Wie transparent können Geheimdienste sein?
Die Affäre um die Netzpolitik.org-Journalisten vor einem Jahr zeigt, dass Deutschland dringend Regelungen dafür braucht. Dies würde auch die Akzeptanz der Dienste fördern, sagt Ralf Poscher, Jurist und Staatsschutzexperte.
Vor einem Jahr machte die Netzpolitik.org-Affäre Schlagzeilen: Justizminister Heiko Maas entließ Generalbundesanwalt Harald Range nachdem der gegen Journalisten des Portals wegen "Landesverrats" hatte ermitteln lassen. Die Affäre zeige, dass es bis heute "einen Webfehler der Kontrolleinrichtungen" gebe, sagt der Freiburger Jurist und Rechtsphilosoph Ralf Poscher. Sie sei
"sozusagen als ein Symptom zu deuten, nämlich als ein Symptom dafür, dass wir noch dran arbeiten müssen, wie man dieses strukturelle Spannungsverhältnis zwischen einerseits eben Geheimhaltungsbedürftigkeit von Arbeit von bestimmten Sicherheitsbehörden und Demokratie in Einklang bringen kann, denn Demokratie ist ja strukturell auf Öffentlichkeit angelegt."
"sozusagen als ein Symptom zu deuten, nämlich als ein Symptom dafür, dass wir noch dran arbeiten müssen, wie man dieses strukturelle Spannungsverhältnis zwischen einerseits eben Geheimhaltungsbedürftigkeit von Arbeit von bestimmten Sicherheitsbehörden und Demokratie in Einklang bringen kann, denn Demokratie ist ja strukturell auf Öffentlichkeit angelegt."
Welche Kontrollmechanismen greifen noch?
Schwierig sei das Thema auch, wenn es um die Kontrolle von Staatstätigkeiten durch die Gerichte gehe. Dieser Kontrollmechanismus falle weitgehend aus.
"Denn weil die Dinge (Überwachungen) geheim stattfinden, bekommen die Betroffenen das häufig auch gar nicht mit, sodass ein Rechtsschutz da weitgehend ausfällt."
Poscher, der Direktor der Abteilung für Rechtsphilosophie am Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie der Universität Freiburg ist, sagte weiter: Der Fall Netzpolitik.org lege ziemlich gut die strukturellen Probleme offen, die auch Bundestagsabgeordnete in ein Dilemma stürzten. Die Abgeordneten hätten sich mehr oder weniger genötigt gesehen, Informationen an die Presse weiterzugeben, die sie nach geltendem Regeln nicht hätten weiterleiten dürfen. Dies belege, "dass sie keine Möglichkeit sahen, die Öffentlichkeit adäquat über das, was sie erfahren haben, im Rahmen des geltenden Regelungswerks zu informieren."
Es müssten neue Regelungen darüber geschaffen werden, wie die Informationen, die in den parlamentarischen Kontrollgremien an die Parlamentarier gelangen, dann auch an die Öffentlichkeit und in den politischen Prozess gebracht werden könnten. Klare Regelungen mit größtmöglicher Transparenz würden auch zu einer größeren Akzeptanz der Dienste an sich führen,...
"... denn es sind ja auch letztlich unsere Geheimdienste. Es ist ja nicht so, als würden die der Gesellschaft gegenüberstehen, sondern es sind die Dienste, die eben diese Gesellschaft schützen sollen."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Am 13. Mai des vergangenen Jahres eröffnete die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Journalisten des Internetportals netzpolitik.org wegen des Verdachts des Landesverrats. Ein paar Wochen später wurde das dann öffentlich bekannt und führte zu einer aufgeregten Diskussion, in deren Folge der Bundesjustizminister den damaligen Generalbundesanwalt Harald Range in den vorzeitigen Ruhestand versetzte.
Das passierte vor genau einem Jahr, und bald darauf waren dann die Diskussionen ebenso beendet wie die Ermittlungen. Aber die Frage, um die es eigentlich ging, wie nämlich das Bedürfnis nach Geheimhaltung in Einklang zu bringen ist mit dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, die wurde natürlich nie beantwortet. Die wollen wir deshalb jetzt Professor Ralf Poscher stellen, er ist der Direktor der Abteilung für Rechtsphilosophie am Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie der Universität Freiburg. Professor Poscher, schönen guten Morgen!
Ralf Poscher: Ja, guten Morgen!
Kassel: Schon der Begriff Landesverrat, finde ich, klingt ja wie aus einer längst vergangenen Zeit. Ist dieser Begriff und vor allen Dingen der Straftatbestand dahinter heute überhaupt noch angemessen?
Poscher: Ja, wie man den Tatbestand nennt, glaube ich, ist nicht so entscheidend. Ich denke, in der Sache besteht ja kaum ein Zweifel daran, dass wir auch weiterhin ein Bedürfnis haben, geheimhaltungsbedürftige Informationen, die die Sicherheitsdienste erlangt haben, auch geheim zu halten und gerade auch deshalb geheim zu halten, um Gefahren für die Bundesrepublik abzuwehren, sodass – egal wie man den Tatbestand nennt und wenn das mit dem Landesverrat vielleicht ein wenig antiquiert klingt – in der Sache wir auch Schutzmechanismen für diese Geheimnisse der Sicherheitsbehörden brauchen.
Schutz der Geheimdienste - aber auch Schutz der Kontrolle
Kassel: Wir brauchen Schutzmechanismen, damit die Geheimdienste arbeiten können überhaupt, aber wir brauchen auch Schutzmechanismen der Kontrolle, damit sie nicht völlig ohne Kontrolle arbeiten, und das bedeutet ja in gewissen Grenzen auch, die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, was sie tun. Wie kriegt man diesen Widerspruch unter einen Hut?
Poscher: Ja, ich denke auch, dass es ganz richtig ist, diese Affäre sozusagen als ein Symptom zu deuten, nämlich als ein Symptom dafür, dass wir da noch dran arbeiten müssen, wie man dieses strukturelle Spannungsverhältnis zwischen einerseits eben Geheimhaltungsbedürftigkeit von Arbeit von bestimmten Sicherheitsbehörden und Demokratie in Einklang bringen kann, denn Demokratie ist ja strukturell auf Öffentlichkeit angelegt. Und das ist ein Problem, an dem jetzt nicht nur in Deutschland gearbeitet wird.
Auch in Frankreich, wo auch die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden massiv ausgeweitet worden sind, hat man dann auch überlegt, ob man jetzt etwa eine eigene unabhängige Kontrollbehörde einrichtet. Und das ist auch ein Punkt, an dem wir, denke ich, an vielen Stellen noch arbeiten müssen, um das zu verbessern. Das auch deshalb, weil in dem Bereich, in dem geheim gearbeitet wird, ein anderer Kontrollmechanismus, den wir sonst bei der Kontrolle von Staatstätigkeit haben, weitgehend ausfällt, und das ist insbesondere die Kontrolle durch die Gerichte. Denn weil die Dinge geheim stattfinden, bekommen die Betroffenen das häufig auch gar nicht mit, sodass ein Rechtsschutz da weitgehend ausfällt und wir sozusagen dann wenigstens gewährleisten müssen, dass es irgendeine Form von demokratischer Kontrolle über diese Prozesse gibt. Und das zu organisieren, ist natürlich nicht ganz leicht.
Aber auch der Fall zeigt, dass wir da auch strukturelle Probleme haben, denn man muss sich ja klarmachen, der Ausgangspunkt des Falls ist ja, dass Abgeordnete sich gleichsam genötigt sahen, Informationen, die sie nach den geltenden Regeln gar nicht hätten weiterleiten dürfen, an die Presse weitergeleitet haben, also dass unsere Volksvertreter und dann auch noch solche, die explizit damit beauftragt waren, die Geheimdienste – jetzt in diesem Fall dem NSA-Untersuchungsausschuss – zu kontrollieren, dass die keine Möglichkeit sahen, die Öffentlichkeit adäquat über das, was sie erfahren haben, im Rahmen des geltenden Regelungswerks zu informieren. Und das deutet doch auf ein Problem genau auch an dieser Stelle hin.
Kassel: Das man wie lösen kann? Indem man neu definiert, was die Geheimdienste den Kontrollgremien wirklich sagen müssen, oder indem man neu definiert, was die Öffentlichkeit wissen darf?
Poscher: Ja, indem man neu definiert oder indem man neue Regelungen darüber schafft, wie die Informationen, die in den parlamentarischen Kontrollgremien an die Parlamentarier gelangen, dann auch an die Öffentlichkeit und in den politischen Prozess gebracht werden können. Und da gibt es, denke ich, auch strukturelle Probleme. Wenn man sich etwa anschaut das parlamentarische Kontrollgremium, das mit der permanenten Kontrolle der geheimdienstlichen Tätigkeit betraut ist, das kann etwa über Dinge, die ihnen da bekannt geworden sind, nur berichten, wenn mit zwei Drittel Mehrheit zu entsprechenden Wertungsfragen entschieden worden ist. Und das gibt der Opposition praktisch überhaupt keine Möglichkeit, über diese Dinge überhaupt in der Öffentlichkeit sprechen zu können. Das ist, denke ich, in einer parlamentarischen Demokratie, wo Regierungen und parlamentarische Mehrheit ja meist zusammenfallen, einfach ein Webfehler gleichsam der Kontrolleinrichtungen.
Nord-Süd-Gefälle bei der Überwachung
Kassel: Aber reden wir doch mal anhand eines praktischen Beispiels darüber, was in Ihren Augen veröffentlicht werden kann und was nicht, nehmen wir das Beispiel Telefonüberwachung. Ich sehe ja ein, dass jetzt ein Geheimdienst nicht sagen will, ich hab Herrn Müller abgehört und der hat das und das erzählt, obwohl es vor Gericht zur Begründung einer solchen Überwachung vielleicht mal nötig sein könnte, aber hat nicht die Öffentlichkeit grundsätzlich ein Recht zu erfahren, wie funktioniert Telefonüberwachung im Moment und in welchem Ausmaß findet sie statt?
Poscher: Also man muss natürlich im Einzelnen gucken, welche Informationen man da an die Öffentlichkeit geben kann, aber ich denke, es gibt auch ganz gute Beispiele dafür – wenn wir jetzt gerade das Beispiel Telefonüberwachung nehmen: Was die strafprozessuale Telefonüberwachung angeht etwa, hat man schon vor längerer Zeit eingeführt, dass die Statistiken dazu beim Bundesamt der Justiz gemeldet werden müssen, die sind auch öffentlich einsehbar. Und das hat, als man damit begonnen hat, dann auch gleich gezeigt, was das bewirken kann, denn da fiel etwa auf, dass es ein großes Nord-Süd-Gefälle in den Überwachungspraktiken gibt.
Im Süden wurde wesentlich mehr telefonüberwacht als in den nördlichen Bundesländern, und das hat dann auch gleich zu einer politischen Diskussion dieser unterschiedlichen Praktiken geführt. Und ich denke, man kann also etwa statistische Informationen, ohne – jedenfalls zumeist, denke ich – die Geheimbelange zu gefährden, veröffentlichen. Was die technischen Details angeht, da muss man natürlich vorsichtig sein, aber ich denke, auch da kann man sehr wahrscheinlich strukturelle Auskünfte geben, die jetzt die Arbeit der Geheimdienste nicht gefährden. Das muss natürlich im Einzelfall austariert werden, bloß ich denke, was man sagen kann, dass wir sehr wahrscheinlich dann auch nicht an die Grenze dessen gekommen sind, was die Geheimdienstarbeit verunmöglichen würde, sondern dass da gleichsam noch Luft nach oben ist und wir da noch mehr Möglichkeiten haben, Transparenz in die Arbeit der Dienste zu bringen.
Was, ich denke, letztlich auch in ihrem Interesse liegen muss, denn einmal denke ich, ist es wichtig, dass man die Art und Weise, wie wir darüber sprechen, dann auch in geregelte Bahnen bringt, also dass sich Abgeordnete eben nicht genötigt sehen, Informationen an den Regeln vorbei weiterzuleiten, sondern dass die institutionelle Mechanismen haben, in denen dann auch wieder überwacht werden kann, dass da nicht zufällig dann doch Dinge veröffentlicht werden, die dann auch wirklich die Arbeit der Dienste behindern. Und andererseits, weil es auch zu einer sehr wahrscheinlich sehr viel größeren Akzeptanz der Maßnahmen und auch Akzeptanz der Dienste führt, denn es sind ja auch letztlich unsere Geheimdienste. Es ist ja nicht so, als würden die der Gesellschaft gegenüberstehen, sondern es sind die Dienste, die eben diese Gesellschaft schützen sollen …
Arbeit der Dienste würde profitieren
Kassel: Das ist ein wichtiger Punkt.
Poscher: Und ich denke, davon würde auch die Arbeit der Dienste selbst profitieren. Also häufig hört man etwa, dass man gegenüber solchen Regelungsvorschlägen, wie etwa, dass die Minderheitenrechte in diesen Kontrollgremien ausgeweitet werden, dass man davor zurückschreckt, weil man fürchtet, dass die Arbeit der Dienste dann politisiert werden könnte, aber ich denke, genau das sollte eben auch geschehen. Wir müssen uns eben auch politisch darüber Gedanken machen können, wie wir diese Dienste gestalten wollen, und ich denke, das führt die Dienste natürlich dann mehr in den demokratischen Prozess ein, aber ich denke, verankert sie dann auch demokratischer, und letztlich wird davon auch die Arbeit der Dienste selbst profitieren.
Kassel: Wie viel Geheimhaltung behindert die Kontrolle und wie viel Kontrolle behindert die Arbeit von Geheimdiensten? Darüber sprachen wir mit dem Juristen Ralf Poscher von der Universität Freiburg. Professor Poscher, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!
Poscher: Ja, besten Dank, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.