Harald Salfellner: Die spanische Grippe. Eine Geschichte der Pandemie von 1918
Vitalis-Verlag, Prag 2018
168 Seiten, 24,30 Euro
Als die Straßenbahnen Särge transportierten
Der spanischen Grippe von 1918 fielen rund 50 Millionen Menschen weltweit zum Opfer. Wie sehr die Seuche das Leben vieler Menschen bestimmte, zeigt Harald Salfellner mit einer beeindruckenden Sammlung von Fotos, Zitaten und Alltagsberichten.
Die spanische Grippe von 1918 war die schlimmste Seuche des vergangenen Jahrhunderts. Rund 50 Millionen Menschen weltweit fielen ihr zum Opfer. Wie sehr die Krankheit das Leben vieler Menschen bestimmte, zeigt Harald Salfellner mit einer beeindruckenden Sammlung von Fotos, Zitaten und Alltagsberichten.
Die spanische Grippe von 1918 war die schlimmste Seuche des vergangenen Jahrhunderts. Aber obwohl die Pandemie in drei Wellen weltweit schätzungsweise 50 Millionen Menschen tötete, wurde sie von Historikern lange Zeit übersehen und führt bis heute in den Geschichtswissenschaften ein Schattendasein.
Der Mediziner und Verleger Harald Salfellner hat in Archiven gewühlt, Datenbanken durchsucht und dabei hunderte Bilder und noch mehr Zitate rund um die Spanische Grippe aufgestöbert. Die beeindruckende Sammlung zeigt, wie sehr die Krankheit 1918 im Leben vieler Menschen eine Rolle spielte.
In einigen Regionen erkrankte nahezu jeder Dritte und jeder kannte Freunde, Nachbarn oder Verwandte, die der Grippe zum Opfer gefallen waren. Auch viele bekannte Künstler, Schauspieler und Politiker waren unter den Grippeopfern.
Chaos und Untergangsstimmung
Mit Analysen und Bewertungen hält sich Harald Salfellner zurück. Er lässt die historischen Quellen für sich sprechen: Fotos von unzähligen Kranken in Massenlagern, Menschen mit Schutzmasken und immer wieder Särge. Sogar Straßenbahnen wurden zum Sargtransport umgerüstet.
Es mangelte an Krankenschwestern, Ärzten, Bestattern und Totengräbern. Schulen wurden geschlossen, ebenso Kinos oder Theater. Während die Obrigkeit die Grippe verharmloste, herrschte vielerorts Chaos und Untergangsstimmung.
Die Ärzte waren hilflos. Ihnen fehlten wirksame Medikamente und sogar Fahrzeuge, um zu ihren Patienten zu gelangen. Viele Erkranke kämpften alleine gegen Krankheit und Tod. Meist kam der in Form einer Lungenentzündung, die den grippegeschwächten Körper befiel.
Die Krankenberichte, die Harald Salfellner immer wieder zitiert, beginnen meist mit Kopfschmerzen und starkem Fieber. Nach einigen Tagen fällt den Infizierten das Atmen schwer, die Lunge ist betroffen, das Gesicht färbt sich blau. Nach zehn bis 15 Tagen enden viele dieser ärztlichen Berichte mit dem Wort "Exitus".
Unwissenheit, Fatalismus und Überlebenswillen
Der Blick in die Zeitungen zeigt gleichermaßen Unwissenheit wie Fatalismus und Überlebenswillen. Chinin und Aspirin wurden knapp und konnten ohnehin bestenfalls die Symptome lindern. Verschiedene Mixturen wurden überall verkauft, obwohl ihre Wirksamkeit niemals überprüft wurde. Sogar Sliwowitz und Rum wurden als Heilmittel gepriesen: "Noch besser als Whiskey!" Ein Grammophon-Hersteller empfahl seine neuesten Geräte, denn wer zu Hause Musik höre sei vor der Grippe geschützt.
Das Lesen in diesem Buch ist vergleichbar mit dem Stöbern in einem Zettelkasten aus einer vergangenen Zeit. Manchmal ungeordnet, aber stets eindrücklich wiederholen sich persönliche Schicksale und Erfahrungen. Dabei stehen Deutschland, Österreich und das damalige Böhmen im Vordergrund. China, Indien, Russland, Afrika und Südamerika, wo noch mehr Menschen starben als in Europa und Nordamerika, kommen in diesem Buch kaum vor.
Harald Salfellner liefert insofern keinen umfassenden Überblick über die Pandemie von 1918. Vielmehr lenkt er den Blick auf die Menschen der damaligen Zeit, ihr Leiden, ihre Angst und ihren Willen zu überleben. Und das gelingt äußerst eindrücklich.