Vergleichsweise harmlos
Das Herbizid Glyphosat sei vergleichsweise harmlos, meint Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. Und bei der ganzen Aufregung um das Unkrautbekämpfungsmittel gerieten wirklich fragwürdige Pestizide aus dem Blickfeld.
Erinnern Sie sich noch an die Meldung vom letzten Sommer, man habe das Pflanzenschutzmittel Glyphosat in Muttermilch entdeckt? Die Ergebnisse wurden als "sehr besorgniserregend" eingestuft, auch wenn es nur um Ultraspuren ging – rein mengenmäßig um einen Furz im Weltall. Dennoch bekamen es nicht wenige stillende Mütter mit der Angst zu tun.
Offenbar hatte die Ökoszene die ganze Geschichte nur erfunden, um aus dieser Angst politisches Kapital zu schlagen: Erstens gab es damals keine Analytik, die den fraglichen Ultraspurenbereich abgedeckt hätte, zweitens kann Glyphosat aufgrund seiner Eigenschaften gar nicht in die Muttermilch gelangen und drittens wurde – nachdem geeignete Analysenverfahren für den Ultraspurenbereich entwickelt worden waren, - in der Tat auch nichts gefunden.
Sturm im Bierglas
Dann löste Glyphosat einen Sturm im Bierglas aus – das Entlaubungsmittel hinterließ im Pils einen schalen Nachgeschmack. Doch auch diesmal fehlten die erforderlichen Angaben, um den Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Nun erklärt der Agrarminister von NRW, Johannes Remmel, man habe Spuren von Glyphosat in Kinderpipi gefunden. Mag sein. Doch die Studie des Ministers hat seltsamerweise keine Autoren. Warum eigentlich? Es ist doch sonst für jeden Analytiker eine Ehre, als erster etwas gefunden zu haben?
Während das vergleichsweise harmlose Herbizid inzwischen massivem politischen Druck ausgesetzt ist, nach dem Motto "ein Herbizid hat einfach gefährlich zu sein", geraten wirklich fragwürdige Pestizide aus dem Blickfeld. Das gilt vor allem für den Insektenvernichter Bacillus thuringiensis, der dringend einer gründlichen Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden sollte. Das Mittel beschäftigt im Ausland seit Jahren die Lebensmittelüberwachung.
Pestizide mit Tücken
Bacillus thuringiensis ist ein Bakterium, das einen winzigen Eiweißkristall produziert, der für viele Insekten tödlich ist. Der Kristall wird übrigens auch beim Bt-Mais genutzt. Das biologische Mittel gilt für den Menschen als harmloser als viele chemische Pestizide, aber auch biologische Präparate haben so ihre Tücken. Der Bacillus produziert widerstandsfähige Sporen, um ungünstige Lebensbedingungen zu überdauern. Sobald die Bedingungen wieder passen, keimen die Sporen aus.
Das kann Folge haben. In Dänemark führten vor einigen Jahren ungeklärte Lebensmittelinfektionen mit Durchfall und Erbrechen die Forscher zu Biogemüse – aber nicht weil die Biobauern ihre Beete mit salmonellenhaltigem Mist gedüngt hätten, sondern weil das Grünzeug mit bisher nicht bekannten Giften des Bacillus kontaminiert war. Gen-Analysen zeigten, dass es sich definitiv um das Öko-Spritzmittel handelte. Im Bt-Mais sind im Gegensatz zu Biogemüse übrigens niemals derartige Gifte vorhanden, sie können gar nicht entstehen.
Belanglose Spuren von Glyphosat
Durch zahlreiche Untersuchungen weiß man heute, dass der Bacillus ein wichtiger Lebensmittelvergifter ist. Doch unsere Lebensmittelüberwachung führt praktisch keine Untersuchungen auf diese Bt-Gifte durch, schließlich wissen auch die Kollegen im Labor, woher der Zeitgeist weht. Außerdem fehlen, so das Bundesinstitut für Risikobewertung, den deutschen Labors verlässliche Analysenmethoden. Da sucht man lieber nach belanglosen Ultraspuren von Glyphosat.
Während die Aktivisten auf ein Verbot hinarbeiten, ist die Deutsche Bahn alarmiert. Kürzlich teilte sie auf einer Konferenz mit, sie sei auf das Mittel angewiesen, um ihre Bahntrassen dort vor Überwucherung zu schützen, wo eine mechanische Bekämpfung nicht möglich sei. Dies ist von erheblicher Bedeutung für die Sicherheit des Zugverkehrs. Glyphosat ist das letzte noch zugelassene Blattherbizid. Werden die Trassen nicht mehr von Bewuchs freigehalten, leidet die Elastizität und Scherfestigkeit des Schotters. Dann kann die Bahn nur noch mit reduzierten Geschwindigkeiten von 80 Stundenkilometern fahren. Vielleicht wird auf diesem Wege unsere hektische Zeit alsbald entschleunigt und wir können uns vom Zugfenster aus am Gedeihen von Kräutlein und Käferlein ergötzen.
Mahlzeit!
Literatur
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