Feridun Zaimoglu: Evangelio
Kiepenheuer & Witsch, 345 Seiten, 22 Euro
In Luthers Bibel bebt die Welt
Mit klingender Sprache, erstaunlichem Kenntnisreichtum und dramatischer Zuspitzung erzählt Feridun Zaimoglu von einem großen Deutschen, einer Zeit im Umbruch und der Macht und Ohnmacht des Glaubens – von Martin Luther und dem Spätmittelalter.
4. Mai 1521 bis 1. März 1522: Martin Luther hält sich auf der Wartburg auf. Gänzlich unfreiwillig, denn er ist auf Geheiß des Kurfürsten von Sachsen in Gewahrsam genommen worden. Dort sieht er sich größten Anfechtungen ausgesetzt, vollbringt aber auch sein größtes Werk: In nur zehn Wochen übersetzt er das Neue Testament ins Deutsche.
Feridun Zaimoglu begibt sich in die Zeit, auf die Burg und in die Kämpfe, die der Verdolmetscher auszufechten hat. Dazu bedient er sich eines Ich-Erzählers, der zwar eine erfundene Figur, aber äußerst faszinierend ist: Landsknecht Burkhard, ein ungeratener Kaufmannssohn, ist Martin Luther zum Schutze an die Seite gestellt. Seine Perspektive ist es, die den Blick auf das Leben, das Streben und die Qualen des Reformators eröffnet.
Burkhard selbst ist Katholik und Anhänger des alten Brauchs und sieht Luthers Wirken mit Sorge. Er will nicht abfallen, nicht mit der Sitte brechen und muss doch den, der dieses tut, schützen und bewahren. Ja, er muss Luther sogar begleiten, als dieser heimlich die Burg verlässt und sich bei Melanchthon in Wittenberg aufhält. Und er muss Luther beistehen, als ihn die sogenannte Teufelsbibel in schlimmste Teufelsvisionen stürzt.
Auf der Wartburg ist es richtig finster
"Ich wollte diese versunkene Welt auch darstellen", sagt Feridun Zaimoglu im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Daher habe er sich entschieden, seinen Roman "Evangelio" im Tonfall eines Martin Luther zu erzählen. Immer wieder habe er dafür Luthers Schriften und dessen Übertragung der lateinischen Vulgata-Bibel studiert: "In der Luther-Bibel, da bebt die Welt."
Zudem lebte Zaimoglu eine Zeitlang an Originalschauplätzen. Auf der Wartburg sei es nachts nicht dunkel, sondern "richtig finster" - da habe man Angst! Schließlich habe er für den Roman "diese Kunstsprache aus alten deutschen Worten" entwickelt, was der Autor pathetisch so ausdrückt: "Die glühenden Worte fand ich, nachdem ich den Fieberwahn überlebt hatte."
Für ihn sei es wichtig gewesen, Luther in seiner katholisch geprägten Frömmigkeit ernst zu nehmen, betont Zaimoglu: "Luther fühlte sich auf der Wartburg vom Teufel versucht. Darüber kann man lachen, ich tat es nicht."
Wegen seiner "Wortgewalt" zähle Zaimoglu Martin Luther zusammen mit Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen zu den "Helden der deutschen Sprache", wobei er dem Reformer eine Sonderrolle zugesteht: "Luther hat die Lesbarkeit der Welt über die Lesbarkeit der Schrift hergestellt."