Harf Zimmermann: "Brand Wand"

In Wände eingeschriebene Geschichte

Die Karl-Marx-Allee in Berlin von oben
Auch in Berlin war Fotograf Harf Zimmermann jahrelang mit seiner Kamera unterwegs. © Deutschlandradio/ Eberhard Schade
Von Thorsten Jantschek |
Brandwände sind eigentlich nicht dafür gedacht, gesehen zu werden. Der Fotograf Harf Zimmermann hat sie trotzdem über 15 Jahre lang fotografiert. Seine Bilder zeigen Verfall und Verwitterung ebenso wie ihre Wiederaneignung durch Werbung und Kunst.
Rund 15 Jahre lang war der Fotograf Harf Zimmermann mit einer großen, schweren Plattenkamera unterwegs in Dresden, Berlin oder Warschau und hat Brandwände abgelichtet; jene Wände eines Hauses, die architektonisch nicht gestaltet sind, die man im Stadtbild normalerweise gar nicht sehen soll, die nur zur Ansicht kommen, wenn Baulücken entstehen, durch nicht gefüllte Kriegsschäden oder durch Abriss.
In diese Wände ist Geschichte eingeschrieben, mal zeigen sich nackte, verwitterte Ziegelflächen, abgeblätterter Putz, bewachsen zuweilen von leuchtendem Efeu. Zugleich zeigen sich an Brandwänden eine urbane Wiederaneignung, sie werden Werbeflächen, pitoreske Tableaus für Street Art, Graffitis oder politische Botschaften.
"Wilde" Fenstereinbrüche jenseits aller Bauvorschriften zeigen sich hier ebenso wie wuchernde Begrünungen. Wie unglaublich gut diese zweidimensionalen Flächen sich für das Medium Fotografie eigenen, kann man in diesem brillant gedruckten Band bewundern: Brandwände sind selbst so etwas wie urbane Displays und städtische Leinwände.
Ästhetischer Eigenwert
Sie entfalten in Harf Zimmermanns Bildern einen beinahe unglaublichen ästhetischen Eigenwert, wirken oft wie abstrakte Malereien. Mal erinnert eine Schuhwerbung auf schlammgrauen Untergrund an eine konstruktivistische Zeichnung oder Collage von El Lissitzky, mal stoßen verschiedenfarbige Ziegelflächen so aufeinander als handele sich um eine Farbflächenmalerei von Mark Rothko, oder die Rankenstruktur eines Efeubewuchses wird im Auge des Betrachters zu einem Drip Painting von Jackson Pollock. Dass Harf Zimmermann diese Brandwände fotografisch zu bergen vermag, wird zu einem grandiosen Erinnerungsprojekt, denn diese Flächen werden weniger werden.
"Nachverdichtung" nennt man im städteplanerischen Diskurs das Schließen von Baulücken, ein Prozess, in dem die Brandwände ihrer eigentlichen Funktion, zu verhindern, dass Feuer von einem Haus zum nächsten übergreifen kann, zurück gegeben, aber eben damit dem Blick entzogen werden. Was dabei verloren geht, kann man an diesem prächtige Buch ermessen.

Harf Zimmermann: Brand Wand
Steidl Verlag
108 Seiten, 78 Euro

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