Heimat: Mit seinen Essays in "Liebe Fanatiker" setzt sich der Schriftsteller selbstbewusst mit den ultraorthodoxen und nationalistischen Kräften Israels auseinander. Auch seine ersten Erzählungen aus dem Jahr 1965 sind nun endlich auf Deutsch erschienen.
Seit der israelische Autor Amos Oz vor mehr als 15 Jahren an der Universität Tübingen eine Vortragsreihe zum Thema "Fanatiker" hielt, hat das Auftreten dieser speziellen Ausformung menschlicher Spezies weltweit erschreckend zugenommen. Stand Oz damals noch unter dem Eindruck der Zweiten Intifada und der Anschläge von 9/11, so geht es in den drei "Plädoyers" seines neuen Bandes "Liebe Fanatiker" vor allem auch um den Fanatismus der politischen Rechten in Israel.
Essays aus existenzieller Betroffenheit
Der Autor betont, dass seine Essays sich nicht wissenschaftlicher Untersuchung, sondern existenzieller Betroffenheit verdanken. Man spürt: Amos Oz hat Angst. Dass die Zeit davonläuft und die Zukunft seiner Heimat Israel, mit der er sich zutiefst verbunden fühlt, im 70. Jahr der Staatsgründung akut gefährdet ist.
Amos Oz entwirft das Profil des Fanatikers unabhängig von Religion oder politischer Anschauung. Er betrachtet Fanatismus als "schlechtes Gen", als Bestandteil der menschlichen Natur, aber auch als "ansteckende Krankheit". Deren Charakteristikum sei der Unwille zu diskutieren, völlige Humorlosigkeit, die Unfähigkeit, Unterschiede auszuhalten, Abscheu gegenüber Diskursen, die als "hegemonial" empfunden werden, Mangel an Toleranz gegenüber Andersdenkenden, Selbstmitleid, fehlendes Ego.
Vielzahl moralischer Argumente
Hingegen macht der Autor Neugier, Fantasie und Humor als "Teilimmunisierung" gegen Fanatismus aus. Die Vielzahl moralischer Argumente gegen Fanatismus reduziert Oz auf einen Satz: "Du sollst niemandem Schmerz zufügen."
In der Auseinandersetzung mit ultraorthodoxen und nationalistischen Kräften in Israel positioniert sich Oz als selbstbewusster Israeli, der eine Kultur des Abwägens und Überzeugens, des miteinander Redens starkmacht gegenüber einer des Gehorsams. Was "jüdisch" ist, will er sich nicht von Religiösen diktieren lassen. Im Gegenteil: Die kreative Kraft, die zur Errichtung des Staates und zur Entwicklung seiner Kultur geführt hat, sieht Oz als Verdienst des säkularen, modernen und pragmatischen Zionismus.
Erste Erzählungen aus den 1960er-Jahren
Seine ersten Erzählungen aus den frühen 1960er-Jahren "Wo die Schakale heulen" führen genau in jene Zeit zurück, in der von religiösem Fanatismus und Anspruch auf ein Groß-Israel nichts zu spüren war. Sie erscheinen gerade zeitgleich mit seinen Essays. Die meisten der Geschichten spielen im Kibbuz – dort, wo die neue Gesellschaft sich beispielhaft formierte.
Aber schon der junge Erzähler Oz sitzt keinen staatstragenden Ideologien auf. Seine Figuren, gleichwohl Mitglieder eines Kollektivs, tragen individuelle Züge, sind keine Propaganda-Kibuzzniks. Sie versuchen ein Selbstverständnis zu finden zwischen europäischem Erbe und bäuerlichem Alltag in einem jungen Gemeinwesen, zwischen Pionierethos und persönlichen Leidenschaften.
Großartige Naturschilderungen, knappe Dialoge
Großartige Schilderungen der Natur, knappe Dialoge, mit kraftvollen Strichen gezeichnete Charaktere, ständig wechselnde Erzählhaltungen - diese spätexpressionistische Prosa ist der Rohdiamant aus dem Amos Oz schließlich sein großartiges Erzählwerk geschliffen hat.
Am Beispiel dieser Prosa kann man belegen, dass die Wiederbelebung der hebräischen Sprache, die der Autor für nicht weniger bedeutsam hält als die Erschaffung des Talmud, tatsächlich Entscheidendes leistet. Amos Oz setzt in seinen Texten ganz dezidiert eine kulturelle jüdische Identität gegen eine religiöse oder ethnische. Und prophezeit: Nur diese ermögliche den Fortbestand Israels.
Falls aber die derzeitige Regierungspolitik, die Gewalt und Fanatismus begünstige, fortgesetzt würde, gäbe es am Ende einen arabischen Staat: vom Mittelmeer bis zum Jordan.