Ramazan Demir: Unter Extremisten. Ein Gefängnisseelsorger blickt in die Seelen radikaler Muslime
edition a., November 2017
240 Seiten, 21,90 Euro
Blick in die Seele radikaler Muslime
Imam Ramazan Demir ist Leiter der muslimischen Gefängnisseelsorge in Österreich und war sieben Jahre lang Gefängnisseelsorger in der Wiener Haftanstalt Josefstadt. Als einen wesentlichen Grund für Radikalisierung von Jugendlichen sieht er mangelnde Anerkennung und Geborgenheit.
Typische Muster der Radikalisierung unter jungen Muslimen erklärt Ramazan Demir so:
"Ich sehe immer wieder, dass die Personen, die radikal geworden sind, vorher sich wenig mit der eigenen Religion befasst haben. Und dann kommen irgendwelche Hassprediger in Hinterhofräumlichkeiten, wo gepredigt wird und manipuliert wird und Gehirnwäsche gemacht wird. Oder es kommen diese falschen Freunde auf Social Media, die wiederum als Hassprediger fungieren und diese Jugendlichen reinlegen oder besser gesagt in die Irre führen."
Es handele sich oft um Jugendliche, die vor ihrer Radikalisierung wenig Anerkennung und Geborgenheit erfahren hätten. Demir unterscheidet zwischen der kleinen Minderheit der Anführer und der großen Mehrzahl, die er als Mitläufer charakterisiert. "Und gerade bei diesen Mitläufern, da müssen wir andocken und versuchen, sie zu deradikalisieren."
Mehr Vertrauen zu Seelsorgern als zu Sozialarbeitern
Demir ist überzeugt, dass die Gefängnisseelsorge hierfür von großer Bedeutung ist, nicht zuletzt, weil sie der Schweigepflicht unterliegt und sich die jungen Männer ihr gegenüber eher öffneten als gegenüber Sozialarbeitern, Psychologen oder Deradikalisierungsstellen.
"Die Seelsorge ist Menschenrecht. Es ist sehr wichtig, dass jeder Mensch in den Gefängnissen auch Seelsorge bekommt. Und gerade weil die Bedeutung von Religion in Haft auch zunimmt, ist es wichtig, dass dann auch muslimische Seelsorger vor Ort sind, die dann auf Fragen der Muslime eingehen können und sie begleiten können."
In Holland, wo die muslimische Gefängnisseelsorge staatlich gefördert werde, zeige sich, dass die Rückfallraten gesunken seien. Von der österreichischen Politik fühlt sich Demir, der als Initiator der Imame-Deklaration gegen Extremismus und Terror selbst immer wieder von radikalen Islamisten bedroht wird, im Stich gelassen. Daher hat er vorerst seine praktische Arbeit in den Haftanstalten beendet.
Es sei hochproblematisch, dass in Österreich mit seinen starken rechtspopulistischen, antimuslimisch argumentierenden Strömungen keine staatlich finanzierten muslimischen Seelsorger gebe, sondern die muslimische Gefängnisseelsorge bislang fast ausschließlich ehrenamtlich geleistet wird, so Demir. Nur in den Moscheegemeinden gesammelte Spenden würden eine Stelle in Wien finanzieren.