Jan Bachmann: "Mühsam"

Einblick in den Alltag eines schrägen Anarchisten

Das Grab des Anarchisten, Schriftstellers und Pazifisten Erich Mühsam auf dem Waldfriedhof Dahlem in Berlin, aufgenommen am 17.02.2015. Auf dem Grabstein steht die Inschrift: "Hier ruht unser Erich Mühsam Geb. 6. April 1878 Ermordet 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg" Mühsam, der an der Muenchner Raeterepublik beteiligt war, wurde von der SS im KZ Oranienburg ermordet.
Erich Mühsam wurde im KZ Oranienburg ermordet und schließlich in Berlin Dahlem beigesetzt. © dpa / picture alliance / Wolfram Steinberg
Jule Hoffmann im Gespräch mit Timo Grampes |
Der Comic-Zeichner Jan Bachmann hat einige Monate aus Erich Mühsams Tagebüchern gezeichnet. Dabei mischt er originale Zitate mit erfundenen Dialogen. Und er zeichne, dass es ein wahrer Genuss ist, meint Redakteurin Jule Hoffmann.
Erich Mühsam war Schriftsteller, Anarchist, Antimilitarist und im Jahr 1918 maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, was ihm fünf Jahre Haft einbrachte. Nicht zuletzt war er ein antifaschistischer Held, der 1934 im KZ Oranienburg von der SS ermordet wurde. Seit 2011 erscheinen im Verbrecher Verlag nach und nach die vollständigen Tagebücher Erich Mühsams. Anhand derer hat der Schweizer Comiczeichner Jan Bachmann jetzt einen Comic über Erich Mühsam gezeichnet, mit dem Titel "Mühsam. Anarchist in Anführungsstrichen".
Im Comic beschränkt sich Bachmann auf einen eher kurzen Zeitraum, August bis Oktober 1910. Seine Erzählung folgt Tagebucheinträgen aus dem Leben des zu dieser Zeit 32-jährigen Erich Mühsam. Original Mühsam-Zitate aus dem Tagebuch werden durch dazu erfundene Dialoge und Situationen ergänzt. "Die Handlung setzt ein bei der Familie in Berlin, die ihn zur Kur in die Schweiz schickt, dort muss er auf Tabak, Kaffee und Alkohol verzichten, langweilt sich entsetzlich und reist eigenmächtig früher ab", erzählt die Deutschlandfunk-Kultur-Redakteurin Jule Hoffmann. Am Ende zieht Mühsam nach München. "Das sind ganz alltägliche Dinge, die aber auch immer wieder vermengt sind mit Gedanken zur politischen Situation in Deutschland."

Dichter mit gesundem Selbstbewusstsein

Mühsam komme bei Bachmann als wahrer Bohemien, als verkannter Poet, rüber, der von Revolution träumt und sich zugleich nach bürgerlicher Anerkennung sehnt, meint Hoffmann. "Dabei hat Mühsam ein gesundes Selbstbewusstsein, über seine eigenen Bücher schreibt er, 'dass es kaum Gedichtbücher gibt, in denen schönere Verse stehen'."
Im Nachwort schreibt Jan Bachmann: Mühsam sei ihm begegnet als "immer verschuldetes Bürgersöhnchen zwischen wahnwitziger Selbstüberschätzung und freundlicher Selbstironie – als ideale Comicfigur also." Mühsam sei im Comic tatsächliche eine schräge Figur, sagt Hoffmann.
Gezeichnet sei das Comic mit sehr viel Witz, sagt sie. So sei Mühsams Nase "penisgroß" gezeichnet und rage ständig ins Bild. "Mich hat das erinnert an französische Comiczeichner wie Christophe Blain oder vor allem Joann Sfar", sagt Hoffmann.

Gelungene Kombination von Zitaten und erfundenen Dialogen

Das Comic sei "ein kurzer Einblick in den Alltag eines schrägen Anarchisten", meint sie. Wofür Mühsam bekannt sei - sein Anteil an der November-Revolution oder sein tragisches Ende im KZ - all das wird ausgespart, "und diese Autorenentscheidung von Jan Bachmann finde ich ziemlich anarchisch."
Der Titel "Anarchist in Anführungsstrichen" scheint sich jedoch direkt auf ein Mühsam-Zitat zu beziehen. So sinnt Mühsam einmal darüber nach, wie die Presse nach seinem Ableben über ihn schreiben würde: "Tausend Bohemien-Anekdoten. Anarchist in Anführungsstrichen. Und im Übrigen 'nicht tatenlos'", mutmaßt er.
"Ich finde vor allem die Kombination von Original-Zitaten und erfundenen Dialogen überraschend gelungen", sagt Hoffmann. "Gerade der Humor hat mir auch gefallen, wenn man Mühsams Biografie kennt und die grausigen Umstände, unter denen er später ermordet wurde, erwartet man doch was anderes." Der Comic zeige Mühsam als positive interessante historische Figur und rege zum Lesen seiner Texte an.
(inh)

Jan Bachmann: Mühsam. Anarchist in Anführungsstrichen
Edition Moderne, Zürich
96 Seiten, 19 Euro

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