Hanf

Der Traum vom "grünen Gold"

Cannabis-Pflanze in der Nähe der nordisraelischen Stadt Safed
Woher kommt das Cannabis, wenn es hierzulande in der Apotheke erhältlich ist? © dpa / picture alliance / Abir Sultan
Von Ernst-Ludwig von Aster |
Ob als Öl, Textilfaser oder Cannabis für medizinische Zwecke - das Geschäft mit dem Hanf boomt. Auch deutsche Produzenten wollen mitverdienen - und kämpfen gegen fehlende Finanzierungen, mangelnde Erfahrungen und behördliche Auflagen.
Groovige Musik schallt durch den großen Konferenzsaal. In einem Hotel an der Berliner Friedrichstraße. Es ist morgens, Viertel vor neun. Über der Bühne leuchtet eine Projektion: ICBC. Das steht für "International Cannabis Business Conference". Ein großes Logo vereint im Hintergrund die Golden Gate Bridge mit dem Berliner Fernsehturm. Gut 500 Teilnehmer haben es pünktlich auf ihre Plätze geschafft. Obwohl die Welcome-Party bis in die frühen Morgenstunden dauerte.

"Make Cannabis Great Again"

Ein sonnengebräunter Ex-Polizeichef aus San Francisco scherzt in der ersten Reihe mit kanadischen Firmenbossen. Der US-Kongressabgeordnete Danah Rohrabacher schüttelt alle Hände, die sich ihm entgegenstrecken. Der 70-jährige ehemalige Redenschreiber von Ronald Reagan trägt eine knallrote Baseballkappe. Mit der Aufschrift "Make Cannabis Great Again".
Fonds-Manager diskutieren mit Pharmaimporteuren. Rastalocken-Träger in Kapuzenpullis und Baggy-Jeans sitzen neben Beratern in Slim-Fit-Anzügen. Alle haben 500 Euro oder mehr gezahlt, um hier mit dabei zu sein. Auf Deutschlands erster "B2B" Cannabis-Konferenz. Anfang April. "B2B" steht für "business to business". Für das Geschäft mit dem Geschäft ist Alex Rogers zuständig. Er ist der Veranstalter der Konferenz. Ein polyglotter Politologe der fünf Sprachen fließend spricht. Und auch kein Geheimnis daraus macht, dass er vor mehr als zehn Jahren einmal in Bayern für sechs Monate hinter Gittern saß. Weil er mit Cannabis gehandelt hatte.

"Grünes Gold"

Wo immer mit Cannabis legal Geld verdient werden kann, organisiert Alex Rogers heute seine Konferenzen. Eine Plattform für Investoren, Anbauer, Arzneimittelhersteller. In Kanada, Israel und einigen Bundestaaten der USA werden mittlerweile Milliarden im legalen Geschäft umgesetzt. Mal durch den Verkauf als Medizinalhanf, mal als Genussmittel. Vom "grünen Gold" fabulieren Unternehmen auf der Suche nach Investoren.
Dies ist die erste derartige Veranstaltung in Europa, sagt Rogers. Vor eineinhalb Jahren hat er den Vertrag mit dem Hotel unterschrieben. "Damals hielten mich viele für verrückt", kokettiert er. Jetzt haben sich über 1000 Teilnehmer angemeldet. Rogers timing ist perfekt. Eine Woche vor Konferenzbeginn hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe Cannabis für medizinische Anwendungen in Deutschland zugelassen.
Ein dröhnender Applaus für den deutschen Gesundheitsminister. Das kommt selten vor auf Konferenzen. Dirk Rehahn muss immer noch schmunzeln, wenn er daran zurückdenkt. An die Aufbruchsstimmung auf der Konferenz: Love, Peace and Business. Angeheizt von Moderator Rogers.
"Der hat es schon geschafft, diesen doch sehr, sehr kleinen, im Aufbruch befindlichen deutschen Markt als den drittgrößten internationalen Cannabismarkt für Medizinalprodukte zu machen, was er ist, faktisch. Wir haben über 80 Millionen Menschen, die können jetzt relativ klar einen Zugang zu Cannabis kriegen, laut Gesetz sogar oftmals von der Krankenkasse bezahlt, das ist ein Novum weltweit."
Eine Apothekentüte Cannabis auf einem Rezept.
Cannabis soll es auch auf Rezept geben.© imago / STPP

Zwei Tonnen Medizinal-Cannabis pro Jahr

Auch Dirk Rehahn gehört zu den Rednern auf der Konferenz. Der schlanke Mann mit der Glatze und der markanten Brille ist ein Urgestein der deutschen Hanfszene, Mitbegründer des Hanfjournals. Und des Hanfverbandes. Seit Jahren betreibt er einen Versandhandel für Gewächshausbedarf. Liefert von der Beleuchtung über Messtechnik bis zum Dünger alles, was der ambitionierte Pflanzenfreund für den Indoor-Anbau braucht. Streng legal, wie Rehahn immer wieder betont. Auf der Konferenz erläutert der 42-Jährige die gesetzlichen Grundlagen des zukünftigen Cannabis-Geschäfts.
"Ziel ist es eine Produktion für Medizinalhanf, also Cannabisblüten und Derivate daraus, in Deutschland lizensiert aufzubauen. Den Auftrag hat das Bundesministerium für Gesundheit dem BfArM, explizit der Cannabisagentur, das ist eine Abteilung im BfArM, gegeben. Die Agentur hat dann eine Ausschreibung ausgearbeitet."
Mit einem Bedarf von zwei Tonnen Medizinal-Cannabis pro Jahr rechnet die Agentur. So steht es in der Ausschreibung. Der Staat als Cannabis-Kunde, das hat eine ganze Branche elektrisiert.

Renaissance einer der ältesten Nutzpflanzen

"Hier breche ich die Hanfstängel mit einer Breche, in die der Stängel gelegt wird, um den inneren Holzkern zu zersplittern."
Rolf Ebbinghaus lässt die Breche auf den Hanfstängel sausen. Immer wieder. Anschauungsunterricht in Sachen Hanfnutzung. In Deutschlands einzigem Hanfmuseum.
"Wenn sich alles auf den Rausch fixiert, gehen viele Sachen einfach verloren. Und das wollen wir verhindern. In dem wir das gesamte Wissen um die Pflanzen sammeln, wahren, archivieren und auch präsentieren in unserer Ausstellung."
Acht Räume, 300 Quadratmeter. Direkt im Berliner Nikolaiviertel. Hanf historisch. Eine der ältesten Nutzpflanzen der Welt
"Hanf ist zuallererst mal ein nachwachsender Rohstoff, Hanf hat zu über 80 Prozent für Menschen nutzbare Biomasse. Man kann aus fast allen Teilen für den Menschen nutzbare Sachen machen. Hildegard von Bingen sprach von der grünen Kraft. Auch Luther hat ‚hallig‘ getrunken, also apothekermäßig abgehangen weibliche Hanfblüten gegen den rauen Hals. Von daher war es nicht ganz unbekannt, das Hanf mehr als ein Öl und ein Faserlieferant ist."

Medizinalhanf-Nachschub hält nicht mit Nachfrage mit

Wenige hundert Meter weiter, in einer Apotheke am Berliner Alexanderplatz, öffnet Peter Waßmuth einen schweren Safe. Geht in die Knie. Und greift zu einer kleinen, blauen Plastikdose:
"Das ist zum Beispiel Pedanios 22/1, das ist eine neue Charge, das ist ein Sativa, hat 22 Prozent THC und unter ein Prozent Canabidiol."
Legaler Medizinalhanf. THC und CBD. Das sind die beiden Hauptwirkstoffe. Die blauen Dosen kommen aus Kanada. Der Apotheker stellt sie zurück. Greift zu einer kleineren, gelben Dose.
"Das sind die holländischen Sorten von der Firma Bedrocan, das hat auch 22 Prozent THC, in den Fünf- Gramm Dosen."
Seit vier Jahren versorgt Apotheker Waßmuth Patienten mit Cannabispräparaten. Anfänglich waren es nur eine Handvoll Kunden, die im Besitz einer Ausnahmegenehmigung nach dem Betäubungsmittelgesetz waren. Sie litten an Multipler Sklerose, an Epilepsie, einige kämpften mit den Folgen einer Chemotherapie, etwa Appetitlosigkeit. Andere Medikamente konnten ihnen nicht helfen. Seit März aber ist die Zeit der Ausnahmegenehmigungen vorbei. Jetzt reicht ein Rezept vom Arzt.
"Es wurde dann schon mehr. Im März war das recht verhalten, änderte sich dann aber schlagartig, fing dann im April an, Mai war schon recht viel, Juni, es ging dann stetig nach oben."
Mit der Nachfrage. Allerdings nicht mit dem Nachschub.

"Es ist jetzt nicht so, dass ich jetzt anrufen kann beim Großhändler und sage, ich brauche irgendwie hundert Gramm Bedrocan, schick mir das Mal. Da schlagen die die Hände überm Kopf zusammen."
Frank-Josef Ackerman konsumiert Cannabis, um seine Schmerzen zu lindern.
Frank-Josef Ackerman konsumiert Cannabis, um seine Schmerzen zu lindern.© picture alliance / Frank Rumpenhorst / dpa

Lieferengpässe

"Bundesweite Lieferengpässe bei Cannabis" meldet dann auch die Deutsche Apotheker Zeitung. Doch Apotheker und Großhändler sind nicht die einzigen, die die Folgen des Cannabis-Booms spüren. Auch in der Agrarszene sorgt der Hanf für Unruhe:
"Meine Sachbearbeiterin hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, warum ich ihr das noch antue, kurz vor der Rente, also sie geht dies Jahr in die Rente, dass sie sich noch mit Hanf rumärgern muss."
Markus Schilka schüttelt den Kopf. Der junge Landwirt sitzt auf der Veranda. Vor einem alten Bauernhaus. In Guhrow, einem kleinen Örtchen im Südosten Brandenburgs. Vor sich eine Tasse Kaffee, neben sich einen dicken Ordner.
"Ich persönlich habe zwei Sorten im Anbau, ich kann sie gar nicht aussprechen, das ist einmal der Zenit, und einmal das sind rumänische Sorten, da kommen die in Rumänien super klar mit. Und wir haben es einfach probiert."

Strenge Auflagen auch für Nutzhanfanbau

Ich bin ein "Vollblutlandwirt", sagt der 34-Jährige. 180 Hektar Ackerland bewirtschaftet Schilka nach Kriterien des biologischen Landbaus. Dinkel, Hafer, Roggen, Gerste und Sonnenblumen baut er an. Auch mit Sojabohnen hat er experimentiert. Jetzt versucht er es mit Hanf. Ein anderer Landwirt hat ihn überzeugt. Am Stammtisch:
"Ja und nach ein, zwei Bieren: ja Mensch, dann machen wir das Mal. Obwohl wie davon überhaupt keine Ahnung hatten, also ich kenne Hanf, den verbotenen, was man ab und zu mal hört. Aber im Anbau null Ahnung gehabt."
Ein Handschlaggeschäft. Mit einem Unternehmen aus Berlin. Die Idee: Schilka baut Nutzhanf an. Erntet und liefert die proteinhaltigen Samen an die Spree. Dort werden sie weiterverarbeitet. Als "Königin der pflanzlichen Proteine" macht das Hanf-Eiweiß gerade in der Ernährungsbranche Karriere. Vor allem Veganer setzen auf das grüne Pulver. Unter dem Logo des fünfzackigen Blattes. In Bio-Qualität muss der Kunde dafür mehr als 20 Euro pro Kilo zahlen. Schilkas Ackerpflanzen haben dabei nichts mit dem Medizinalhanf zu tun. Der Gehalt des halluzinogenen Wirkstoffs THC liegt unter 0,2 Prozent.
Kinder stehen in einem Maislabyrinth bei Frankenhausen (Landkreis Kassel) vor THC-freien Hanfpflanzen. 
Hanf ist eine alte Nutzpflanze und lässt sich in der THC-freien Variante als Rohstoff verwenden. © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi / lhe
Schilka greift zum Ordner, blättert. Als Landwirt ist er die Arbeit mit Formularen gewöhnt. Doch der Hanf schlägt alles bisher Bekannte. Das Saatgut muss noch einmal extra geprüft und zugelassen werden. Da es noch kein Bio-Hanf-Saatgut gibt. Wo sich die Anbauflächen befinden, muss exakt beschrieben werden. Auch der Anbau selbst wird streng überwacht. Im Sommer etwa hat Schilka die Blüte seiner Pflanzen zu spät gemeldet. Prompt musste er eine Strafe zahlen. Der Landwirt aber glaubt, dass sich der Aufwand auszahlt.
"Es ist Wahnsinn, also eigentlich kann man alles aus Hanf machen, es ist Wahnsinn, ob es Stricke sind, wirklich, die kann man wunderbar verarbeiten, das ist wahrscheinlich auch das Interessante. Ja, für uns ist das Neuland, ja. Hört sich gut an, Hanf."

Beim Anbau hinken deutsche Unternehmen hinterher

Wenige Wochen nach der Cannabis-Konferenz sitzt Dirk Rehahn in seiner Wohnung am Küchentisch. Und beugt sich über sein Notebook.
"Die Vision war, gemeinsam eine Produktion für Cannabisblüten in Deutschland aufzubauen. Dieser deutsche Partner ist eben sein sehr großer Teilnehmer im phytopharmazeutischen Markt in Deutschland, ein Inverkehrbringer von vielen Tonnen pflanzlicher Produkte, Rohstoffen für Medizin."
Rehahn und seine Partner gründen eine Firma: die PRW Phyto. Um im großen Medizinalhanf-Monopoly mitzubieten. Die Regeln sind durch die staatliche Cannabisagentur klar definiert. Schließlich handelt es sich um ein pflanzliches Arzneimittel, das in Verkehr gebracht wird. Da müssen Wirkstoffe und Wirkstoffgehalte exakt definiert werden, um Patienten nicht zu gefährden. Alle Bewerber werden nach einem Punktesystem bewertet. Für Erfahrungen im Anbau pflanzlicher Arzneimitteln gibt es zum Beispiel 20 Punkte. Die haben Rehahn und sein potentieller Partner bereits sicher.
"Mit dem fanden wir uns super aufgestellt. Und hatten einiges schon vorbereitet, was eben Zahlenkolonnen angeht, die Marktentwicklung, haben bestimmte Szenarien durchgerechnet, haben begonnen eine Produktionsstäte zu planen, nach Produktionsstätten zu suchen. Also dann im Detail sehr, sehr viel Arbeit geleistet."
Doch das reicht noch nicht. Denn die meisten Punkte gibt es für den nachgewiesenen Anbau von Medizinalhanf. Damit aber hat in Deutschland niemand Erfahrung. Schließlich war der Anbau hierzulande illegal. Dirk Rehahn und seine Kollegen brauchen dringend Unterstützung aus dem Ausland:
"Der deutsche Partner eben zu uns meinte, wenn ihr jemanden findet, einen kanadischen oder israelischen Partner, der die 40 Punkte, das war der Teil der Punkte, für die Produktion von Cannabisblüten in medizinischer Qualität, wenn wir den finden, dann ist er mit an Bord."
Kanada, Israel, Niederlande – das sind die drei großen Player im internationalen Medizinal-Hanf Geschäft. Sie haben 10 bis 15 Jahre Vorsprung in der Cannabisproduktion. Bei der Saatgutentwicklung, den Anbau-Verfahren, der Weiterverarbeitung.

In der Uckermark hat Hanf Tradition und Zukunft

In der Uckermark eilt Rainer Nowotny über sein Betriebsgelände. Ein alter Getreidespeicher ragt hinter der großen Produktionshalle empor. Auf dem Parkplatz warten Ausstellungsstücke auf Häuslebauer. Der open-air showroom der Genossenschaft "Hanffaser Uckermark":
"Wir machen mal ne kleine Runde. Hier haben wir zwei interessante Wandaufbauten. Das ist ein Wandaufbau mit Hanflehm, der steht seit eineinhalb Jahren draußen, trotz Bewitterung hat er eigentlich kaum Zersatz."
Seit mehr als 20 Jahren entwickeln Nowotny und seine Kollegen Naturbaumaterialien Mehr als 4000 Tonnen Hanf verarbeiten sie pro Jahr.
"Hier ist ein anderes Beispiel Fassadendämmung: Hier haben wir ein Beispiel, Vorsatzschale, Hanf rein, hier haben wir noch etwas Besonderes, ein Hanfputzträger, der ist gleichzeitig Winddichtungsbahn. Der ist 100 Prozent ökologisch. Der ist sicher sehr viel länger haltbar als jeder geschäumte Kunststoff."

Nutzhanfabbau seit 1996 erlaubt

Auf dem Dach der 200 Meter langen Produktionshalle glänzen Solarmodule. Früher wurde hier Getreide getrocknet, heute wird hier Hanf verarbeitet: zu Hanflehm, Hanfmörtel, Hanf-Dämmstoff. "Wir sind ein traditioneller Handwerksbetrieb", sagt Nowotny.
"Der Hanf wurde hier in der Uckermark am 3. Oktober 1990 verboten. Mit dem Einigungsvertrag. Hier wurde ja bis in die 60er-Jahre Hanf angebaut. Und viele Landwirte, die mit uns begonnen haben, ältere Landwirte, sagten, ach ja, kenn ich noch aus meiner Lehrlingszeit. Schwierig damit."
1996 wird der Nutzhanfanbau in Deutschland wieder erlaubt. Rainer Nowotny steigt sofort ein. Die Hanfpflanze fasziniert den Mathematiker: ein nachwachsender Rohstoff. Mit einer breiten Anwendungspalette.
"Sie wird erstmal sehr schnell, sehr hoch. Das macht der Mais auch. Aber es ist die härteste Faser, die wir kennen. Diese unglaubliche Biomasse, die da zustande kommt, die muss man auch bewältigen. Und man kann sie nicht einfach knicken, wie so ein Maishalm."
Schnell im Wuchs. Schwierig in der Ernte. Das ist für die neuen Hanf-Bauern die Herausforderung.
"Wir haben 1996 einen befreundeten Maschinenbauer aus Mecklenburg-Vorpommern gefunden. Und haben dann in drei bis vier Jahren die Maschine entwickelt, die eigentlich heute die ultimative Hanferntemaschine ist."

Die Maschine steht groß und gelb auf dem Hof. Seit Wochen ist sie im Ernteeinsatz in der Region. Auf 400 Hektar lässt die Faserfabrik Nutzhanf anbauen. Vor allem Bio-Landwirte machen mit:
"Die erkennen die Vorteile des Hanfes, der quasi Spritzmittel jeglicher Art ersetzt. Man hat trotzdem die Effekte der Unkrautunterdrückung. Hanf ist ein derartig gutes Bioherbizid. Dieser phytosanitäre Effekt, also die Bereinigung des Standortes insbesondere von Quecken, das schafft der Hanf sehr gut. Er hat ne tiefe Pfahlwurzel, die durchdringt den Boden, fast so wie Lupine, das ist eine Vordüngung, er gilt als sehr gute Vorfrucht vor Weizen."
Die Hanferntemaschine in der Uckermark holt alljährlich 4000 Tonnen Nutzhanf vom Acker.
Die Hanferntemaschine in der Uckermark holt alljährlich 4000 Tonnen Nutzhanf vom Acker.© Ernst-Ludwig von Aster

Aufgeladen mit politischer Bedeutung

Rolf Ebbinghaus: "Wir haben viele Schulklassen. Wir sind eines der wenigen Museen, das von den Schülern selbst vorgeschlagen wird."
Die Schüler kommen. Und staunen. Vor allem darüber, dass die Abteilung Rausch und Musik nur einen kleinen Teil der Ausstellung einnimmt.
"Der Rausch als solches wird durchaus schon vielbesungen. Und der Rausch mit Alkohol auch nicht weniger als der mit Cannabis. Was heute Sex and Drugs and Rock’n‘Roll ist, waren früher Wein, Weib und Gesang. Es ist ja letztendlich nichts anderes."
Kiffen und Chillen. Ein Nebenaspekt in der Hanfgeschichte. Meist ging es um mehr. Die US-Regierung etwa gab im Zweiten Weltkrieg die Devise "Hanf für den Sieg" aus.
Ebbinghaus: "Wenn die Rohstoffe knapp werden, orientiert man sich halt wieder zu nachwachsenden Rohstoffen. Es war in den USA ‚hemp for victory‘, den Landwirte schauen mussten, sogar unterschreiben mussten, dass sie ihn geschaut haben."
Auch die Nationalsozialisten setzten mit dem Reichsnährstand auf die Grünpflanze.
"In der dunklen deutschen Vergangenheit war es die Hanffibel, also quasi so in Wilhelm Busch Manier gezeichnet, wie man Hanf anbaut, nett mit Reimen gemacht, so dass das auch jeder Landwirt versteht und Hanf anbaut."
Nach dem Krieg aber war erstmal Feierabend. Baumwolle und Kunststoff-Fasern eroberten endgültig den Textilmarkt. Und die Drogenpolitik machte schließlich auch dem Ackerhanf den völligen Garaus.

Im Hanfgeschäft wird viel Geld bewegt

Anfang September sitzt Dirk Rehahn an seinem Küchentisch. Vor einer Tasse Tee. Das Notebook ist zugeklappt.
"Es hat wehgetan. Und wir hatten auch alle drei, wir waren ja drei Partner, wir sind in ein Loch gefallen, weil wir neben unserer Alltagsarbeit, die wir haben, bis in die Nacht gearbeitet haben, Sachen ausgearbeitet, da auch sehr viel Herzblut reingesteckt haben."
Das Ende seiner Cannabis-Vision. Wochenlang haben er und die Kollegen kalkuliert. Und schließlich kapituliert. Und keine Bewerbung bei der Cannabisagentur abgegeben. Sie haben keinen ausländischen Partner mit Medizinalhanf-Erfahrung gefunden.

"Was wir nicht gemacht haben: Wir haben uns einfach nicht früh genug drauf vorbereitet, uns auch für internationale Investoren uns sauber und entsprechend präsentieren zu können. Also da wurden mehrere zehntausende Euro alleine für die Anbahnung von geschäftlichen Kontakten und geschäftlichen Partnerschaften ausgegeben, da wurde sehr, sehr viel Geld in die Präsentation der eigenen Firma gesteckt. Da wurden wir eben wirklich von der Zeit überholt."
Rehahn und seine Kollegen haben die Dynamik unterschätzt. Den Medizinalhanf-Mechanismus. Der schon viel Geld bewegt, bevor überhaupt Geld verdient worden ist. Innerhalb weniger Wochen werden so in Deutschland die Weichen für das zukünftige Cannabis-Geschäft gestellt. Die Unternehmen, die bereits über eine Lizenz zum Import von Medizinalhanf verfügten, haben die Nase vorn. Mit ihren ausländischen Partnern
"Medcann wurde in Deutschland gegründet von Pierre Debbs, einem amerikanischen Wissenschaftler, der in Deutschland lebt schon seit langem, der die Marktchance gesehen hat und unglaublich schnell und fokussiert vorangeschritten ist. Der wurde schon vor einem Jahr von dem kanadischen Konzern Canapy Growth aufgekauft. Ein anderer Teilnehmer in Deutschland, Pedanios GmbH, die sich in Berlin gegründet hat, die wurden jetzt auch aufgekauft vom kanadischen Konzern für über 15 Millionen kanadische Dollar, glaube ich. Das heißt, das sind schon zwei so große Merger, Übernahmen, vermutlich werden sie sehr klein sein, von dem was noch kommt. Und das wird sich so weitervollziehen."
Illegaler Hanfanbau in Deutschland
Illegaler Hanfanbau in Deutschland© imago/blickwinkel

Viel Enthusiasmus, wenig Ertrag

In Brandenburg steuert Marcus Schilka seinen Pickup über einen holprigen Sandweg. Der Landwirt ist auf dem Weg zu seinem Hanf-Feld.
"Eigentlich hieß es ja: aussäen, wachsen lassen. Kein Unkraut. Bloß ernten und die Rechnung stellen. So ist es bei uns nicht gelaufen."
Der 34-Jährige schüttelt den Kopf. Es läuft mit dem Nutzhanf nicht so wie geplant.
"Ich bin auch ein bisschen enttäuscht, das muss ich ganz ehrlich sagen, weil die Vorfrucht die war eigentlich krass gewesen, besser geht’s eigentlich gar nicht."
Der Landwirt stoppt. Hinter einem Maisfeld. Stapft einige Meter durchs Gras. Vorbei an einem Hirsefeld. Dann steht er vor seinem Hanf-Experiment.
"Man sieht schon, der ist ganz unterschiedlich aufgelaufen, so sollt es eigentlich aussehen aber natürlich auch noch dichter, aber der hat so viel Konkurrenz durchs Unkraut gekriegt, aber auch nur stellenweise, wir haben dafür auch keine Erklärung. Aber mal sehen, aller Anfang ist schwer."
Am Feldrand stehen die Pflanzen gut zweieinhalb Meter hoch. Zur Feldmitte werden sie immer mickriger. Dazwischen gedeiht das Unkraut
"Also wie es jetzt aussieht, ist es einfach ein Geschäft, wo wir Geld investiert haben. Aber wie gesagt, wenn das läuft und man hat da eine Tonne Ertrag, dann ist das natürlich auch lukrativ, aber da muss man erstmal hinkommen und wahrscheinlich auch viel Lehrgeld bezahlen. Und ich denke, nächstes Jahr werden wir noch einen Versuch starten und wenn es dann wirklich nicht funktioniert, dann müssen es halt andere Kollegen machen."

Mit dem Hanfroboter beginnt die Aufholjagd

Bei der Hanffaser-Uckermark füllt ein Mitarbeiter Häcksel in große Säcke ab. Rainer Nowotny grüßt kurz im Vorbeigehen. Und ist schon auf dem Weg in die nächste Halle.
"Und hier ist ein neues Produkt: Das ist unsere Hanfkalkplatte, die hier als allererste Baustelle verarbeitet wird."
Ein Gabelstapler hebt eine der großen Platten in die Höhe, zwei Arbeiter fixieren sie. In Zukunft sollen die Platten im Industriebau eingesetzt werden, wo schnell große Wände, etwa für Lagerhallen, errichtet werden müssen. Die Dämmeigenschaften, erzählt Nowotny, sind wesentlich günstiger als bei üblichen Konstruktionen. Ein Stückchen weiter testen seine Mitarbeiter eine weitere Neuentwicklung. Den Hanfroboter.
"Der verarbeitet Hanf auch nach einem ganz neuen Prinzip. Und wird uns, wenn er in einer breiteren Form zur Verfügung steht, die Grundlage für den Textilhanf schaffen. Der trennt Bast und Holz in einer Qualität, die man auf der großen Anlage nicht erreicht."
Nowotny streicht über sein schwarzes Hemd. Es ist aus Hanffaser. Made in China. Dort wurde die Verarbeitung von Nutzhanf auf allen Ebenen kontinuierlich weiterentwickelt, sagt er. In der Uckermark beginnt nun die Aufholjagd.
"Wir wollen die Faser soweit veredeln, dass sie verspinnbar ist, also eine Textilfaser wird. Wir wollen, dass die Textilkette wieder nach Deutschland bringen vom Anbau, sprich Hanf, über Spinner, Weber bis zum Konfektionär, das hier bei uns in Deutschland T-Shirts, Hemden und Hosen oder Kleider produziert werden können, die hierher kommen. Nach unseren Standards. Nach unseren Ökostandards."
Im Hanfmuseum bearbeitet Rolf Ebbinghaus mit der Reche den Rohstoff. An der Wand hängt ein Autoteil:
"Wir haben hier so eine schöne Innenverkleidung, einer Autokarosserie und die Langfasrigkeit des Hanfes bietet da sehr große Vorteile. Und tatsächlich gibt es da zwei Serien, von zwei verschiedenen Autoherstellern, die Faserverbundstoffe mit Hanf als Innenverkleidung nutzen. Es sind die beiden großen hier im Lande, Mercedes und BMW, die jeweils eine Serie haben."
Deutsche Automobil-Technik mit Hanf-Verstärkung. Für Ebbinghaus ein Zukunftsmodell. Mit Vergangenheitsbezug. Wie so vieles beim Hanf:
"Dass Hanf auch heilende Wirkung hat, ist jetzt keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Im Gegenteil. Wenige hundert Jahre vorher war es quasi in Mode. Es gab einige Hersteller, in Deutschland war es Merck, die Cannabis-Extrakte herstellten und das vielen anderen Präparaten und Medikamenten einfach zugaben."

Medizinalhanf – vom Naturheilmittel zum Rohstoff der Pillenindustrie?

In der Apotheke am Alexanderplatz beugt sich Peter Waßmuth über seinen Bestell-Computer. "Keep cool" mahnt eine Magnettafel an der Wand. "Rezept 35 Gramm" steht mit Ausrufezeichen daneben auf einem Klebezettel. Auf dem Bildschirm erscheint das Cannabis-Angebot der Großhändler. Mit exakt definierten THC und CBD-Gehalten. Denn jeder Patient spricht unterschiedlich auf die Wirkstoffe an. 15 Positionen zeigt Waßmuths Orderliste. Bestellen kann er aber nur zwei bis drei Präparate. Die Verwaltung des Mangels. In den Zeiten großer Ankündigungen.
Hinter den Kulissen ringen die Unternehmen um Marktanteile. Einige Importeure werden nicht mehr beliefert. Einige Unternehmen klagen gegen die Ausschreibung der Cannabisagentur. Vieles ist unsicher in Sachen Cannabisversorgung. Eines aber steht fest. Der Preis ist gestiegen:
"Vorher waren es bei uns 67,50 und durch die Gesetzesänderung und die Verordnung sind es jetzt beim Bedrocan 113,05 Euro, glaube ich."
Der Preis für die Legalisierung. Als Rezepturarzneimittel. Für das gilt automatisch eine Preisverordnung des Bundeswirtschaftsministeriums. Waßmuth verdient jetzt mehr als vorher. Mit denselben Präparaten. "Mit der Preissteigerung komme ich mir blöd vor", sagt er.
"Jetzt zurzeit ist es ein bisschen ernüchternd eigentlich. Wir als Apotheke stehen ja wirklich zwischen den Patienten und den Herstellern. Und an sich ist es schon eine Ernüchterung, also dieses harte Geschäft zwischen den Firmen und die Patienten die einfach so schwer versorgt werden können, und schlecht versorgt werden teilweise, das ist schon ernüchternd."

Konsens bei zwei Jamaika-Koalitionären in spe

Versorgungssicherheit für Cannabis-Patienten – dies ist dann auch eine Forderung bei den Sondierungsverhandlungen zwischen den potenziellen Jamaika-Koalitionären. Ein Punkt, auf den sich alle Beteiligten einigen können. FDP und Grüne machen sich zusätzlich für eine teilweise Legalisierung stark: Über Apotheken könnte die Abgabe einer bestimmten Menge Cannabis an mindestens 18-Jährige zum Eigenbedarf ermöglicht werden, so der Vorschlag der Freien Demokraten. Bisher gab es aus der Union dagegen kaum Widerspruch. Cannabis als Verhandlungsmasse beim Koalitionspoker – auch das ist neu in Deutschland. Dirk Rehahn verfolgt diese Diskussion aufmerksam. Und ist trotzdem ernüchtert. Nicht zuletzt vom harten Kampf auf dem Cannabis-Markt. Der 42-Jährige glaubt, dass in Zukunft immer mehr Pharmafirmen auf den Markt drängen werden. Und Hanf damit vom Naturarzneimittel zum Rohstoff der Pillenindustrie wird.
"Dann müssen wir uns aber auch nichts vormachen: Das Ziel ist auch nicht in Deutschland langfristig die Cannabisblüte als Medikament zu etablieren, das widerspricht den Konsumgewohnheiten der meisten deutschen Patienten. Die Leute wollen Pillen haben, die wollen Tabletten nehmen und die wollen genau wissen, da sind zwei mg THC drin. Und da sind zwei Milligramm CBD drin, Und davon nehme ich fünf am Tag, alle zwei Stunde eine. So funktioniert der Arzt, so funktionieren die meisten Patienten. Und so wird es in zehn Jahren auch mit Cannabis funktionieren."
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