Eine Sprache, die lebt
Er ist so etwas wie der Behüter der jiddischen Sprache: Mendy Cahan. Seit 2006 betreibt er in Tel Aviv eine jiddische Bibliothek und wahrt das Andenken jiddischer Bücher. Er will beweisen: Jiddisch hat noch Lebenskraft.
Der zentrale Busbahnhof in Tel Aviv ist eine architektonische Abscheulichkeit erster Klasse. Ein Betonmonster, mitten in die gewachsene Stadt hineingeklotzt, mit Hochstraßen, die wenige Meter neben den Wohnungen verlaufen, so dass die Buspassagiere den Menschen förmlich beim Mittagessen zusehen können. Im Innern ein verwahrlostes Labyrinth mit Supermärkten, Ramschläden und Imbissen. Menschen aus aller Herren Länder drängen sich hier, Flüchtlinge, Illegale, aus der Gesellschaft Gefallene. Alles würde man hier erwarten, nur keine geradezu magische Kulturoase.
Ganz am Ende eines finsteren Gangs mit leerstehenden Geschäften steht man plötzlich vor einem Laden mit der Aufschrift: "Yung Yiddish Book Museum". Man tritt ein und befindet sich in einer anderen Welt, einer Welt mit chassidischer Musik.
Ein erstaunlich großer Raum öffnet sich einem, vollgestellt mit alten Möbeln. An den Wänden Regale, über und über mit Büchern gefüllt. An der gegenüberliegenden Seite eine Bühne, die von einer Mauer aus Büchern eingefasst ist. Das ist das verwunschene Reich von Mendy Cahan. Er betreibt hier im hintersten Winkel des Busbahnhofs seine jiddische Bibliothek mit Tausenden jiddischen Büchern. Warum ausgerechnet in einem Busbahnhof?
"Vielleicht ein schönes Metapher für jiddische Kultur. Wir gehen auf den Bahnhören von Platz zu Platz schon tausend Jahre und viele Kulturen treffen zusammen in das Jiddische."
Jiddische Bücher über alle möglichen Themen
Der 52-jährige Mendy Cahan ist in einer orthodoxen Familie in Antwerpen aufgewachsen. Sein Vater ist Holocaustüberlebender und mit 18 kam Mendy nach Israel. Er wollte ursprünglich in einer Jeschiva studieren, lernte aber lieber Sprachen. Er entdeckte das Jiddische wieder, mit dem er schon in Antwerpen aufgewachsen war. 1993 gründete er seinen "Yung Yiddish-Verein“. Und 2006 bezog er mit seinen jiddischen Büchern diesen Raum im Busbahnhof.
"Tausende jiddische Bücher über alles. Da hast du über Politik, über Erziehung über Prosa und Poesie. Und du hast auch Guy de Maupassant, Victor Hugo in Jiddisch, Khalil Jibran, Zeitungen und Musik und noch und noch."
Der finstere, aber durchaus anheimelnde Raum hat nur ein Oberlicht, keinen Strom und kein Wasser, aber er ist billig und liegt zentral. Hin und wieder fährt oben ein Bus über die Decke und alles scheppert zittert wie bei einem leichten Erdbeben. Er spüre das gar nicht mehr, sagt Mendy, ein schlanker Mann mit schlohweißen Wuschelhaaren, in weitem weißem Hemd und schwarzer Hose.
Wer kommt hierher?
"Junge Leute und auch Studenten und auch Chassidim und alte Leute, Touristen. Die Register von Jiddisch ist sehr breit."
Alle Bücher sind Spenden. Der Verein "Yung Yiddish" ist nicht-kommerziell, er veranstaltet hier Lesungen, Konzerte und Diskussionen. Immer in Jiddisch, das in Israel durchaus noch gesprochen wird.
Eine ganz besondere Sprache
"Das ist bei Vielen a zweite oder dritte Sprache, aber die Haredim sprechen noch Jiddisch, die Frommen, aber auch viele Chassidim von Lubawitsch sprechen das noch und auch die alte Generation. Das ist eine ganze Generation, die noch Jiddisch spricht und versteht."
Das Jiddische ist eine ganz besondere Sprache, erklärt Mendy. Es habe sich vom sechsten bis achten Jahrhundert unter den Juden im Rheinland aus dem Alt-und Mittelhochdeutschen entwickelt. Rund 30 Prozent stamme aus dem Aramäischen und Hebräischen und der Rest aus dem Deutschen oder, weiter im Osten, aus slawischen Elementen. Eine sehr internationale Sprache, weshalb ein Jude aus Krakau sich mit einem Juden aus Amsterdam ohne weiteres verständigen könne.
Und dann wechselt Mendy selbst ganz unvermittelt ins Jiddische.
"Ich red Jiddisch mit de Brieder, mit Bekannte red ich Jiddisch. Ich sing in Jiddisch und spiel Theater in Jiddisch, ich schreib auch a purmol. Ich bin a Jid."
Oft wird das Jiddische als aussterbende Sprache beschrieben. Das kann Mendy überhaupt nicht nachvollziehen. Im Gegenteil, das Jiddische sei höchst lebendig, findet er.
"Sie lebt noch. Es hat noch Lebenkraft."