Geburtsstunde des Ur-Fahrrads

Wie Karl Drais die "Draisine" erfand

Historische Darstellung des hölzernen Laufrads Draisine, konstruiert 1817 von dem Erfinder Karl Friedrich Freiherr von Drais von Sauerbronn (1785-1851).
Eine historische Darstellung des Erfinders Karl Drais mit seiner "Draisine". © picture alliance / dpa
Von Uschi Götz |
Der wegen Missernten gestiegene Haferpreis soll den badischen Forstbeamten Karl Drais 1812 dazu inspiriert haben, nach Alternativen zum Pferd als Fortbewegungsmittel zu suchen. Seine "Draisine" präsentierte er 1817 erstmals der Öffentlichkeit.
"Ich nehme einmal an, der Vater hat ihn zu sozial erzogen. Er hatte ja auch dieses demokratische Ideal, dass alle Menschen gleich seien. Hat dann durchaus mit niederen Ständen fraternisiert, was man als Adelsmann nicht tun sollte."
Als ältestes von fünf Kindern kam Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn am 29. April 1785 in der damaligen Residenzstadt Karlsruhe zur Welt.
Später, während der Badischen Revolution, legte er als überzeugter Demokrat seinen Adelstitel ab und nannte sich nur noch Karl Drais. Viel weiß man aus seiner Kindheit und Jugend nicht. Nur, dass er kein guter Lateinschüler war und die Oberschule mit einem Realschulabschluss verlassen hat:
"Die Zukunft als Jurist, als Hofbeamter war damit schon beendet. Er hat dann den Forstdienst aufgedrückt gekriegt, von seinem Paten, dem Großherzog."

Förster ohne Forstamt

Von der Fachwelt bisweilen nicht unumstritten hat Technikhistoriker Professor Hans-Erhard Lessing das Leben von Karl Drais nachgezeichnet. Ein richtiger Förster wurde er nie.
Drais wurde 1811 bei vollen Bezügen vom Forstdienst freigestellt. Der Vater hatte längst das Potenzial seines Sohnes erkannt und holte ihn zu sich nach Mannheim, wo er mittlerweile als Oberhofrichter tätig war:
"Der hat ihn gefördert, wo er nur konnte. Der Vater war ein Schöngeist, hat überall Literaturgesellschaften gegründet, der Sohn war eben ein Technikfreak."
Karl tüftelte vor sich hin. Auf ihn gehen etliche Erfindungen zurück. So hat er unter anderem eine Koch- und eine Schreibmaschine erfunden. Auch einen Klavierrekorder hat er weiterentwickelt:
"Das gab es schon mit Pinselstrichen, und er sagt, er hat auch noch die Lautstärke dazu gepackt. Es gibt auf dem Handy heute so Apps, da sieht man die Musik in so senkrechten Strichen runterlaufen, das war genau das Prinzip auf Papier damals von diesen Klavierrekordern."

Gestiegener Haferpreis als Auslöser?

Die ersten Gedanken in Sachen Laufrad sollen ihm beim Anblick eines sogenannten Muskelkraftwagens gekommen sein, wie sie damals in den herrschaftlichen Gärten zum Einsatz kamen:
"Hinten stand ein Lakai, der hat so Pedale niedergetreten, vorne saß der Herrscher und hat gelenkt."
Karl Drais hielt die Konstruktion wohl für optimierfähig:
"Und als 1812 eine erste Missernte erfolgte und der Haferpreis, der damals den Pferdeverkehr geregelt hat wie heute der Ölpreis den Autoverkehr, in die Höhe ging, kam er auf die Idee und sagte: Da mache ich weiter, und hat dieses Muskelkraftwägelchen radikal vereinfacht zu einem Tretrad."
Die Draisine ist eine Laufmaschine für Erwachsene: Diese hier steht vor dem archäologischen Museum in Lecce in Italien.
Die Draisine ist eine Laufmaschine für Erwachsene: Diese hier steht vor dem archäologischen Museum in Lecce in Italien.© imago / Michael Eichhammer
Beim Wiener Kongress blitzte Drais mit seiner Erfindung noch ab, und wandte sich zunächst wieder anderen Tüfteleien zu.
1816, in die Geschichte als Jahr ohne Sommer eingegangen, sollte die Wende bringen. Als Folge des Vulkanausbruchs Tambora in Indonesien kam es zu Ernteausfällen und nachfolgend zu einer großen Hungersnot. Pferde wurden geschlachtet und so griff Drais die Idee seines Zweirads wieder auf. Diese These vertritt zumindest Technikhistoriker Lessing. 1817 war das Laufrad erstmals öffentlich zu sehen, die Geburtsstunde des Ur-Fahrrads:
"Wir wissen wiederum mangels Tagebuch nicht genau, wie er darauf kam. Er schreibt nur, die Idee sei vom Schlittschuhfahren genommen. Und das revolutionär Neue, das Balancieren, gibt es natürlich schon beim Schlittschuhfahren, wenn man nur auf einem Schlittschuh steht und dann fährt und dann balanciert und nicht umfällt."

Viermal schneller als die Pferdepost

Das aus Holz gemachte Laufrad wog 22 Kilogramm, hatte hinten und vorne zwei gleich große Räder, eine messinggelagerte Achse, einen Gepäckträger und Spitzen zum Parken. Karl Drais fuhr mit seiner Erfindung im Juni 1817 zunächst von Mannheim in Richtung Schwetzingen, später von Gernsbach im Schwarzwald über den Berg nach Baden-Baden.
"Im Oktober war es schon in London in der Zeitung, im November war es in Amerika in der Zeitung. Das Fahrzeug wurde schon allein aufgrund der Zeitungsbeschreibungen raubkopiert, ich schätze mal, dass 5.000 bis 10. 000 weltweit gebaut wurden."
Draisine wurde das Laufrad nach seinem Erfinder benannt. Das Rad war mit 15 Stundenkilometern viermal schneller als die Pferdepost. Schon damals bahnte sich ein Konflikt an, der bis heute geblieben ist:
"Die Jungs, in Deutschland waren es überwiegend Studenten, fuhren halt auf den Gehwegen, die waren wunderbar geblättelt, auch in Mannheim. Während die Fahrbahn von den Fuhrwerken zerfurcht war, also so à la Trambahn - wenn Sie da heute reinkommen, sind Sie ja auch zum Sturz verurteilt."
Das Fahren auf Gehwegen wurde verboten, so war die Attraktivität nicht mehr ganz so groß. Ohnehin war das Ur-Fahrrad eher Wohlhabenden vorbehalten.

Überzeugter Antimonarchist

Karl Drais bekam eine Art Erfinderpension, ging 1822 für fünf Jahre als Landmesser nach Brasilien. Wieder zurück in Deutschland wurde er von politischen Gegnern seines Vaters verfolgt.
"Es wurden mit ihm Schlägereien in Wirtschaften angezettelt, er war Junggeselle, er ging zum Essen in die Kneipe und vermutlich in relativ niedere, dass er das Geld spart für seine weiteren Projekte."
Auch einen Mordanschlag überlebte er und zog für sechs Jahre in den Odenwald. Nach dem Scheitern der Badischen Revolution wurde Karl Drais enteignet, mittlerweile psychisch krank, versuchte man ihn auch zu entmündigen. Seine Schwestern unterstützten ihn finanziell.
Wieder zurück in Karlsruhe starb Karl Drais am 10. Dezember 1851. Lange Zeit wurde der Erfinder des Laufrads als Spinner abgetan, doch mit der Frage nach Alternativen zum Auto bekam seine Konstruktion einen neuen Stellenwert.
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