Zukunftsangst

Meinung: Pessimismus der Jugend muss nichts Schlechtes sein

04:17 Minuten
Blondes Mädchen mit Stirnband schaut zur Seite
Die zweifelnden jungen Menschen von heute könnten die Hoffnungsträger von morgen sein, meint der Autor Simon Strauß. © picture alliance / Westend61 / Uwe Umstätter
Ein Kommentar von Simon Strauß · 13.05.2024
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So pessimistisch wie nie blickt die junge Generation in die Zukunft - sagt die Studie „Jugend in Deutschland“. Autor Simon Strauß meint, das müsse nichts Schlechtes sein. Der kritische Blick der Jungen ist ihm lieber als blinder Fortschrittsglaube.
Die unsichere Weltlage mit ihren militärischen Konflikten, der unaufhaltsam scheinende Klimawandel, die wirtschaftliche Negativprognose – all das führt bei Jugendlichen nachweislich zu der Überzeugung: besser wird es nicht mehr, eher schlechter.
Ist das nun eine alarmierende oder eine beruhigende Nachricht? Ist Pessimismus per se ein Ausweis von Kopflosigkeit oder - frei nach Schopenhauer – nicht viel eher Zeichen eines gesunden Menschenverstandes?
Was klar ist: Die Zeit der schönen Aussichten ist vorbei. Der euphorische Blick in die Zukunft, der Menschen in diesem Land beispielsweise in den Jahren des sogenannten Wirtschaftswunders auszeichnete, hat sich lange schon eingetrübt. Der Slogan „No future“ ist nicht erst gestern, sondern schon vorvorgestern erfunden worden, nämlich Ende der Siebziger Jahre, als die Punk-Band Sex Pistols den Ausdruck populär machte. Unter ihm wurde schon damals ein entschiedener Fortschrittsskeptizismus zusammengefasst, den viele Jugendliche wegen des Kalten Krieges und der ständigen Gefahr eines Nuklearschlags empfanden.

Neuer Twist im Zweifel

Heute, unter dem Eindruck der Corona-Pandemie, hat dieser Zukunftszweifel noch mal einen neuen Twist bekommen. Das Gefühl, dass man die Möglichkeit einer freien Lebensplanung plötzlich verliert, die Erfahrung, dass die Zukunft auf einmal ganz anders aussieht, als man sie sich immer vorgestellt hat, führt zu einem nachvollziehbaren Vertrauensverlust in die Zeit, die da kommt.

Per se schlecht?

Die entscheidende Frage ist nur: Muss das per se schlecht sein? Könnte sich aus dem jungen Pessimismus nicht auch ein neuer Pragmatismus ergeben? Eine Alternative zur blinden Fortschrittsgläubigkeit und Wachstumseuphorie früherer Generationen? Nicht nur im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist ja Wachstumsskepsis inzwischen eine durchaus anerkannte Geisteshaltung. Und auch politisch wird unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges und der Eskalation in Nahost eine gewisse Vorsicht vor allzu idyllischen Zukunftsvisionen nicht mehr als Schwarzmalerei verunglimpft.

Studienobjekte weiter als die Studienleiter?

Vielleicht sind Optimismus und Pessimismus gar nicht die richtigen Kategorien, um das aktuelle Bewusstsein junger Menschen zu beschreiben. Vielleicht sind die Studienobjekte tatsächlich schon weiter als die Studienleiter – in dem Sinne, dass ihr Blick auf die Zukunft komplexer und ambitionierter ist. Aus einem Satz wie „Keine Ahnung, wie mein Leben in 20 Jahren aussieht. Wir haben keinen Plan, wie unsere Welt dann noch aussehen wird“ können ja ganz verschiedene emotionale Schlüsse gezogen werden. Einerseits kann daraus ein Kopf-in-den-Sand-Gefühl resultieren, andererseits aber eben auch ein „Was-uns-nicht-umbringt-macht-uns-stark“-Empfinden entstehen.

Kritische Offenheit

Eine Geisteshaltung, die der Zukunft mit kritischer Offenheit begegnet. Einer wachen, überraschungsfreudigen Gesinnung, die jeden Determinismus, jede Vorstellung eines vorgefertigten Morgens ablehnt. Die Jungen, die von uns voreilig als „pessimistisch“ beschrieben werden, sind vielleicht in Wahrheit viel besser dazu geeignet, dem Unerwarteten zu begegnen als all die Optimisten, die unter Zukunft nur das verstehen, was sie sich selbst vorstellen können.

Zukunft ist das komplett Unvorstellbare

Zukunft ist aber eben meist das genaue Gegenteil, ist meist das komplett Unvorstellbare. Wer hätte mit der Erfindung des Mobiltelefons gerechnet? Wer mit monatelangen Kontaktsperren?
Wer Zukunft nur auf dem aufbaut, was bekannt ist, der endet bei Rohrkrepierern wie der Concord oder dem Metaverse. Wer Zukunft gestalten will, muss sie unfassbar finden.
Was wäre zum Beispiel, wenn nach der digitalen Revolution noch eine nächste käme? Eine Wende, die gar nichts mehr mit Digitalität zu tun hätte? Etwas, das unsere Vorstellungskraft heute sprengt? Nur, wer nicht blind fortschrittsgläubig ist, sondern wach an der Zukunft zweifelt, kann sich das vorstellen. In diesem Sinne könnten die zweifelnden Jungen von heute die Hoffnungsträger von morgen sein.

Simon Strauß, geboren 1988 in Berlin, studierte Altertumswissenschaften und Geschichte in Basel, Poitiers und Cambridge. Er ist Mitorganisator des „Jungen Salons“ in Berlin. Seit Oktober 2016 ist er Redakteur im Feuilleton der FAZ. 2017 veröffentlichte er sein erzählerisches Debüt „Sieben Nächte“. Seit 2018 gehört er zum Vorstand des Vereins Arbeit an Europa e. V., im Januar 2023 erscheint sein neues Buch „zu zweit“.

Ein Mann im Anzug: der Journalist Simon Strauß
© Julia Zimmermann
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