"Ein miserables Buch"
Der Politologe Herfried Münkler fühlt sich regelrecht in Geiselhaft genommen. Das Jurymitglied ist über das Vorgehen des "Spiegel"-Journalisten Johannes Saltzwedel empört, der ein rechtslastiges Buch auf die von einer gemeinsamen Jury zusammengestellte NDR-Bestenliste "Sachbücher des Monats" beförderte.
Der Feuilletonskandal war perfekt: In der aktuellen Ausgabe der monatlich vom NDR veröffentlichten Empfehlungsliste "Sachbücher des Monats" fand sich plötzlich neben seriösen Publikationen auch Rolf Peter Sieferles Essayband "Finis Germania". Das Buch gilt als politisches Vermächtnis des Historikers, der sich im Herbst vergangenen Jahres das Leben genommen hat. Erschienen ist es bei Antaios, einem Verlag, der mit seinen Veröffentlichungen gezielt das Publikum der Neuen Rechten zwischen Konservativer Revolution und Identitärer Bewegung anspricht.
Falsche Aufmerksamkeit
"Alle sprechen darüber, und das ist eigentlich das Schlimme daran", sagt der Politologe Herfried Münkler im Deutschlandfunk Kultur. Es handele sich bei "Finis Germania" um ein schlechtes Buch, das möglicherweise sogar strafrechtlich relevante Passagen enthalte und zutiefst von antisemitischen Vorstellungen getränkt sei. Undurchsichtig sei auch, wie viel von dem Text tatsächlich von Sieferle stamme und wie viel der Verleger hinzugefügt habe.
Lücke im Reglement
"Im Prinzip sind alle anständigen Jury-Mitglieder davon ausgegangen, dass sie die 20 Punkte, die sie pro Monat zur Verfügung haben, auf tendenziell vier Texte teilen", sagt Münkler. Der "Spiegel"-Journalist Johannes Saltzwedel habe eine Lücke im Reglement ausgenutzt und als einziger alle Punkte diesem Buch gegeben. Dadurch habe er die Jury als Geisel genommen, um "hinterrücks und heimtückisch ein solches miserables Buch so weit vorne zu platzieren", kritisierte Münkler. Einen Grund mit Saltzwedel persönlich ins Gespräch zu kommen, sieht er nach dem Skandal nicht.
Verlogene Erklärung
"Er hat in einem Rundumschlag dann der Jury Illiberalität und Neigung zum Mainstreaming und derlei mehr vorgeworfen", sagt der Politologe. "Das ist einfach geschmacklos." Es sei eine "verlogene Erklärung", wenn Saltzwedel jetzt sage, er habe dieses Buch zur Diskussion stellen wollen. Dann hätte er stattdessen als "Spiegel"-Redakteur dort dazu publizieren können und seinen eigenen Namen nennen, statt in der Anonymität einer großen Jury zu agieren. Dass Saltzwedel alle 20 Punkte für dieses Buch eingesetzt habe, zeige, dass er einen "bedingungslosen Willen" aufgebracht habe, um das Buch in dieser Weise zu platzieren.