"Elektroauto ist ähnlich schädlich wie ein Diesel"
Der Verbrennungsmotor ist dank einer tricksenden Industrie längst nicht so sauber, wie viele lange dachten. Elektroautos gelten als saubere Alternative. Doch wenn man auch die Produktion von Strom und der Autos mitrechnet, sieht das ganz anders aus, sagt der Leiter des Umwelt- und Prognoseinstituts.
Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen eines kompletten Umstiegs von Diesel- und Benzin- auf Elektromotoren in Kraftfahrzeugen sind umstritten. Während eine aktuelle Studie des Münchner Ifo-Instituts hier große Gefahren sieht, hält eine neue Studie des Fraunhofer-Instituts einen Umstieg ohne Nachteile für den Wirtschaftsstandort Deutschland für möglich.
In einem Punkt aber scheinen sich alle einig zu sein: Für die Umwelt sind Elektrofahrzeuge grundsätzlich die bessere Wahl. Das Umwelt- und Prognoseinstitut, ein gemeinnütziges Forschungsinstitut mit Sitz in Heidelberg, kommt allerdings zu ganz anderen Ergebnissen.
Regenerative Energien ersetzen nur den AKW-Strom
Der Leiter des Instituts, Dieter Teufel, sagte im Deutschlandfunk Kultur, der Ausbau regenerativer Energien ersetze bis 2030 lediglich den Strom, der durch die Abschaltung der Atomkraftwerke wegfalle. Die Verstromung von Stein- und Braunkohle werde im gleichen Zeitraum ungefähr gleich bleiben. Teufel weiter:
"Daraus entsteht bei der Stromerzeugung für die Elektroautos relativ viel CO2. Und wenn man eine Gesamtbilanz macht, Betrieb der Elektroautos und Herstellung der Elektroautos, insbesondere der Batterie, dann ergibt sich, dass ein einzelnes Elektroauto von der Klimawirksamkeit her praktisch ähnlich schädlich ist wie ein Benziner oder Diesel."
Elektroautos sind für die Umwelt nur dann gut, wenn sie mit Wind-, Wasser- oder Solarstrom unterwegs sind. Eine komplette Umstellung auf Elektroautos wäre in der Gesamtbilanz, in der auch der Ressourcenverbrauch bei der Herstellung der Wagen einfließt, laut Teufel vor diesem Hintergrund sogar schädlicher für die Umwelt, als wenn wir einfach nichts tun würden.
Der Steuerzahler zahlt für mehr CO2-Emissionen
Die Automobilindustrie habe sich in den letzten 10, 15 Jahren durch die Umweltgesetzgebung hindurchgemogelt, sagte der Experte. Bei den Elektroautos sei ihr sogar ein "besonderer Coup" gelungen. Denn sie habe durchgesetzt, dass Elektroautos in der EU-Gesetzgebung per definitionem als Null-Emissionen-Fahrzeuge gelten - und sich damit günstig auf die Berechnung des gesamten CO2-Flottenverbrauchs eines Herstellers auswirken.
Die Elektroautos glichen damit die hohen Emissionen der beliebten SUV aus. Zugleich finanziere der Steuerzahler Kaufprämien für Elektroautos in Höhe von 4000 Euro. Das sei "der Einsatz von Steuergeldern zur Erhöhung der CO2-Emissionen, um der Automobilindustrie den Verkauf von großen Fahrzeugen, die über den Grenzwerten liegen, zu ermöglichen", so Teufel.
(ahe/abr)
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: "Studio 9" am Tag des großen Dieselgipfels in Deutschland. Schon vorher wurde viel diskutiert, und die volkswirtschaftlichen Auswirkungen eines kompletten Umstiegs von Verbrennungs- auf Elektromotoren in Kraftfahrzeugen sind und bleiben umstritten in Deutschland, während eine aktuelle Studie des Münchener IFO-Instituts hier große Gefahren für die wirtschaftliche Entwicklung sieht, hält wiederum eine Studie des Fraunhofer-Instituts, die vorgestern erschienen ist, einen Umstieg ohne Nachteile für den Wirtschaftsstandort Deutschland für absolut möglich. In einem Punkt allerdings scheinen sich im Moment alle einig zu sein: Für die Umwelt sind Elektrofahrzeuge grundsätzlich besser. Glaubt man zumindest. Das Umwelt- und Prognoseinstitut, ein interdisziplinäres gemeinnütziges Forschungsinstitut mit Sitz in Heidelberg kam allerdings schon vor zwei Jahren zu etwas anderen Ergebnissen. Der Leiter des Instituts ist Dieter Teufel. Schönen guten Morgen, Herr Teufel!
Dieter Teufel: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Sind denn nun Elektrofahrzeuge grundsätzlich für die Umwelt besser als Diesel- und Benzinfahrzeuge?
Teufel: Leider nicht. Das Problem ist, dass wir in den letzten zehn, 15 Jahren zwar viele Fotovoltaik- und Windenergieanlagen zugebaut haben in Deutschland, dass dieser regenerative Strom aber im Wesentlichen nur die Abschaltung der Kernkraftwerke ersetzt hat. Das wird auch bis 2030 etwa so bleiben. Die Menge an fossiler Energie, also Kohle vor allem, Steinkohle und Braunkohle, wird ungefähr gleich bleiben, und daraus entsteht bei der Stromerzeugung für die Elektroautos relativ viel CO2. Und wenn man eine Gesamtbilanz macht, Betrieb der Elektroautos und Herstellung der Elektroautos, insbesondere der Batterie, dann ergibt sich, dass ein einzelnes Elektroauto von der Klimawirksamkeit her praktisch ähnlich schädlich ist wie ein Benziner oder Diesel.
Kassel: Das heißt, solange wir den Strom so erzeugen, wie wir es immer noch überwiegend tun, und solange die Produktion von Elektroautos so läuft, wie sie bisher läuft, würde ein Umstieg für die Umwelt gar nichts bringen?
Teufel: Er würde für die Umwelt nicht nur nichts bringen, sondern er würde sogar die CO2-Emissionen erhöhen. Das liegt an folgender Situation: Die Automobilindustrie hat sich die letzten zehn, 15 Jahre im Wesentlichen durch die Umweltgesetzgebung hindurchgemogelt. Man sah das jetzt bei den Zusammenhängen, die bei Stickoxiden herauskamen, dann zweitens beim Verbrauch, dass die CO2-Emissionen deutlich höher sind, als auf dem Prüfstand bei der Zulassung der Fahrzeuge gemessen wurde und angegeben wurde. Bei den Elektroautos ist der Automobilindustrie ein besonderer Coup gelungen: Es ist vor allem der Lobby der deutschen Automobilwirtschaft gelungen, bei der EU-Gesetzgebung bei den Grenzwerten für CO2 durchzusetzen, dass Elektroautos nicht mit ihrem realen Emissionsverhalten, das heißt, die CO2-Emissionen, die bei der Stromerzeugung entstehen, eingehen in die Berechnung des Flottenemissionsgrenzwertes, sondern mit einer angeblichen Null-Emission. Sie gelten per definitionem per Gesetz als Nullemissionsfahrzeuge. Und damit können die Automobilfirmen die Grenzwertüberschreitungen bei schweren Fahrzeugen – SUVs, Geländewagen und so weiter – durch die Berechnung der Nullemissionsfahrzeuge, von Elektroautos, ausgleichen. Wenn man das durchrechnet, ergibt sich, dass mit jedem gekauften Elektroauto die Automobilwirtschaft die Grenzwertüberschreitung von etwa sieben großen SUVs kompensieren kann und ohne Strafzahlungen davonkommt.
Kassel: Einen Moment, ich fasse das nochmal zusammen: Das lässt sich im Kopf auch in Prozent ausrechnen. Wenn jetzt Konzern X ein einziges Elektrofahrzeug verkauft, dann kann er gleichzeitig sieben SUVs, die ganz viel Dreck ausstoßen, verkauft werden, und trotzdem ist vom Durchschnittswert immer noch alles in Ordnung aus deutscher und EU-Sicht?
Teufel: Ja. Das gilt im Mittel für die SUVs und Geländewagen, die verkauft werden. Etwa sieben Stück pro Elektroauto können die Grenzwertüberschreitungen kompensiert werden.
Kassel: Aber das bedeutet natürlich, dass so ein Vorschlag, wie er schon von verschiedenen deutschen Automobilkonzernen zu hören war in den letzten Tagen, nämlich dass die Bundesregierung und damit am Ende wir Steuerzahler jetzt beim Umstieg aufs Elektroauto auch noch helfen soll, das hat dann ja noch viel mehr ein Gschmäckle als bisher schon.
Teufel: Ja, das ist das Problem. Es ist der Automobilindustrie nicht nur gelungen, über ihre guten Kontakte zum Bundeskanzleramt und zu der EU-Kommission das in EU-Gesetzgebung zu implementieren, sondern es ist ihr sogar gelungen, die öffentliche Diskussion entsprechend zu beeinflussen. Sogar die Grünen haben lange Jahre geglaubt und glauben es heute noch, dass Elektroautos die CO2-Emissionen reduzieren. Es führt dazu, dass jetzt der Steuerzahler – er gibt ja 4.000 Euro an Kaufprämie für jedes neu gekaufte Elektroauto aus, das ist ein Einsatz von Steuergeldern zur Erhöhung der CO2-Emissionen, um der Automobilindustrie den Verkauf von großen Fahrzeugen, die über den Grenzwerten liegen, zu ermöglichen.
Kassel: Aber könnte dann jetzt nicht bei den E-Autos das Gleiche passieren wie bei den Dieselfahrzeugen? Da hat man ja auch versucht, den Leuten einzureden, die seien umweltfreundlicher, was eigentlich schon vom Grundgedanken her immer schon relativ absurd war. Und durch diesen Trick bei der Mineralölsteuer war dann Diesel billiger als Benzin – war er nicht, ist er immer noch. Das erinnert mich fast eins zu eins an die Masche, die jetzt beim Diesel eine Weile lang funktioniert hat und jetzt gerade erst aufgeflogen ist.
Teufel: Ja. So kann man es sehen. Wobei es bei den Elektroautos natürlich noch insofern raffinierter ist, als man dem unbedarften Zuschauer oder Zeitungsleser leicht vermitteln kann, dass ein Elektroauto, das keinen Auspuff hat, natürlich kein CO2 macht als einzelnes Auto. Und die Zusammenhänge sind halt ein bisschen komplizierter, weil die CO2-Emission kommt nicht aus dem Auspuff des Elektroautos, die kommt aus den Kaminen der stromerzeugenden Kraftwerke. Und über diese Kompensationsregelung, über diesen Trick in der EU-Gesetzgebung, dass ein Elektroauto als Nullemissionsfahrzeug gilt, über einen Berechnungstrick, dass dann unter dem Strich bei der Ermittlung des Flottenverbrauchs, der Flottenemission das so eingerechnet wird, dass die Automobilwirtschaft dann unter den Grenzwerten liegt. So war es gedacht. Jetzt ist es ja so, dass die Zahl der Elektroautos deutlich niedriger ist, als sie mal geplant war, sowohl der Verband der Deutschen Automobilindustrie als auch Bundeskanzlerin Merkel als auch viele andere dachten, wir haben bald eine Million Elektroautos auf unseren Straßen fahren. Damit hätte man die Grenzwertüberschreitungen deutlich und gut kompensieren können. Jetzt ist das trotz Kaufprämie und trotz vieler Bemühungen und trotz vieler Diskussionen nicht gelungen, und das bedeutet, dass die Automobilindustrie ein großes Problem haben wird, die neuen Grenzwerte, die ab 2019/2020 gelten, die CO2-Grenzwerte der EU einzuhalten.
Kassel: Das ist, glaube ich, ganz viel Stoff, den Sie jetzt geliefert haben, über den wir mal ganz in Ruhe nachdenken sollten. Und über eines bin ich mir schon jetzt sicher: Morgen früh können wir feststellen, das war bei dem Gipfeltreffen heute vermutlich kein Thema. Das vermuten Sie auch, nehme ich an, oder?
Teufel: Na ja, vielleicht so als Ausblick, wie es bisher schon war: In Zukunft lösen sich alle Probleme von selbst. Wir stellen auf Elektromobilität um, dann wird alles wunderbar. Ich denke, dass in so einer Art und Weise die Elektromobilität auch heute ein Thema sein wird, als Hoffnung auf die Zukunft, das sich sozusagen von selbst löst, und das ist leider nicht der Fall.
Kassel: Herzlichen Dank. Dieter Teufel war das. Er ist der Leiter des Umwelt- und Prognoseinstituts in Heidelberg. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Teufel: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.