Brandenburg schlittert in eine Justiz-Krise
Die Brandenburger Justiz ist dramatisch unterbesetzt, viele Verfahren dauern viel zu lange. Die Sorge: dass Straftaten verjähren. Schon jetzt muss Straftätern immer wieder Strafrabatt gewährt werden.
Verfahren am laufenden Band: Sabine Dießelhorst, Richterin am Landgericht Potsdam, ächzt wie alle ihre Kollegen unter einer Überlast an Arbeit. Dießelhorst ist für Bank- und Finanz-Sachen zuständig, ein Komplex, der auch wegen der EU-Gesetzgebung immer komplizierter wird. Dementsprechend hoch ist der Aktenstapel im kleinen Büro der Richterin im zweiten Stock. Dort angekommen zieht Sabine Dießelhorst die schwarze Robe aus, setzt sich an den Schreibtisch. Auf dem stapeln sich Pappmappen in mehreren Schichten.
Manche sind 30 Zentimeter dick, von kräftigen roten Gummibändern mühsam zusammengehalten. Das Fensterbrett ist bedeckt mit aufgeschlagenen, dickleibigen Gesetzestexten. Wegen der seit 2005 andauernden Sparpolitik in der Brandenburger Justiz habe der einzelne Richter immer mehr Arbeit, seufzt Dießelhorst.
"Als ich am Landgericht Potsdam als Richterin anfing, das war im Jahr 1991, da hatten wir noch über 70, ich glaube es waren 76, Richterkollegen, die hier arbeiteten. Stand heute sind wir noch 49. Manch ein Kollege ist inzwischen dauerhaft erkrankt. Und auch dafür gibt es natürlich keinen Ersatz, sondern dass müssen diejenigen, die noch da sind, auffangen."
Dazu kommt, dass in den nächsten 15 Jahren gut zwei Drittel der Richter und Staatsanwälte in Rente gehen werden. Es müssten jetzt dringend junge Kollegen eingestellt werden, um das aufzufangen, fordert Dießelhorst. Die Folgen des Personalmangels lasten ihr auf der Richterinnen-Seele: Es bleibt weniger Zeit für die gründliche Vorbereitung der Prozesse.
"Ja, im Ergebnis bedeutet es, dass man manchmal schon danach schaut: Wie kriegt man ein Verfahren zeitnah erledigt? Das ist aber eigentlich nicht der Anspruch, den wir an unsere Arbeit haben."
Schlimme Folgen für den Bürger
Mittlerweile seien fast alle Bereiche der Justiz deutlich unterbesetzt, kritisiert Claudia Odenbreit, die Landesvorsitzende des Richterbundes. Die Einsparvorgaben von rund 150 Stellen allein im nächsten Jahr müssten dringend aufgehoben werden.
"Wir brauchen mindestens 30 Neueinstellungen pro Jahr in den nächsten zehn Jahren. Bei den Verwaltungs- und Sozialgerichten sind die Bestandszahlen durch Hartz-IV-Gesetzgebung und Asylverfahren enorm gestiegen, und in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind wir durch die Stelleneinsparungen der Landesregierung erheblich belastet."
30 neue Stellen jedes Jahr: Justizminister Stefan Ludwig von der Linken, seit gut einem Jahr im Amt, hat sich diese Forderung zu Eigen gemacht und will in den kommenden Haushaltsverhandlungen dafür kämpfen. Ludwig tingelt seit Monaten von Gericht zu Gericht und hört sich die Misere an. Immerhin, meint Claudia Odenbreit vom Richterbund. Besser noch wäre aber, wenn endlich etwas geschehen würde. Denn an den Brandenburger Verwaltungsgerichten sind mittlerweile mehr als 18.000 Verfahren anhängig – fast dreimal so viel, wie vor fünf Jahren. Für die Bürger habe das schlimme Folgen, sagt Odenbreit.
"Es ist jetzt schon so, dass in allen Bereichen die Verfahren viel zu lange dauern. Die Bürger haben einen Rechtsgewährungsanspruch, in zumutbarer Zeit eine Entscheidung zu bekommen. Wir befürchten, dass es dort dazu kommen wird, dass entweder Täter gar nicht mehr einem Verfahren zugeführt werden können, weil Straftaten verjähren, oder aber milde Urteile ausgesprochen werden müssen."
Rollkoffer unverzichtbares Utensil
Ein Beispiel: In diesem Jahr darf das Oberlandesgericht vier Stellen neu besetzen. Demgegenüber stehen aber 15 Stellen, die am OLG 2017 vakant geworden sind. Die CDU im Landtag spricht von einem "Weckruf" an die Adresse der rot-roten Landesregierung. Untersuchungshäftlinge hätten bereits wegen überlanger Verfahrensdauer aus der U-Haft entlassen werden müssen, Pflegebedürftige und Rentner warteten teils jahrelang auf gerichtliche Entscheidungen. Auch die ebenfalls oppositionellen Grünen fordern ein Ende des Stellenabbaus.
"Weil die letzten Justizminister alle den Bereich Justiz als Sparbüchse verstanden haben. Es ging immer darum, Stellen einzusparen. Und es ist wirklich höchste Zeit, eigentlich ist schon viel zu lange gewartet worden."
Wer die Justiz kaputtspare, setze den Rechtsstaat aufs Spiel, meint der justizpolitische Sprecher der Grünen Fraktion, Benjamin Raschke.
"Ich erinnere mich an diesen Müllskandal in Teltow-Fläming, der wurde letztes Jahr, glaube ich, verhandelt nach vielen, vielen Jahren. Da hat das Justizverfahren so lange gedauert, dass der Richter Strafrabatt anbieten musste und die Leute, die da illegal Müll verklappt haben, mit sehr geringer Strafe und einem Lächeln davongekommen sind. Das wurmt dann auch den Umweltpolitiker."
Am Landgericht Potsdam zieht ein junger Staatsanwalt einen Rollkoffer durch die Flure. Mittlerweile ein unverzichtbares Utensil für Justizangestellte in Brandenburg, erzählt Richterin Sabine Dießelhorst.
"Wenn Sie hier morgens mal über den Parkplatz laufen und die Kollegen kommen an, dann kommen die ganz oft mit dicken Koffern auf Rollen. Warum? Weil da Akten drin sind, die sie über das Wochenende mit nach Hause nehmen, weil sie eben über die normale Arbeitszeit, die man so kennt, weiter arbeiten müssen."