Ilija Trojanow: "Nach der Flucht"
S. Fischer Verlag, 2017
128 Seiten, 15 Euro
"Viele Alteingesessene haben falsche Vorstellungen"
Flucht geglückt, Aufenthaltserlaubnis bekommen, Job gefunden: Und nun ist alles gut? Mitnichten, sagt der Schriftsteller Ilija Trojanow, der als Sechsjähriger mit seinen Eltern aus Bulgarien flüchtete. Mit seinem neuen Buch will er etwas klarstellen.
Es beginnt schon mit der Kindheit, sagt Trojanow: Nach der Flucht gebe es niemanden, mit dem man einen "gemeinsamen Erinnerungsraum" teilen könne, niemanden, zu dem man sagen könne: "Weißt du noch...?" . Das führe teilweise dazu, dass man sich selbst von seiner eigenen Kindheit entfremde, "weil sie in der Erinnerung zunehmend anders ist, aus einer anderen Zeit, aus einem anderen Raum kommt".
"Es ist auffällig bei Menschen, die irgendwo in der weiten Fremde leben, dass sie sich unglaublich freuen - mehr glaub ich als andere - wenn sie jemandem begegnen, mit dem sie zum Beispiel zur Schule gegangen sind. Und allein die Tatsache, dass man jetzt ausnahmsweise mal einen gemeinsamen Erinnerungsraum durchschlendern kann, ist ein großes Fest."
Mitunter wolle man aber auch das Herkunftsland, die vermeintliche Heimat "mal so richtig ablegen", sagt Trojanow: "Manchmal denkt man sich, ich hätte es gern irgendwo weggeworfen. Aber es funktioniert nicht. Sie wird einem immer wieder nachgetragen. Das ist Teil dieser komplizierten Realität".
"Schockierende irritierende, verwundernde Reaktionen"
Was ist das eigentlich für ein Leben, das man als Geflüchteter führt? "Ein Leben in einer gewissen Vielfalt, in einer Pluralität, widerstreitenden Beeinflussungen und selbstgewählten Neuorientierungen. Ich wollte beschreiben, wie das ist, weil ich festgestellt habe, dass viele Alteingesessene (…) da ganz falsche Vorstellungen haben", so Trojanow.
"Es geht ja auch darum, dass die Leser gelegentlich auch mit dem Kopf gegen die Wand dotzen so wie der Geflüchtete ja auch immer wieder vor teilweise schockierenden, irritierenden, verwundernden Reaktionen steht. Das ist auch ein Teil des Buches, dass man selbst als erfolgreicher Geflüchteter doch immer wieder staunen muss."
Als Beispiel nennt Trojanow, dass er bei jeder Lesung und bei jedem Auftritt gefragt werde, wieso er so gut Deutsch könne. Es gebe viele Leute, "die der völlig irrigen Ansicht sind, man könne Deutsch als Fremdsprache überhaupt nicht so gut lernen - auch wenn es Zighunderttausende, wenn nicht Millionen gibt, die das extrem gut hingekriegt haben". (bth)