Notfallplan für den Klimawandel
Heftige Gewitter, Stürme, Hitze – wir stecken schon mitten im Klimawandel sagen Forscher. Einige Städte trifft es besonders hart. In Stuttgart und Karlsruhe versucht man mit Anpassungsstrategien das Schlimmste zu verhindern. Doch die Wirtschaft blockiert Umweltvorhaben immer wieder.
Heftige Regengüsse und Gewitter verwandelten in diesem Sommer so manche Straße in einen Bach. Der Klimawandel macht sich in vielen Städten bemerkbar. Manche Regionen sind aber stärker betroffen als andere, erklärt Dr. Hans Schipper, Leiter des Süddeutschen Klimabüros am Karlsruher Institut für Technologie (KIT):
"Das Klima ist in der ganzen Welt unterschiedlich. Jeder ist unterschiedlich betroffen. Die Städte in der Rheinebene, in Baden-Württemberg, müssen sich sehr mit Hitze auseinandersetzen. Städte an der Küste müssen sich mit Hochwasserschutz auseinandersetzen, Gegenden, wo es sehr trocken ist, müssen sich mit Trockenheit auseinandersetzen."
Buchstäblich tödliche Hitze
Auch Dr. Ulrich Reuter, Leiter Abteilung Stadtklimatologie im Stuttgarter Amt für Umweltschutz, warnt vor Hitzestress:
"Der Sommer 2003, der ja ein extrem heißer Sommer war für unsere Verhältnisse, das wird in der Zukunft die Regel sein. Und im Sommer 2003 sind in Mitteleuropa, Schwerpunkt war Frankreich, aber Deutschland natürlich auch, etwa 70.000 vorzeitige Todesfälle zu verzeichnen gewesen. Das heißt, die Sommerhitze im Jahr 2003 war eigentlich für Mitteleuropa, die größte je da gewesene Naturkatastrophe."
Stuttgart, eine der heißesten Städte Deutschlands
Ulrich Reuter ist Meteorologe und leitet die Abteilung Stadtklimatologie im Stuttgarter Amt für Umweltschutz. Eine eigene Fachabteilung für Stadtklimatologie gibt es in keiner anderen Kommune. Das hat seinen Grund: Schon immer zählt Stuttgart zu den wärmsten Städten Deutschlands. Das liegt vor allem an der topografischen Lage der Landeshauptstadt.
Vom Dach der mehrgeschossigen Umweltbehörde ist die Lage Stuttgarts besonders gut zu erkennen:
"Wir sehen sehr deutlich hier den Talkessel, mit der dichten Bebauung, gut erkennbar sind die Hanglagen mit der vergleichsweise geringen Bebauung. Die Hanglagen sind relativ grün, das ist auch Folge der klimagerechten Planung, das hat der Gemeinderat schon immer sehr ernst genommen."
Immer mehr Hitzetage
Schon heute gibt es immer an einzelnen Tagen Hitzerekorde. Ab Mitte des Jahrhunderts könnten bereits bis zu 70 besonders heiße Tage im Jahr auftreten. Dies geht aus einer im Juni veröffentlichten Modellrechnung des Deutschen Wetterdienstes für Stuttgart hervor.
"Durch diese Untersuchung hat das Klima einen, ich sage mal, einen zusätzlichen Schub bekommen, die Bedeutung ist dreimal zusätzlich unterstrichen. Das heißt, wir müssen auf das Klima Rücksicht nehmen. Wir können nicht sagen, die wirtschaftlichen Belange sind alleine wichtig, sondern das Klima ist genauso wichtig und es geht wirklich um die Lebensqualität der Bevölkerung und der Arbeitenden hier in der Stadt."
Die Wirtschaft übt Druck auf die Politik aus
Doch die Wirtschaft hat in Baden-Württemberg und vor allem in der Region Stuttgart großen Einfluss. Die Drohung, es gingen Arbeitsplätze verloren, zieht nahezu bei jedem Thema, wie die aktuelle Diskussion um Fahrverbote zeigt.
Ein zunächst von der grün-schwarzen Landesregierung geplantes Fahrverbot wurde vor allem auf Druck der Wirtschaft wieder abgesagt.
Wie in anderen Großstädten auch fahren hunderttausende Pendler unter der Woche durch Stuttgart. Doch nirgendwo sonst sind die Luftschadstoffwerte so hoch wie in der baden-württembergischen Landeshauptstadt, die EU- Grenzwerte für Stickoxid und Feinstaub werden regelmäßig überschritten.
Feinstaubalarm in Stuttgart
Als erste Stadt hat Stuttgart für besonders belastete Tage den "Feinstaubalarm" eingeführt. Eine Aufforderung an alle Autofahrer, das Auto stehen zu lassen und auf Bus und Bahn umzusteigen. Dabei hängen schlechte Luftqualität und heiße Tage unmittelbar zusammen, der Grund ist der fehlende Wind im Talkessel.
"Aufgrund der Höhenunterschiede, die wir in der Stadt haben, und aufgrund der Tatsache, dass eben im Umland noch viele Freiflächen sind: Ackerflächen, Wiesenflächen, auch Wälder, kommt es dazu, dass in der Nacht sich diese Freiflächen stärker abkühlen als die Stadt selber. Kalte Luft ist schwerer als warme Luft, und deswegen hat sie das Bestreben, über die Hanglagen beziehungsweise durch Taleinschnitte, in die Stadt abzufließen."
Bausünden der Vergangenheit verschlechtern das Klima
Die kühlen Lüfte von den Hängen sind vor allem in Hitzeperioden die einzige Chance, ein wenig Frischluft in die Stadt zu bekommen. Doch die im Grünen gelegenen Hanglagen sind bevorzugte Wohngegenden was klimatechnisch ein Problem darstellt. Schon lange sitzen deshalb bei Bauplanungen die Klimaexperten aus dem Umweltamt mit am Tisch. In Stuttgart gelte es vor allem den sogenannten Kaltluftabfluss zu sichern, erklärt der Leiter der Behörde:
"Nun kann ich natürlich nicht die Stadt abreißen, ich kann nicht sagen, wir machen alles platt und bauen alles neu. Insofern gibt es leider auch Bausünden aus der Vergangenheit. Zu sichern heißt, möglichst die Bereiche möglichst von Bebauung frei zu halten, also keine neuen Gebäude da reinsetzen."
Freiflächen für frischen Wind
Kompromisslösungen gebe es bisweilen bei der Geschosshöhe der Häuser. Kürzlich hat das Amt ein bereits geplantes Neubaugebiet aus dem Flächennutzungsplan gestrichen. Dabei handelte es sich um eine Gegend in der Nähe des Stuttgarter Flughafens, also über dem Talkesselrand:
"Aus klimatischen Gründen, weil wir gesagt haben, das sind Gebiete, die zur Frischluftversorgung beitragen und die sollte man nicht bebauen."
Noch viel mehr Dächer als bisher will man in Stuttgart begrünen, auf freien Plätzen Bäume pflanzen und weitere Gleisbetten der Stadtbahnen sollen bepflanzt werden.
Politik zwischen Wirtschafts- und Umweltinteressen
Die ganze Region Stuttgart steht vor großen Herausforderungen, denn die vorhergesagte Zunahme von heißen Tagen in der Landeshauptstadt treffen auch große Wirtschaftsunternehmen im Speckgürtel der Metropole, wie etwa Daimler und Bosch. Mitarbeiter brauchen Wohnungen, viele Unternehmen müssen aufgrund des anstehenden Transformationsprozesses in der Automobilindustrie neue Gebäude bauen. Thomas Kiwitt, Leitender Technischer Direktor des Verbands Region Stuttgart:
"Wir haben hier Wachstumsanforderungen, wir müssen neue Flächen unterbringen, aber müssen die Sicherheit gewährleisten, und wir tun das in einer Situation, die neben der Topografie Besonderheiten aufweist. Die 2,7 Millionen Menschen leben verteilt auf 179 Gemeinden."
Der gesamte Raum Stuttgart mit knapp 180 Gemeinden zählte zu einer von acht bundesweiten Modellregionen, in denen verschiedene Klimaszenarien mit möglichen Lösungen berechnet wurden. Ein Ergebnis der Studie: Die Siedlungsentwicklung in der Region wird künftig koordinierter auf Extremwetterlagen ausgerichtet.
"Und hier kommt die Regionalplanung ins Spiel. Wir haben hier die Aufgabe, für diese 179 Gemeinden, die Raumentwicklung vorzustrukturieren, wir können entsprechende Vorgaben für die Bauleitplanung machen, können definieren, wo klimarelevante Bereiche freigehalten werden."
Stuttgarts Klimapolitik – Vorbild für andere Städte
Die Strategie der Region gilt dabei als beispielhaft und wird von vergleichbaren Gebieten innerhalb Europas, etwa in Polen, übernommen:
"Auch dort gibt es Industriegebiete in Flusslagen, aber noch viel stärker, die Herausforderung von Hitzeinseln, dort sehr stark verdichtete Wohngebiete aus sozialistischer Zeit. Natürlich ist dort auch die Situation jetzt, neue Wohnbauformen anzubieten, die natürlich auch klimagerecht sein sollen."
Karlsruhe – doppelt so viele Hitzetage
Die Stadt Karlsruhe hat als eine der ersten Kommunen in Deutschland eine eigene Anpassungsstrategie an den Klimawandel gemeinsam mit Wissenschaftlern erstellt.
Seit 1878 haben sich in der badischen Stadt die Tage mit Temperaturen über 25 Grad verdoppelt. Wie in Stuttgart rechnet man auch in der Rheinebene bis Mitte des Jahrhunderts mit extremen Hitzetagen. Metereologe, Doktor Hans Schipper, erfasst jede Veränderung des Wetters mit seinen Messgeräten:
"Wir sehen hier einen 200-Meter-Mast, darauf sind schon seit über 40 Jahren Messinstrumente des Instituts, da werden von Temperatur über Windgeschwindigkeit und Feuchtigkeit auch verschiedene Höhen gemessen. Besonders wenn das über so eine lange Periode geht, kann man wirklich Trends erkennen und das ist ein großer Unterschied zu Stationen, die nur ein paar Jahre da steht."
Doktor Hans Schipper leitet das Institut für Meteorologie und Klimaforschung am Karlsruher Institut für Technologie. Das Süddeutsche Klimabüro gehört als eines von vier regionalen Helmholtz Klimabüros zum Institut. Aufgabe der Forscher ist es, eine Brücke von der Wissenschaft zur Gesellschaft zu bilden. Der Mast mit den Messeinrichtungen steht auf dem Universitätsgelände auf der Gemarkung Eggenstein-Leopoldshafen rund 12 Kilometer nördlich von Karlsruhe.
"Die Erwärmung kann man auf jeden Fall auch aus den Messungen feststellen. Man sieht, dass die Temperatur auch da ansteigt, das ist regional immer unterschiedlich als global, aber man sieht bei so langen Zeitreihen, dass man da öfters mit höheren Temperaturen zu tun hat als früher."
Hitze lockt Pflanzen und Tiere aus dem Süden an
Das Team um Meteorologe Schipper steht mit weiteren Wissenschaftlern der Stadt Karlsruhe bei der Umsetzung der Anpassungsstrategie zur Verfügung. Dabei ist die Ausgangslage ähnlich wie in Stuttgart, allerdings betrifft es im Badischen die gesamte Rheinebene, auch Städte wie Freiburg haben schon heute extrem viele heiße Sommertage.
Über den Alpenrhein sind schon jetzt Pflanzen und Tiere nach Baden-Württemberg gekommen, die im Südwesten bislang nicht heimisch waren. Aufgrund des wärmeren Klimas bleiben sie:
"Da gibt es die berühmte Tigermücke, die dann Dengue–Fieber übertragen kann. oder die Ambrosia-Pflanzen, die sehr allergen sind zum Beispiel. Das wird nicht von heute auf morgen gleich explosionsartig zunehmen, trotzdem sieht man da einen Trend, dass so etwas zunimmt. Gerade die wärmeliebende Sorten, sind hier mehr als früher vorhanden. Da müssen wir schauen, wie gehen wir damit um."
Zügig handeln, sonst wird es teuer – und heiß
Klimaforscher Schipper mahnt auch andere Städte zur Eile, bei der Suche nach Strategien an die Folgen des Klimawandels voranzukommen:
"Man muss da auf jeden Fall schon sehr zügig jetzt handeln. Desto mehr wir warten, desto mehr Geld kostet das einfach auch. Weil irgendwann die negativen Folgen des Klimawandels so offensichtlich werden, für Landwirtschaft, für Forstwirtschaft, dass es einfach sehr viel Geld kostet."
(leicht gekürzte Onlinefassung: mw)