Ingo Schulze: Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2017
570 Seiten, 22,00 Euro
Neues Licht auf das deutsch-deutsche Milieu
Ingo Schulzes neuer Roman spiegelt erneut die "Wende": Dieses Mal jagt der Schriftsteller eine Kunstfigur schelmenmäßig durch die deutsche Geschichte. Sprachlich hat sich Schulze beschränkt - und trifft damit seinen Stoff, urteilt unser Rezensent.
"Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst": Schon der Titel verweist ins 18. Jahrhundert und zitiert die Form des Schelmenromans. Der Autor Ingo Schulze hat sich immer gern hinter Autorenfiktionen und fiktiven Herausgeberschaften versteckt. Aber etwas ist jetzt anders. Der Protagonist spricht im Präsens, in einer Art einfacher Erlebniserzählung, ohne formale Experimente und sprachliche Irritationen. Anscheinend hat sich hier der Stoff selbst eine ihm gemäße Sprache gesucht.
Es geht wieder um die Erfahrung der "Wende", des Übergangs von der DDR in die BRD, mit dem Katalysator vom 9. November 1989. Peter Holtz agiert am Anfang im Jahr 1974 als 12-Jähriger, und er versucht eine Kellnerin davon zu überzeugen, dass mit Geld zu bezahlen im Sozialismus eigentlich obsolet sei. Vom Leiter seines Kinderheims in antifaschistischer Gesinnung geschult, nimmt Peter Holtz die Werte des Sozialismus ernst, und so kommt es zu sehr komischen Verwicklungen: Die Verhältnisse sind nicht so, wie es sich der Heranwachsende als Ideal vorstellt.
Kunstfigur mit suggestiver Wirkung
Er ist eine Kunstfigur, die, weil er in Ich-Form erzählt und deshalb vieles nicht beachtet, eine suggestive Wirkung erzielt. Peter Holtz will immer nur das Gute, bekommt aber gerade dadurch auch Ärger. Als er von der Stasi angeworben wird, freut er sich darüber so sehr, dass er jedem davon erzählt. Also lässt die Stasi ihn daraufhin fallen.
Es reicht nicht zur gewünschten Laufbahn des Berufsoffiziers, sondern nur zum Maurer, und statt der SED wird die DDR-CDU seine Partei. Der Autor Ingo Schulze, der hinter der scheinbar schlichten Ich-Erzählung der Peter Holtz-Figur seine Fäden zieht und viele groteske und erhellende Effekte freisetzt, hat einen Weg gefunden, nicht dokumentarisch die Zeitgeschichte aufzuarbeiten, sondern auf ungewohnte Weise neu auf sie zu blicken.
Peter Holtz sucht immer den Einklang. So erfindet er aus Zufall, weil er nur Arbeiterlieder kennt, in einer Kirchenband den DDR-Punk. Und dass er im Kapitalismus dann sofort das Banken- und Kreditwesen in seinen Möglichkeiten entdeckt, ergibt sich ganz konsequent.
Nach der Wende wird Holtz schnell Millionär
Weil er Maurer ist und sich handwerklich auskennt, bekommt er immer mehr Häuser billig zum Kauf aufgedrängt: die DDR-Eigentümer können sie nicht mehr finanzieren und instandhalten. Auf diese Weise wird Holtz schnell Millionär – ein Hans im Glück, der aber zusehends mit dem Problem konfrontiert wird, dass das Geld Unglück bringt. In einer ungeahnten Apotheose entdeckt er als Hausbesitzer in der Berliner Auguststraße dann die Galerieszene und die Kunst als letzten Fluchtpunkt.
Das Ganze läuft auf ein vieldeutiges, raffiniertes Schlussbild zu. Holtz verbrennt seine Geldscheine, als eine Kunst-Aktion, die Aufsehen erregt. Aber es sind wahre Geldscheine, und in ihnen scheint auch sein vermeintlich naives und unantastbares Schelmen-Gemüt auf und verglimmt. Ingo Schulze hat seine erzählerischen Möglichkeiten in diesem Roman zwar reduziert, aber genau damit ein verblüffend neues Licht auf das deutsch-deutsche Milieu geworfen.