Georges-Arthur Goldschmidt: Die Hügel von Belleville. Eine Erzählung
S. Fischer, Frankfurt/M 2018
173 Seiten, 12 Euro
Rückkehr in das Land der Besiegten
Als zehnjähriger Junge floh Georges-Arthur Goldschmidt 1938 aus Deutschland. In "Die Hügel von Belleville" schildert er seine Eindrücke von einem Land, in das er nach dem Krieg als französischer Soldat zurückkehrte.
"Das Deutsche lässt nie etwas aus, kümmert sich um alles, zählt jede Kleinigkeit auf und beschreibt auf diese Weise, wie man herauf- oder herunterkommt, wie man etwas hinlegt oder -stellt, wie man je nach Funktion die Zeitwörter ordnet, alles ist immer genau und scharf abgegrenzt, da, wo das Französische sich mit Anspielungen begnügt, da es doch jeder versteht, bevor man zu Ende geredet hat."
Georges-Arthur Goldschmidt, der am 2. Mai 90 Jahre alt wird, hat diese Sätze zuerst auf französisch geschrieben und veröffentlicht, danach selbst übersetzt. Die Erzählung "Die Hügel von Belleville", die nun kurz vor seinem 90. Geburtstag erschienen ist, kann als Geschenk gelesen werden – an die deutsche Sprache und diejenigen, die sie nicht lediglich "beherrschen" wollen. Denn diese Prosa ist in einer "geretteten Sprache" geschrieben – vor jenen gerettet, die 1938 den zehnjährigen Jürgen-Arthur aus Reinbek weggetrieben und aus dem evangelisch getauften Kind einer assimilierten jüdischen Familie einen im Wortsinn sprachlosen Flüchtling gemacht hatten, der schließlich in einem Internat in den französischen Savoyen ein fragiles Exil fand.
Georges-Arthur Goldschmidt, der am 2. Mai 90 Jahre alt wird, hat diese Sätze zuerst auf französisch geschrieben und veröffentlicht, danach selbst übersetzt. Die Erzählung "Die Hügel von Belleville", die nun kurz vor seinem 90. Geburtstag erschienen ist, kann als Geschenk gelesen werden – an die deutsche Sprache und diejenigen, die sie nicht lediglich "beherrschen" wollen. Denn diese Prosa ist in einer "geretteten Sprache" geschrieben – vor jenen gerettet, die 1938 den zehnjährigen Jürgen-Arthur aus Reinbek weggetrieben und aus dem evangelisch getauften Kind einer assimilierten jüdischen Familie einen im Wortsinn sprachlosen Flüchtling gemacht hatten, der schließlich in einem Internat in den französischen Savoyen ein fragiles Exil fand.
Worte von unvergesslicher Eindringlichkeit
Hatten sich Goldschmidts frühe Bücher vor allen den Kindheits- und Jugendtraumata gewidmet, weitet sich nun die Perspektive: Nachkrieg ist´s, der junge Mann trägt inzwischen die Uniform der französischen Armee und tut Dienst in einer Kaserne in Karlsruhe. Und auch für dieses nun erstmalig literarisierte Lebensfragment findet Georges-Arthur Goldschmidt Worte von unvergesslicher Eindringlichkeit: "Er ist der merkwürdige Zuschauer einer umgekrempelten Geschichte in der Uniform des Siegers, wo er doch selbst aus dem besiegten Land kommt, diese beiden entgegengesetzten Epochen vermischen sich auf uneigentliche Weise ... Er gehörte zu den Gerechten, ohne irgend etwas dafür getan zu haben."
In der Kaserne ist seine jüdische Herkunft kein Thema, im Kontakt mit Deutschen erfindet sich der Protagonist eine angeblich elsässische Familie. Die einheimische deutsche Bevölkerung: Wehleidig, sich als Kriegsopfer gerierend, schweigsam und geschwätzig zugleich, doch mit beginnendem "Wirtschaftswunder" schnell wieder zu Appetit kommend in ihren Wirtshäusern - "mit einer schweren Wiederaufbautür ausgestattet, aus schwerem poliertem hellen Eichenholz mit Kupfergestänge und rundem buntem Guckfenster. Es waren Türen des Erfolgs und der seelischen Erleichterung." Nichts, auch nicht die hoch-ambivalenten Regungen seines Innenlebens, entgeht der skrupulösen Aufmerksamkeit dieses jungen Mannes, der danach als französischer Zivilist in Paris erneut vor der Herausforderung steht, sein Leben – das heißt vor allem: seine Wahrnehmungsfähigkeit – zu bewahren.
In der Kaserne ist seine jüdische Herkunft kein Thema, im Kontakt mit Deutschen erfindet sich der Protagonist eine angeblich elsässische Familie. Die einheimische deutsche Bevölkerung: Wehleidig, sich als Kriegsopfer gerierend, schweigsam und geschwätzig zugleich, doch mit beginnendem "Wirtschaftswunder" schnell wieder zu Appetit kommend in ihren Wirtshäusern - "mit einer schweren Wiederaufbautür ausgestattet, aus schwerem poliertem hellen Eichenholz mit Kupfergestänge und rundem buntem Guckfenster. Es waren Türen des Erfolgs und der seelischen Erleichterung." Nichts, auch nicht die hoch-ambivalenten Regungen seines Innenlebens, entgeht der skrupulösen Aufmerksamkeit dieses jungen Mannes, der danach als französischer Zivilist in Paris erneut vor der Herausforderung steht, sein Leben – das heißt vor allem: seine Wahrnehmungsfähigkeit – zu bewahren.
Ein persönlicher Sieg über das Teutonische
Der Autor trifft auf eine junge Französin, die dann nicht nur die Ehefrau, sondern auch die Liebe seines Leben werden wird. Und auch ein Schutz vor den mitunter wiederkehrenden Dämonen des Internatslebens, einer sadomasochistischen Lustangst, die dem damals aus Deutschland vertriebenen Jungen eine verquere Schein-Identität vorgegaukelt hatte. Es ist gerade die nicht-klischeehafte, zivilisatorisch fortgeschrittene "französische Leichtigkeit", die Goldschmidts Leben rettet, denn obwohl "die deutschen Mütter nicht mehr den strengen, zur Fahne gerichteten Blick hatten", erspürt der jüdische Exilant sehr genau, was sich auch nach 1945 mental gehalten hat: "Das Eherne blieb irgendwo in den deutschen Seelen eingemeißelt."
Georges-Arthur Goldschmidt weiß, wovon er spricht. Die humane Eleganz seiner französischen und deutschen Prosa ist deshalb sein ganz persönlicher Sieg über das dräuend Teutonische. Chapeau & Bon Anniversaire!
Georges-Arthur Goldschmidt weiß, wovon er spricht. Die humane Eleganz seiner französischen und deutschen Prosa ist deshalb sein ganz persönlicher Sieg über das dräuend Teutonische. Chapeau & Bon Anniversaire!