Jim Rakete: Digitalfotografie ist "unsexy"
Heute vor 60 Jahren wurde die Polaroidkamera erfunden, die eine Sofortentwicklung der Bilder erlaubte. Weil im Sommer die Produktion der Filme eingestellt wurde, wird diese Technik bald der Vergangenheit angehören. Fotograf Jim Rakete aber schwärmt von den Möglichkeiten des Mediums und ihrer eigenwilligen Ästhetik. Digitalfotografie hingegen hält er für eine "Einladung zur Manipulation".
Dieter Kassel: Es war angeblich die Ungeduld seiner Tochter, die nach dem Urlaub nicht immer tage- oder wochenlang auf die Entwicklung der Urlaubsbilder warten wollte. Diese Ungeduld, die den amerikanischen Physiker Edwin Land dazu gebracht hat, die Sofortbildkamera zu entwickeln. Sicher ist, dass das erste praxistaugliche Modell, na ja, im Vergleich zu den Nachfolgemodellen sagen wir mal halbwegs praxistaugliche Modell, vor exakt 60 Jahren auf den Markt kam in den USA, am 26. November 1948. Deshalb können wir heute den 60. Geburtstag der Sofortbildkamera feiern, wenngleich natürlich das nicht nur erfreulich ist. Denn hergestellt werden sie nicht mehr und im Sommer liefen auch die allerletzten Sofortbildfilme von den Bändern der wenigen Fabriken, die noch übrig waren, private Filme für den Privatgebrauch wurden nur noch in den Niederlanden produziert und auch da war dann im Sommer Schluss. Und jetzt muss jeder, der noch einen Film haben will, sich beeilen, denn bald wird es die in den Geschäften auch nicht mehr geben.
Macht aber nichts. Man kann trotzdem die Geschichte Revue passieren lassen. Das wollen wir tun heute Vormittag mit Jim Rakete. Er ist einer der bekanntesten deutschen Porträtfotografen und liebt durchaus alte Technik. Herr Rakete, ich darf erwähnen, dass im Moment im Filmmuseum in Frankfurt am Main eine Ausstellung mit Bildern von Ihnen zu sehen ist, die Sie gemacht haben mit einer Plattenkamera. Das war nun wirklich noch die Zeit vor dem Sofortbild. Aber erst mal noch mal schönen guten Morgen, Herr Rakete!
Jim Rakete: Guten Morgen! Ja, die Technik ähnelt sich tatsächlich, weil das Erste, was der Land baute, war ja eine sehr lange Balkenkamera. Und die musste auch ein sehr großes Format haben, weil der Polaroidfilm damals wie heute im Eins-zu-eins-Format war, also die Schichten und das alles, das war im Originalformat. Und dieser lange Weg, um auf ein großes Format zu kommen, die lange Brennweite, die benötigt wurde, hat natürlich zu großen Kameras geführt zunächst mal. Die ersten Dinger, die ich auch mal in der Hand hielt, sie waren aus den 50ern. Das waren ganz schöne Monster. Da musste man schon ordentliche Unterarmmuskelnatur mitbringen.
Kassel: Mal kurz zur Technik. Das eigentlich Sensationelle an der Erfindung war ja gar nicht die Kamera im Sinne von Objektiv, sondern war der eigentliche Film?
Rakete: Sagt man immer. Der hatte auch eine ganz besondere Ästhetik. Durch die Jahre hat sich die ja mehrmals verändert, weil es gab ja mehrere Polaroidformate, die angeboten wurden. Aber es gibt auch Derivate, die nicht uninteressant waren auch für den professionellen Bereich. Beispielsweise hat Andy Warhol sich ja immer bedient dieser Technik, um die Vorlagen zu machen für seine große Siebdrucke.
Und Polaroid entwickelte dann in den 60ern dankenswerterweise auch eine Kamera, die nannten sie "Big Shot". Das war eine Kamera, die sah aus, die hatte so die Form einer Kamelnase, ein ganz langer Tubus. Und die war gebaut worden für Ärzte und Friseure und Make-up-Künstler. Das heißt, die hat eigentlich nur Porträts gemacht. Und damit war Andy immer zugange und machte seine Fotos von irgendwie, von Liz Taylor oder Liza Minnelli und hat dann daraus, hat die in die Luzi gesteckt und daraus große Siebdrucke gemacht. Das war eine sehr exakte Kamera, was jetzt den Porträtbereich anbelangte.
Und es gibt auch die schöne Geschichte, er war ja auch sehr faul und elegant, unser Andy, der kam dann, irgendwann sollte er Willy Brandt porträtieren und kam nach Bonn und man ging zusammen essen mit Willy Brandt und dann irgendwann wurde die Delegation nervös und sagte, Herr Warhol, wollten Sie nicht noch ein Foto von Herrn Brandt machen. Und dann produzierte er das, leider sind wir ja hier im Hörfunk, aber er produzierte ...
Kassel: Man hört diese schöne Kamera.
Rakete: Die sieht aus wie ein Zigarettenetui, aber es ist eine Sofortbildkamera namens SX 70, die wurde Mitte der 70er erfunden und ist ein Klappmatismus und, glaube ich, der feinmechanische Höhepunkt der Polaroid.
Kassel: Das heißt, mit der, wir haben da vorher schon drüber gesprochen, der war doch auch ein bisschen erstaunt, Sie haben beschrieben, das ist regelrecht eine Spiegelreflexkamera. Mit dieser konnte man, ich hatte nämlich in den 80ern viel einfachere Modelle in der Hand gehabt, mit dieser konnte man auch aus Sicht eines Profifotografen brauchbare Fotos machen?
Rakete: Das hat eine ganz besondere Bewandtnis mit SX 70, auch eine ganz besondere Ästhetik. Das war eigentlich das Kommunikationsmittel der 80er, 90er. Wenn ich mit meinem Artdirektor, Ulf Meyer zu Küngdorf, der ja in Hamburg wohnte, kommunizierte über Schallplattenentwürfe, dann haben wir uns prinzipiell abends einen Brief in den Briefkasten gesteckt. Da stand überhaupt kein Text drauf, sondern der bestand aus einem Polaroid und auf einem unteren Rand stand "Ungefähr so?". Und da haben wir einfach immer Fotos oder Entwürfe abfotografiert und uns gegenseitig geschickt, das, was man heute alles per E-Mail macht, ein bisschen unromantischer und ein bisschen präziser. Das war damals eben Polaroid mit Briefmarke.
Und zum Beispiel auch die Layouter und die Artdirektoren oder mein Freund Peter Lindbergh lief ständig rum mit so einem Stapel Polaroids zusammengehalten mit dicken Gummibändern und zeigte mir immer, indem er die auslegte wie Bierdeckel auf dem Tisch, Strecken, die er für die "Vogue" fotografiert hatte. Das hatte so eine ganz bestimmte Arbeitserotik. Wenn man jetzt Prints reproduziert mit einer Polaroidkamera, dann hat das immer einen leichten Farbstich. Und das sah wunderschön aus immer. Ich mochte diese Art zu kommunizieren auch sehr gerne, diese eigene Ästhetik.
Kassel: Wenn wir auf den privaten Bereich kurz kommen, da hat sich ja auch die Polaroid, die Sofortbildkamera für ein paar Jahrzehnte gut durchgesetzt. Es war aber natürlich eigentlich zu jeder Zeit teurer, mit Sofortbildern zu arbeiten privat als mit normalen analogen Filmen und die entwickeln zu lassen. Warum, glauben Sie, hat sich das im Privatbereich durchgesetzt? War das nur die Ungeduld der Leute?
Rakete: Erst mal ist es diese Sucht nach sofortigen Ergebnissen. Fotografie gehört ja zu den letzten Sachen, wo man wirklich konkrete Ergebnisse produziert. Das Zweite ist aber, dass wenn man es mal durchrechnet, was die vielen Amateure mit ihren dicken Ausrüstungstaschen und mit ihrem Warten auf Entwicklungsergebnisse, die haben sicherlich auch nicht so besonders billig gearbeitet.
Ich wollte aber noch auf eins hinweisen, was, glaube ich, ein bisschen unbekannt ist bei Polaroid. Es gab immer so Derivate von Polaroid, die total schön waren. Es gab einen Film, der produzierte nicht nur das Bild, sondern auch ein Negativ, der 664. Und damit konnte man fotografieren. Und man hatte hinterher dann einen niedrig empfindlichen Film als Negativ, den man ganz normal verarbeiten konnte.
In der Ausstellung von Annie Leibovitz, die demnächst nach Berlin kommt, können Sie sich das alles superschön anschauen, weil die hat ganz viel mit dem Polaroidrücken ihrer Mamia diese Negative produziert, die sehr feinkörnig sind und sehr schön gezeichnet, auch ein sehr schönes Format haben und irgendwo im Grenzbereich zwischen Plattenkamera und Mittelformatkamera liegen. Und es sind ganz viele Fotos, so von Al Pacino und Robert de Niro, die sind mit diesem Polaroidansatz geschossen und sind Prints von Originalpolaroidnegativen, die wunderschön aussehen.
Kassel: Vieles von dem, das jetzt zum Schluss nun gerade nicht, Herr Rakete, aber vieles von dem, was Sie erzählt haben über die Anwendung von Fotos im professionellen Bereich, Beispiel, einfach in den Briefkasten stecken, drunter schreiben "So?" o.ä. oder kleine Portfolios zu haben aus einem Bändchen, das kann man natürlich heutzutage alles digital auch wunderbar machen. Sie können natürlich, ich glaube, Sie machen das nicht, aber theoretisch Ihr Handy auspacken und dann auf ein paar Knöpfe drücken und fragen "So?". Ist das schlechter als Polaroid?
Rakete: Es ist ein bisschen unsexy, ehrlich gesagt, weil es fehlt einfach dieses Persönliche. Es fehlt dieses Zwischenergebnis und die Ästhetik von Polaroid. Zum Beispiel, ich habe immer noch Polaroids von Mitarbeitern und was weiß ich, alles, was man fotografiert, bevor man anfängt zu fotografieren. Da haben wir früher ganz oft, wenn wir die richtige Belichtung nicht wussten oder so, haben wir ein Polaroid gemacht und das waren wunderbare Dinger. Die sind bis heute schöne Erinnerungen.
Kassel: Aber wenn wir die digitale Fotografie jetzt mal trotzdem denken, klar, haben diese Polaroids irgendwie ... Es piept gerade etwas. Ist das was Digitales übrigens?
Rakete: Das könnte ein Telefon von mir sein.
Kassel: Ganz erstaunlich.
Rakete: Die geben sicherlich gleich auf.
Kassel: Im Hintergrund hören wir die digitale Welt, aber bleiben wir bei den Polaroids. Vieles, was diese Ästhetik ausmacht, auch so Späße, die Privatleute auch gemacht haben, bezog sich ja eigentlich auf Defizite dieser Technik. Sie konnten so ein bisschen, während das Bild sich entwickelt hat, mit dem Fingernagel drauf schrappen. Dann haben sie die Farben verfälscht. Wenn es eiskalt war, sah das anders aus, als wenn sie sie in die Sonne gelegt haben.
Rakete: Ja, das hat lange gedauert, ja.
Kassel: Das konnte man andererseits für Formen von Kunst nutzen, aber andererseits, das war wie gesagt ja eigentlich ein Defizit. Da ist doch die digitale Fotografie, wenn sie gut ist und man damit umgehen kann, eher ein Fortschritt?
Rakete: Na ja, das ist immer dieses Technik und Ausdruck, dass man das immer miteinander vergleicht. Ich weiß nur, dass ich zum Beispiel von den Fotos, die ich vor zehn Jahren gemacht habe, gar nichts übrig habe. Alles, was irgendwie so digital ist, das ist irgendwie, das versendet sich eigentlich sofort, das landet auf irgendwelchen Festplatten und das wird mit irgendwelchen Computern dann irgendwann entsorgt. Alleine die Generationen von Festplatten, die sich bei mir stapeln, das ist wirklich ungeheuerlich. Die haben alle schon verschiedene Anschlüsse, schon vier Generationen verschiedener Steckeranschlüsse. Es ist wirklich bizarr, was da passiert an Normwandeln. Und ich glaube nicht, dass die Bilder, die wir heute machen, überleben, während ich Polaroids habe, die sind 25 oder 30 Jahre alt. Die liegen heute noch in meinen Schubladen und sehen einfach wunderschön aus. Ich habe eine ganze Schublade voll, viele Kilos und die sehen super aus.
Kassel: Ich habe es gesagt, seit diesem Sommer werden sowohl für den Profi- als auch für den Amateurbereich keine neuen Polaroidfilme mehr produziert, Kameras schon länger nicht mehr. Normale analoge Filme und normale Spiegelreflexkameras werden noch produziert. Wir wissen aber, dass im Amateurbereich, sogar auch im zunehmend richtig anspruchsvollen Amateurbereich, wo die Digitalkameras auch mal Tausende von Euro kosten können, spielt die analoge Fotografie mehr und mehr keine Rolle mehr. Bei den Profis ist das noch anders. Aber wir reden jetzt heute über eine Kamera, die Sofortbildkamera, die Geburtstag hat und die es eigentlich nicht mehr gibt. Werden wir in paar Jahren über die normale Analogkamera genauso reden müssen?
Rakete: Das fürchte ich, weil das sind ja auch Wunderwerke von feinmechanischer Präzision. Wenn man sich eine Rolleiflex oder eine Leica anguckt, das sind einfach wunderschöne Kameras. Und die sind ja alle bedroht. Die sind bedroht dadurch, dass man rein rechnerisch oder rein technisch jetzt aus dem digitalen Medium noch mehr machen kann und dass die Manipulationsmöglichkeiten auf der Hand liegen am Computer.
Aber das sind natürlich nicht mehr die Wahrheitskameras, die subjektive Wahrheiten sammeln und die subjektive Eindrücke sammeln, sondern es sind eigentlich Dinger, die Datensätze manipulieren, die Einladungen zur Manipulation sind und deshalb auch für uns jetzt, das kann man an sich selber ja wirklich gut überprüfen, die auch für uns gar keine Referenz mehr für Wahrheit und Wirklichkeit sind, sondern eher so eine Einladung, dass man sagt, na ja, da hat einer irgendwie ... Ich meine, wenn wir heute ein Bild sehen und da ist eine amerikanische Schauspielerin drauf und die sieht irgendwie super aus, dann sagt jeder sofort "Photoshop".
Als diese große Kampagne von der Merkel war zur Kanzlerwahl, was stand da auf allen Plakaten drunter, was irgendein fleißiger Berliner draufgeklebt hat? Ein Streifen, wo drauf stand "Photoshop". Das ist die erste Reaktion, die man hat, dass man der Wahrheit der Kamera nicht mehr vertraut und sich klarmacht, welche Manipulationsmöglichkeiten dahinterstecken.
Kassel: Wird das, weil das frage ich mich, nicht immer mal zurückgedreht. Im Moment haben wir eine Situation, wo zum Beispiel Supermodels, die ohnehin schon krankhaft dünn aussehen, trotzdem noch den Bauchansatz wegretuschiert bekommen bei gewissen Kampagnen. Wird nicht vielleicht in drei, vier Jahren jemand über etwas, was wir heute als hässlich empfinden, sagen, geil, das ist richtig echt. Wird es nicht irgendwann zurückgehen oder wird es nicht Fotografen geben, die draufstempeln "No Photoshop"?
Rakete: Ja, Sie sprechen jetzt da drüber, als wenn es eine freiwillige Selbstbeschränkung in der Welt gebe.
Kassel: Nee, nee, Entschuldigung, ich spreche einfach von Trends. Ich meine, wenn das Publikum sagt ...
Rakete: Sie nennen das jetzt Trend, aber es wäre ja eine Beschränkung. Die Menschen empfinden das ja als Beschränkung, wenn sie die Möglichkeit nicht mehr haben, sich zu verjüngen in Fotos oder was weiß ich. Das empfinden die als Beschränkung. Und sie empfinden ja das, was sie dazu addieren, die Gewürze, die sie dazu machen, das empfinden sie als Bereicherung. Und ich glaube, dass dieses Ding mit der Beschränkung, die Bescheidenheit auf das, was wirklich ist, das ist ein Defizit, was diese Gesellschaft produziert. Und ich sehe es, völlig egal, in welche Richtung ich gucke, ich sehe es im Automobilbau, ich sehe es überall. Die Leute können sich nicht beschränken.
Kassel: Danke schön! Jim Rakete war bei uns zu Gast. Die erwähnten Plattenkamerafotografien sind noch bis Anfang Januar im Filmmuseum in Frankfurt zu sehen, "AugenblickPorträts" heißt diese Ausstellung. Und Sofortbildkamerafilme, wenn Sie noch ein bisschen Blut geleckt haben, die Kamera müssen Sie schon besitzen, sonst müssen Sie richtig lange suchen. Aber die Filme in gut sortierten Läden wird es noch ein paar Monate geben. Danke Ihnen fürs Kommen!
Macht aber nichts. Man kann trotzdem die Geschichte Revue passieren lassen. Das wollen wir tun heute Vormittag mit Jim Rakete. Er ist einer der bekanntesten deutschen Porträtfotografen und liebt durchaus alte Technik. Herr Rakete, ich darf erwähnen, dass im Moment im Filmmuseum in Frankfurt am Main eine Ausstellung mit Bildern von Ihnen zu sehen ist, die Sie gemacht haben mit einer Plattenkamera. Das war nun wirklich noch die Zeit vor dem Sofortbild. Aber erst mal noch mal schönen guten Morgen, Herr Rakete!
Jim Rakete: Guten Morgen! Ja, die Technik ähnelt sich tatsächlich, weil das Erste, was der Land baute, war ja eine sehr lange Balkenkamera. Und die musste auch ein sehr großes Format haben, weil der Polaroidfilm damals wie heute im Eins-zu-eins-Format war, also die Schichten und das alles, das war im Originalformat. Und dieser lange Weg, um auf ein großes Format zu kommen, die lange Brennweite, die benötigt wurde, hat natürlich zu großen Kameras geführt zunächst mal. Die ersten Dinger, die ich auch mal in der Hand hielt, sie waren aus den 50ern. Das waren ganz schöne Monster. Da musste man schon ordentliche Unterarmmuskelnatur mitbringen.
Kassel: Mal kurz zur Technik. Das eigentlich Sensationelle an der Erfindung war ja gar nicht die Kamera im Sinne von Objektiv, sondern war der eigentliche Film?
Rakete: Sagt man immer. Der hatte auch eine ganz besondere Ästhetik. Durch die Jahre hat sich die ja mehrmals verändert, weil es gab ja mehrere Polaroidformate, die angeboten wurden. Aber es gibt auch Derivate, die nicht uninteressant waren auch für den professionellen Bereich. Beispielsweise hat Andy Warhol sich ja immer bedient dieser Technik, um die Vorlagen zu machen für seine große Siebdrucke.
Und Polaroid entwickelte dann in den 60ern dankenswerterweise auch eine Kamera, die nannten sie "Big Shot". Das war eine Kamera, die sah aus, die hatte so die Form einer Kamelnase, ein ganz langer Tubus. Und die war gebaut worden für Ärzte und Friseure und Make-up-Künstler. Das heißt, die hat eigentlich nur Porträts gemacht. Und damit war Andy immer zugange und machte seine Fotos von irgendwie, von Liz Taylor oder Liza Minnelli und hat dann daraus, hat die in die Luzi gesteckt und daraus große Siebdrucke gemacht. Das war eine sehr exakte Kamera, was jetzt den Porträtbereich anbelangte.
Und es gibt auch die schöne Geschichte, er war ja auch sehr faul und elegant, unser Andy, der kam dann, irgendwann sollte er Willy Brandt porträtieren und kam nach Bonn und man ging zusammen essen mit Willy Brandt und dann irgendwann wurde die Delegation nervös und sagte, Herr Warhol, wollten Sie nicht noch ein Foto von Herrn Brandt machen. Und dann produzierte er das, leider sind wir ja hier im Hörfunk, aber er produzierte ...
Kassel: Man hört diese schöne Kamera.
Rakete: Die sieht aus wie ein Zigarettenetui, aber es ist eine Sofortbildkamera namens SX 70, die wurde Mitte der 70er erfunden und ist ein Klappmatismus und, glaube ich, der feinmechanische Höhepunkt der Polaroid.
Kassel: Das heißt, mit der, wir haben da vorher schon drüber gesprochen, der war doch auch ein bisschen erstaunt, Sie haben beschrieben, das ist regelrecht eine Spiegelreflexkamera. Mit dieser konnte man, ich hatte nämlich in den 80ern viel einfachere Modelle in der Hand gehabt, mit dieser konnte man auch aus Sicht eines Profifotografen brauchbare Fotos machen?
Rakete: Das hat eine ganz besondere Bewandtnis mit SX 70, auch eine ganz besondere Ästhetik. Das war eigentlich das Kommunikationsmittel der 80er, 90er. Wenn ich mit meinem Artdirektor, Ulf Meyer zu Küngdorf, der ja in Hamburg wohnte, kommunizierte über Schallplattenentwürfe, dann haben wir uns prinzipiell abends einen Brief in den Briefkasten gesteckt. Da stand überhaupt kein Text drauf, sondern der bestand aus einem Polaroid und auf einem unteren Rand stand "Ungefähr so?". Und da haben wir einfach immer Fotos oder Entwürfe abfotografiert und uns gegenseitig geschickt, das, was man heute alles per E-Mail macht, ein bisschen unromantischer und ein bisschen präziser. Das war damals eben Polaroid mit Briefmarke.
Und zum Beispiel auch die Layouter und die Artdirektoren oder mein Freund Peter Lindbergh lief ständig rum mit so einem Stapel Polaroids zusammengehalten mit dicken Gummibändern und zeigte mir immer, indem er die auslegte wie Bierdeckel auf dem Tisch, Strecken, die er für die "Vogue" fotografiert hatte. Das hatte so eine ganz bestimmte Arbeitserotik. Wenn man jetzt Prints reproduziert mit einer Polaroidkamera, dann hat das immer einen leichten Farbstich. Und das sah wunderschön aus immer. Ich mochte diese Art zu kommunizieren auch sehr gerne, diese eigene Ästhetik.
Kassel: Wenn wir auf den privaten Bereich kurz kommen, da hat sich ja auch die Polaroid, die Sofortbildkamera für ein paar Jahrzehnte gut durchgesetzt. Es war aber natürlich eigentlich zu jeder Zeit teurer, mit Sofortbildern zu arbeiten privat als mit normalen analogen Filmen und die entwickeln zu lassen. Warum, glauben Sie, hat sich das im Privatbereich durchgesetzt? War das nur die Ungeduld der Leute?
Rakete: Erst mal ist es diese Sucht nach sofortigen Ergebnissen. Fotografie gehört ja zu den letzten Sachen, wo man wirklich konkrete Ergebnisse produziert. Das Zweite ist aber, dass wenn man es mal durchrechnet, was die vielen Amateure mit ihren dicken Ausrüstungstaschen und mit ihrem Warten auf Entwicklungsergebnisse, die haben sicherlich auch nicht so besonders billig gearbeitet.
Ich wollte aber noch auf eins hinweisen, was, glaube ich, ein bisschen unbekannt ist bei Polaroid. Es gab immer so Derivate von Polaroid, die total schön waren. Es gab einen Film, der produzierte nicht nur das Bild, sondern auch ein Negativ, der 664. Und damit konnte man fotografieren. Und man hatte hinterher dann einen niedrig empfindlichen Film als Negativ, den man ganz normal verarbeiten konnte.
In der Ausstellung von Annie Leibovitz, die demnächst nach Berlin kommt, können Sie sich das alles superschön anschauen, weil die hat ganz viel mit dem Polaroidrücken ihrer Mamia diese Negative produziert, die sehr feinkörnig sind und sehr schön gezeichnet, auch ein sehr schönes Format haben und irgendwo im Grenzbereich zwischen Plattenkamera und Mittelformatkamera liegen. Und es sind ganz viele Fotos, so von Al Pacino und Robert de Niro, die sind mit diesem Polaroidansatz geschossen und sind Prints von Originalpolaroidnegativen, die wunderschön aussehen.
Kassel: Vieles von dem, das jetzt zum Schluss nun gerade nicht, Herr Rakete, aber vieles von dem, was Sie erzählt haben über die Anwendung von Fotos im professionellen Bereich, Beispiel, einfach in den Briefkasten stecken, drunter schreiben "So?" o.ä. oder kleine Portfolios zu haben aus einem Bändchen, das kann man natürlich heutzutage alles digital auch wunderbar machen. Sie können natürlich, ich glaube, Sie machen das nicht, aber theoretisch Ihr Handy auspacken und dann auf ein paar Knöpfe drücken und fragen "So?". Ist das schlechter als Polaroid?
Rakete: Es ist ein bisschen unsexy, ehrlich gesagt, weil es fehlt einfach dieses Persönliche. Es fehlt dieses Zwischenergebnis und die Ästhetik von Polaroid. Zum Beispiel, ich habe immer noch Polaroids von Mitarbeitern und was weiß ich, alles, was man fotografiert, bevor man anfängt zu fotografieren. Da haben wir früher ganz oft, wenn wir die richtige Belichtung nicht wussten oder so, haben wir ein Polaroid gemacht und das waren wunderbare Dinger. Die sind bis heute schöne Erinnerungen.
Kassel: Aber wenn wir die digitale Fotografie jetzt mal trotzdem denken, klar, haben diese Polaroids irgendwie ... Es piept gerade etwas. Ist das was Digitales übrigens?
Rakete: Das könnte ein Telefon von mir sein.
Kassel: Ganz erstaunlich.
Rakete: Die geben sicherlich gleich auf.
Kassel: Im Hintergrund hören wir die digitale Welt, aber bleiben wir bei den Polaroids. Vieles, was diese Ästhetik ausmacht, auch so Späße, die Privatleute auch gemacht haben, bezog sich ja eigentlich auf Defizite dieser Technik. Sie konnten so ein bisschen, während das Bild sich entwickelt hat, mit dem Fingernagel drauf schrappen. Dann haben sie die Farben verfälscht. Wenn es eiskalt war, sah das anders aus, als wenn sie sie in die Sonne gelegt haben.
Rakete: Ja, das hat lange gedauert, ja.
Kassel: Das konnte man andererseits für Formen von Kunst nutzen, aber andererseits, das war wie gesagt ja eigentlich ein Defizit. Da ist doch die digitale Fotografie, wenn sie gut ist und man damit umgehen kann, eher ein Fortschritt?
Rakete: Na ja, das ist immer dieses Technik und Ausdruck, dass man das immer miteinander vergleicht. Ich weiß nur, dass ich zum Beispiel von den Fotos, die ich vor zehn Jahren gemacht habe, gar nichts übrig habe. Alles, was irgendwie so digital ist, das ist irgendwie, das versendet sich eigentlich sofort, das landet auf irgendwelchen Festplatten und das wird mit irgendwelchen Computern dann irgendwann entsorgt. Alleine die Generationen von Festplatten, die sich bei mir stapeln, das ist wirklich ungeheuerlich. Die haben alle schon verschiedene Anschlüsse, schon vier Generationen verschiedener Steckeranschlüsse. Es ist wirklich bizarr, was da passiert an Normwandeln. Und ich glaube nicht, dass die Bilder, die wir heute machen, überleben, während ich Polaroids habe, die sind 25 oder 30 Jahre alt. Die liegen heute noch in meinen Schubladen und sehen einfach wunderschön aus. Ich habe eine ganze Schublade voll, viele Kilos und die sehen super aus.
Kassel: Ich habe es gesagt, seit diesem Sommer werden sowohl für den Profi- als auch für den Amateurbereich keine neuen Polaroidfilme mehr produziert, Kameras schon länger nicht mehr. Normale analoge Filme und normale Spiegelreflexkameras werden noch produziert. Wir wissen aber, dass im Amateurbereich, sogar auch im zunehmend richtig anspruchsvollen Amateurbereich, wo die Digitalkameras auch mal Tausende von Euro kosten können, spielt die analoge Fotografie mehr und mehr keine Rolle mehr. Bei den Profis ist das noch anders. Aber wir reden jetzt heute über eine Kamera, die Sofortbildkamera, die Geburtstag hat und die es eigentlich nicht mehr gibt. Werden wir in paar Jahren über die normale Analogkamera genauso reden müssen?
Rakete: Das fürchte ich, weil das sind ja auch Wunderwerke von feinmechanischer Präzision. Wenn man sich eine Rolleiflex oder eine Leica anguckt, das sind einfach wunderschöne Kameras. Und die sind ja alle bedroht. Die sind bedroht dadurch, dass man rein rechnerisch oder rein technisch jetzt aus dem digitalen Medium noch mehr machen kann und dass die Manipulationsmöglichkeiten auf der Hand liegen am Computer.
Aber das sind natürlich nicht mehr die Wahrheitskameras, die subjektive Wahrheiten sammeln und die subjektive Eindrücke sammeln, sondern es sind eigentlich Dinger, die Datensätze manipulieren, die Einladungen zur Manipulation sind und deshalb auch für uns jetzt, das kann man an sich selber ja wirklich gut überprüfen, die auch für uns gar keine Referenz mehr für Wahrheit und Wirklichkeit sind, sondern eher so eine Einladung, dass man sagt, na ja, da hat einer irgendwie ... Ich meine, wenn wir heute ein Bild sehen und da ist eine amerikanische Schauspielerin drauf und die sieht irgendwie super aus, dann sagt jeder sofort "Photoshop".
Als diese große Kampagne von der Merkel war zur Kanzlerwahl, was stand da auf allen Plakaten drunter, was irgendein fleißiger Berliner draufgeklebt hat? Ein Streifen, wo drauf stand "Photoshop". Das ist die erste Reaktion, die man hat, dass man der Wahrheit der Kamera nicht mehr vertraut und sich klarmacht, welche Manipulationsmöglichkeiten dahinterstecken.
Kassel: Wird das, weil das frage ich mich, nicht immer mal zurückgedreht. Im Moment haben wir eine Situation, wo zum Beispiel Supermodels, die ohnehin schon krankhaft dünn aussehen, trotzdem noch den Bauchansatz wegretuschiert bekommen bei gewissen Kampagnen. Wird nicht vielleicht in drei, vier Jahren jemand über etwas, was wir heute als hässlich empfinden, sagen, geil, das ist richtig echt. Wird es nicht irgendwann zurückgehen oder wird es nicht Fotografen geben, die draufstempeln "No Photoshop"?
Rakete: Ja, Sie sprechen jetzt da drüber, als wenn es eine freiwillige Selbstbeschränkung in der Welt gebe.
Kassel: Nee, nee, Entschuldigung, ich spreche einfach von Trends. Ich meine, wenn das Publikum sagt ...
Rakete: Sie nennen das jetzt Trend, aber es wäre ja eine Beschränkung. Die Menschen empfinden das ja als Beschränkung, wenn sie die Möglichkeit nicht mehr haben, sich zu verjüngen in Fotos oder was weiß ich. Das empfinden die als Beschränkung. Und sie empfinden ja das, was sie dazu addieren, die Gewürze, die sie dazu machen, das empfinden sie als Bereicherung. Und ich glaube, dass dieses Ding mit der Beschränkung, die Bescheidenheit auf das, was wirklich ist, das ist ein Defizit, was diese Gesellschaft produziert. Und ich sehe es, völlig egal, in welche Richtung ich gucke, ich sehe es im Automobilbau, ich sehe es überall. Die Leute können sich nicht beschränken.
Kassel: Danke schön! Jim Rakete war bei uns zu Gast. Die erwähnten Plattenkamerafotografien sind noch bis Anfang Januar im Filmmuseum in Frankfurt zu sehen, "AugenblickPorträts" heißt diese Ausstellung. Und Sofortbildkamerafilme, wenn Sie noch ein bisschen Blut geleckt haben, die Kamera müssen Sie schon besitzen, sonst müssen Sie richtig lange suchen. Aber die Filme in gut sortierten Läden wird es noch ein paar Monate geben. Danke Ihnen fürs Kommen!