Was eine Jazz-Talkshow von '68 über '68 erzählt - und was nicht
Fünfzig Jahre nach 1968 werfen wir einen Blick auf Werke aus dem ikonischen Jahr: Deuteten sie vielleicht schon an, was 1968 im Rückblick sein würde? Wolfgang Seidel, Gründungsmitglied von Ton Steine Scherben, hat eine Ausgabe der TV-Sendung “Swing-in“ angeschaut.
Die Sendung "Swing-In" beschäftigt sich mit dem Thema "Pop Jazz, Free jazz": Es treten auf Klaus Doldinger – als Zeuge der Anklage, wie Seidel die Platzierung der Diskutanten interpretiert und Peter Brötzmann – als Angeklagter. Sie geben die Vertreter zweier Schulen des Jazz und verantworten sich vor einer Kritiker-Runde, mit Siegfried Schmidt-Joos als Oberstem Richter. Angekündigt werden sie als Vertreter des "verständlichen Jazz" – Doldinger – und des Free Jazz – Brötzmann – einer Richtung, die im leeren Raum die Freiheit suche. Die Sprache sei sehr umstritten und spreche einstweilen noch ein kleines Publikum an.
Free Jazz und Fluxus
Seidel spielte selbst mit Conrad Schnitzler im Live-Klub Zodiak in Berlin. War das beeinflusst vom Free Jazz?
"Das war eher beeinflusst von gemeinsamen Quellen wie Fluxus. Conrad Schnitzler kam aus Düsseldorf und war mit Nam June Paik und all diesen Leuten bekannt und brachte genau diese Fluxus-Ideen mit hinein, wo die Jazzer eher am Rande waren: Doldinger war nicht der einzige, der da auf das Handwerk pochte. Selbst die Free Jazzer hatten so einen Hang zur Akademisierung, weswegen ihnen dann auch die Krautrocker, was die Öffentlichkeitswirksamkeit angeht, den Rang abliefen."
Seidel merkt an, die in der Sendung angesprochene Jazz-Öffentlichkeit sei ja gar nicht so groß gewesen, der Jazz gar nicht so populär gewesen. Ihm fällt beim Ansehen der Sendung auf, dass die Diskutanten redeten, als gäbe es gar kein Außen.
Als gäbe es kein Außen
"Wovon eigentlich frei? Was meint der mit frei? Man müsste ja auch ein Wort dazu sagen! Über die gesellschaftlichen Entwicklungen, die damals ja schon mächtig Fahrt aufgenommen hatten. Und das ignoriert diese Runde komplett. Sie bleibt nur in so innermusikalischen Geschichten. Und das Publikum, von dem die sich erhoffen, dass es zuhört, es hörte zu der Zeit einer ganz anderen Musik zu. Seit Anfang der 60er hörten die Leute, die so die erste echte Nachkriegsgeneration waren, die da 16, 18, 20 Jahre alt waren, Beat-Musik, also vor allem Dingen das, was aus England kam. Und das hatte den Vorteil, nicht so akademisch zu sein, sondern etwas zu sein, was man selber machen kann. Und daraus wurde dann so eine Art Grassroots-Entnazifizierung oder Do-it-yourself-Re-Education."
Das hätte zwar auch Schmidt-Joos im Sinn gehabt, so Seidel weiter:
"Aber als Top-Down-Geschichte – und das kam jetzt von unten – und damit kamen die Akteure nicht unbedingt zurecht, dass die Leute das plötzlich selber in die Hand nahmen."
(mf)