Hamburger Streetart-Galerie OZM vor dem Aus

Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm

Die Hamburger Galerie OZM
Die OZM Art Space Gallery in Hamburg, gestaltet von Sprayer Won ABC aus München © Deutschlandradio / Axel Schröder
Von Axel Schröder |
Die OZM Galerie in Hamburg zeigt seit zehn Jahren Graffiti- und Streetart-Kunst. Doch damit ist bald Schluss: Wenn kein Wunder geschieht, muss sie in weniger als einer Woche schließen. Galerie-Macher Alex Heimkind sieht dem Ende seltsam gelassen entgegen.
Dichter Rauch schießt aus den Triebwerken, die Rakete hebt ab, in einem Hinterhof im Schanzenviertel. Gleich neben dem S-Bahn-Damm. Das Graffiti zieht sich über die gesamte Front der alten Fabrik. Hinter der Rakete breitet ein Phoenix seine Flügel aus. Graffiti hüllt das Haus, die "OZM Art Space Gallery", wie Geschenkpapier ein.
"Man sieht: Die OZM Gallery als Rakete hat schon die Bodenhaftung verloren. Und der Phoenix ist tatsächlich ein Phoenix, so biomechanisch, so mit Programmierern und DJs drin und all solche Sachen. Und oben, von einem kleinen Kind gesteuert, was so Richtung Himmel zeigt."
Alex Heimkind, so nennt er sich, hat die Kapuze hochgeschlagen, der lange schwarze Anorak fein gesprenkelt mit Sprühfarbe. Ein hagerer Typ, kahlrasierter Schädel, ein goldener Eckzahn. Alex Heimkind ist Galerist und der Mann, der die OZM Galerie aufgebaut hat. Zusammen mit vielen Helfern. Vor über zehn Jahren hat er die Fabrik angemietet, um dort einen Ort für Graffiti und Streetart zu schaffen.
Das Wandgemälde mit Rakete und Phoenix stammt von Won ABC aus München. 1500 Spraydosen waren nötig, acht Tage auf der Hebebühne, bei Schneeregen – dem nahen Ende des Hauses zum Trotz. Wenn am nächsten Mittwoch der wieder und wieder verlängerte Mietvertrag endgültig ausläuft, wird Schluss sein mit den Ausstellungen international bekannter Sprayer und den Kunstaktionen hinter der Stahltür, die hineinführt in einen eigenen Kosmos:
"Ich würde sagen, wir gehen einfach durchs Haus. Die Tür schließt sich. Es geht noch tief in den Keller."

Das Ende war immer irgendwie dabei, all die Jahre

Im Halbdunkel geht es durch die Gänge: Grau getünchte Ziegel, Wasserrohre, Stromleitungen. Große Kellerräume mit perfekt ausgeleuchteten, gesprühten Gemälden. Mit breiter und feiner Düse auf die Leinwand gebracht. Fotorealistische Totenschädel in dem einen Raum, daneben ein Preisschild mit vierstelligem Kaufpreis. Im nächsten Raum drei blaugrüne Drachen auf der Ziegelwand. Sie werden den Abriss nicht überleben – und weichen einem Neubau mit 50 Eigentumswohnungen.
Fotorealistische Totenschädel des Münchner Künstlers Won ABC in der OZM Galerie in Hamburg 
Fotorealistische Totenschädel des Münchner Künstlers Won ABC in der OZM Galerie in Hamburg © Deutschlandradio / Axel Schröder
"Und der Investor, der das hier gekauft hat, dem war gar nicht klar, dass das hier eine Galerie ist. Und vor allem war ihm gar nicht klar – denn es ist ja mehr als eine Galerie –, dass hier so ein Art-Space ist. Und ihm war auch gar nicht klar, dass man gegen sozusagen alle Grundsätze – nämlich: 'Es ist zu Ende, Du musst gehen!' – erst richtig anfängt. Und mit jeder Etage, die wir hier aufgebaut haben, war auch immer das Ende impliziert."
Im ersten Stock hängen die Bilder des Hamburger Malers Darko Nikolic. Geometrische Formen, streng gestapelte Dreiecke, grau in grau oder farbig. Und ganz hinten links hat sich der berühmteste Sprayer Hamburg verewigt: "Oz". Das Kürzel steht viele zehntausend Mal an den Wänden, den S-Bahnen, an den Brücken, Stromkästen und Laternenpfählen der Stadt. Acht Jahre lang saß "Oz" wegen seiner Graffitis im Gefängnis, vor drei Jahren verunglückte er, er übersah eine heranrauschende S-Bahn. Seit 1996 kannten sich "Oz" und Alex Heimkind.
"Ich bin nie zu ihm gekommen, er ist immer nur zu mir gekommen. Und hat halt hier auch Bilder hinterlassen, die schon eine unglaubliche Qualität haben. Die Kunst ist so groß, dass das drum herum absolut Sinn macht."

"Ein unglaubliches Geschenk an die Gesellschaft"

Vom Ende dieses Projekts, in das so viel Herzblut und Idealismus geflossen ist, in dem er lange Jahre gewohnt hat, ganz oben, unterm Dach, von diesem Ende spricht Alex Heimkind mit einer seltsamen Gelassenheit. Und was würde aus diesem Ort, wenn plötzlich der Mäzen mit einem Faible für Streetart und Graffiti, für Unerwartetes, Unkontrollierbares auftaucht? Wenn die Stadt zugreifen würde, um nicht nur blitzende Elbphilharmonien hochzuziehen, sondern auch anderes zuzulassen? Alex Heimkind ist skeptisch:
"Dieses hier, so wie es ist, ist natürlich ein unglaubliches Geschenk an die Gesellschaft. Aber man weiß es ja: Es ist das gleiche wie mit jeder Institution. Dann müssen die Werbung machen, da stellen die sich auf den Kopf, machen sich krumm und schief und sowas. Ach, will man das auch sein? Ich bin mir da nicht so sicher!"
Aber klar, lacht Alex Heimkind: Wenn hier jemand viel Geld ausgeben will, ließe er mit sich reden.
"Fast alle in der Gesellschaft sind so, dass sie sagen: 'Du musst! Das sind zehn Jahre Arbeit! Damit musst Du dich identifizieren und was nicht alles! Du musst, Du musst, Du musst!' Und ich kann dir sagen: Ich weiß, wo der Ausgang ist. Und wenn das Haus hier untergeht, gehe ich nicht mit unter."
Ideen hat er genug, weiß Alex Heimkind und erzählt vom nächsten Großprojekt, von neuen, noch unbekannten Orten, die anderswo entstehen können.
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