Isabel Fargo Cole: "Die grüne Grenze"
Edition Nautilus, 500 Seiten, 26 Euro
Der deutsche Wald, der Harz und mittendrin die Grenze
Die US-Amerikanerin Isabel Fargo Cole hat auf Deutsch ein Buch geschrieben, das zu DDR-Zeiten im Harz spielt. Im Mittelpunkt steht ein Künstlerehepaar. Der Roman "Die grüne Grenze" ist so überzeugend, dass er für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde.
Joachim Scholl: Sie ist in einem kleinen Ort in Illinois geboren, in New York City aufgewachsen, hat Philosophie, Russisch und deutsche Literatur studiert. Seit über 20 Jahren lebt sie in Berlin, schreibt inzwischen auch auf Deutsch, und jetzt steht ihr erster Roman "Die grüne Grenze" auf der Nominiertenliste für den Preis der Leipziger Buchmesse. Isabel Fargo Cole heißt die Schriftstellerin. Willkommen in der "Lesart", Frau Cole!
Isabel Fargo Cole: Danke schön!
Scholl: Als ich das erste Mal Ihren Namen hörte, muss ich zugeben, dass ich gedacht habe, wow, mit so einem Namen hätte man auch im Country-Rock eine Karriere machen können. Wie kam es zu Isabel Fargo? Hat das eine Bedeutung?
Cole: Fargo ist der Mädchenname von meiner Mutter.
Scholl: Hat mit dem Ort gar nichts zu tun, dem berühmten, der mittlerweile durch die Fernsehserie so berühmt geworden ist.
Cole: Heißt wahrscheinlich nach einem anderen Verwandten.
Scholl: Wie kommt aber ein Girl from Galina, so heißt der kleine Ort in Illinois, dazu, deutsche Literatur zu studieren?
Cole: Oh, eine lange Geschichte. Ich habe Deutsch an der High-School als Fremdsprache gemacht. Wir hatten dann einen Austausch mit Bielefeld mit Ausflug nach Berlin im Jahr '87. Da war es eigentlich schon um mich geschehen. Es hat mich dann immer wieder nach Berlin gezogen. Und dann bin ich '95 eben endgültig nach Berlin gezogen, habe an der Humboldt-Uni studiert, eben auch deutsche Literatur.
Ostdeutscher Freundeskreis
Scholl: Und haben dann auch begonnen, als Übersetzerin zu arbeiten. DDR-Autoren wie Franz Fühmann und Wolfgang Hilbig haben Sie ins Englische übertragen. Kam von hier, Frau Cole, aus dieser literarischen Welt, schon Ihr Interesse für die DDR und diese Zeit der 1970-er und der 1980er-Jahre? Da spielt nämlich Ihr Roman.
Cole: Es war eher andersherum. Durch das Studium an der Humboldt-Uni hatte ich einen ostdeutschen Freundeskreis, fast überwiegend ostdeutsch. Es hat mich sowieso in den Osten gezogen, das war eigentlich der Anreiz, nach Berlin zu kommen. Die Mauer ist weg, was steckt dahinter. Und das war dann eigentlich die Motivation. Da bin ich erst auf die DDR-Literatur gekommen und eben auf diese Themen, die ich in dem Roman dann aufgearbeitet habe.
Scholl: Die Hauptfiguren Ihres Romans sind ein Künstlerehepaar, er ist Schriftsteller, sie Bildhauerin. Beide erwarten ein Kind und ziehen auch deshalb aus Berlin weg ins sogenannte Zonenrandgebiet, wie man im Westen damals gesagt hat, in ein Dorf, in ein Milieu auch, dass Sie dann, Frau Cole, so präzise beschreiben, als seien Sie selbst da aufgewachsen. Was hat Sie denn ausgerechnet in diese Gegend verschlagen, die Sie ja als solches Grenzgebiet auch nie kennengelernt haben?
Cole: Ich war zufällig dort einfach touristisch unterwegs, also schon sehr früh nach der Wende, bin mit der Schmalspurbahn da durch den Harz gefahren, habe diese Orte gesehen, "Sorge" und "Elend", habe mich gefragt, was steckt hinter den Namen ...
Scholl: So heißen die Orte wirklich, "Sorge" und "Elend".
Cole: Habe mich gefragt, was es damit auf sich hat. Diese Grenze, dieses Grenzgebiet hat mich auch in Berlin schon immer interessiert und angezogen. Ich habe immer versucht, imaginativ nachzuvollziehen, wie es gewesen sein kann, mit dieser Grenze zu leben. Und ich habe mir dann eben auch dieses – also mich interessiert der Alltag, wie läuft ein Alltag ab in einer Ausnahmesituation da im Sperrgebiet, und habe versucht, mir das anzurecherchieren.
Scholl: Wie haben Sie das gemacht, Frau Cole? Es ist so detailreich und so präzise gezeichnet, das kann man sich nicht nur aus Büchern erarbeiten, habe ich mir vorgestellt. Da müssen Sie Helfer gehabt haben. Haben Sie Zeitzeugen getroffen, gesprochen?
Cole: Ja, genau. Ich habe mit Leuten in den Orten, also in "Sorge" mit ein paar Menschen Gespräche geführt, habe auch in den Archiven nachgeforscht. Aber ich muss sagen, das ist alles immer noch nur eine Annäherung an diese Realität. Es ist mir völlig klar, dass ich diese Realität nicht detailgetreu rekonstruieren kann. Das ist immer noch eine Konstruktion, und darum geht es mir dann eben auch, um diese bewusste Annäherung an die Geschichte.
"Die Aufbruchsstimmung hat mich interessiert"
Scholl: 1973 setzt die Handlung ein. Das Jahr ist zufällig auch Ihr Geburtsjahr, Frau Cole. Für die DDR-Geschichte hat es insofern eine kulturelle Bedeutung, als Erich Honecker damals eine Art kulturelles Tauwetter eingeleitet hat, eine neue Offenheit, mit der dann wieder nicht so viel los war. Aber was hat Sie besonders interessiert gerade an dieser Periode?
Cole: Ich habe wirklich mein Geburtsjahr als Anfang gesetzt, also dass dieses Kind da in meinem Geburtsjahr zur Welt kommt, um damit sozusagen zu schauen, was ist parallel zu meinem eigenen Leben in den USA abgelaufen. Und '73 war tatsächlich eigentlich ein interessanter Anfangspunkt. Diese Hoffnung auf Öffnung, worauf Thomas, der Schriftsteller, die Hauptfigur, eben reagiert und glaubt, jetzt vielleicht ein Buch über die Grenze zu schreiben, wenn er schon mal da lebt. Also Hoffnungen, die natürlich dann auch gleich wieder zerschlagen werden. Aber das hat mich als Ausgangspunkt interessiert, so eine Aufbruchsstimmung.
Scholl: Eine "grüne Grenze" ist unser Idiom für eine Grenze, die gar nicht richtig gezogen wird, die eigentlich durchlässig ist. Das ist natürlich die DDR-Grenze definitiv nicht.
Cole: Das war im Osten anders. Die grüne Grenze hieß eben im Osten die Grenze außerhalb Berlins.
Scholl: Sehen Sie – das wusste ich gar nicht.
Cole: Ja, das Gespräch hatten wir auch beim Verlag.
Der Wald als romantisches Motiv
Scholl: Ich hab natürlich sofort an das Grün des Waldes gedacht, weil der Wald, der tiefe deutsche Forst, der Harz, der die Landschaft ja dominiert. Das ist ein ganz starkes Motiv in Ihrem Roman und natürlich ein klassisches romantisches Motiv deutscher Innerlichkeit. Das hat Sie auch anscheinend sehr fasziniert.
Cole: Ja, das war eben auch so eine Ausgangskonstellation. Im Harz die Grenze, also diese sehr krasse Verschandelung der Landschaft eigentlich. Aber dann auch der deutsche Wald, der Urwald, den es angeblich noch in Resten gibt oder gab. Dass diese Grenze tatsächlich grün ist. Jetzt gibt es das Grüne Band, also der Grenzstreifen. Die innerdeutsche Grenze wird jetzt sozusagen zum Wanderweg ausgebaut, was ich sehr schön finde.
Scholl: Der Wald ist ein Motiv in einem Buch mit so vielen Motiven und so vielen Schichten, die wir jetzt gar nicht alle hier aufzeigen können, Frau Cole. Sie entwickeln die verschiedenen Biografien der Figuren. Der Schriftsteller Thomas hat eine ganz verschlungene deutsch-russische Vita, als jüdisches Findelkind auch. Dann gibt es seine Schwiegermutter, eine marxistische Mittelalterhistorikerin. Im Mittelalter spielt dann auch der Roman, den dieser Thomas zu schreiben beginnt, den lesen wir auch in Teilen. Ich habe mich gefragt, Isabel Fargo Cole, was es mit dieser Struktur auf sich hat, wie die sich gebildet hat in Ihrem Kopf, also wie der Roman entstanden ist. Wie haben Sie ihn geschrieben?
Cole: Das hat sich tatsächlich so ergeben. Ich wusste, das spielt im Harz, und es geht um die Grenze. Der Wald, das verband sich einfach durch das Grüne sozusagen. Ich hatte dann auch irgendwann in einem Reiseführer gelesen, im Harz sollen sich die letzten Reste des deutschen Urwalds befunden haben, was eigentlich gar nicht stimmen kann. Aber das war eben auch so ein Auslöser. Und ich habe mich da reinvertieft, und da taten sich so viele Themen und so viele Geschichtsschichten auf, weil der Harz, also diese Region im Mittelalter sehr wichtig war. Das hat sich einfach so von sich aus so entwickelt.
Magischer Realismus
Scholl: Von der Handlung dürfen wir jetzt nicht allzu viel verraten. Die Stimmung des Romans wird gegen Ende auch immer fantastischer. Da kommt ein, wie ich finde, magischer Realismus ins Spiel, der aber eine doch schon sehr märchenhaft deutsche Note hat. Da habe ich vor allem Ihre Sprache bewundert, und mit der Tatsache natürlich im Hinterkopf, dass Deutsch gar nicht Ihre Muttersprache ist. Wie sind Sie eigentlich zur deutschen Schriftstellerin geworden, Frau Cole?
Cole: Das ist nun mal meine Umgebung. Ich hatte am Anfang eigentlich nur einen rein deutschen Freundeskreis, wollte mich jetzt nicht in so eine Expat-Umgebung begeben. Das kam auch durch das Übersetzen. Ich gehe die ganze Zeit mit der deutschen Sprache um. Und bei dem Stoff war das auch naheliegend.
Scholl: Wissen Sie, wer von Ihrem Roman, glaube ich, begeistert gewesen wäre? - Uwe Johnson.
Cole: Das würde mich sehr freuen.
Scholl: Der wäre auf dieses Motiv abgefahren. Die Grenze, das war seine Metapher für so ziemlich alles. Ich vermute, dass Sie ihn intensiv gelesen haben? Gab es auch Vorbilder?
Cole: Ich habe einiges von ihm gelesen. Also das ist schon noch eine Bildungslücke bei mir.
Scholl: Jetzt könnte diese Ihre "Grüne Grenze" ganz groß rauskommen, wenn der Roman den Preis der Leipziger Buchmesse erringt. Sind Sie schon ein bisschen aufgeregt?
Cole: Ja, schon. Wie gesagt, ich habe gar nicht damit gerechnet, und es kommt mir immer noch alles ein bisschen unwirklich vor.
Scholl: Mein Lieblingssatz in diesem Buch, den will ich unbedingt noch loswerden, der heißt: "Im Bus nach Hause döste die Frühschicht." Den habe ich mir sofort angestrichen, ich weiß gar nicht, warum. Weil er einfach so schön ist. Alles Gute Ihnen für den Preis, Isabel Fargo Cole, vielen Dank für Ihren Besuch!
Cole: Danke schön!
Scholl: Und "Die grüne Grenze", der Roman von Isabel Fargo Cole, ist in der Edition Nautilus erschienen, mit knapp 500 Seiten zum Preis von 26 Euro.
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