Julia Schoch: "Schöne Seelen und Komplizen".
Piper Verlag, München 2018
312 Seiten, 20 Euro
Kommentar über das Leben, fast jenseits von Ost und West
In ihrem neuen Buch nimmt Schoch Schüler, die von 1989 bis 1992 eine Klasse eines DDR-Elitegymnasium besuchten, zum Ausgangspunkt. Das Thema Osten spielt sich aber nicht in den Vordergrund, es geht eher über das ganz normale Leben unserer Gegenwart.
Seit Julia Schoch 2001 mit "Der Körper des Salamanders" debütierte, ist klar, dass ihr Blick auf die Welt unsentimental ist. Die 1974 in Bad Saarow geborene Schriftstellerin und Übersetzerin besitzt Talent und Mut zu prägnanten psychologischen Kurzportraits. Äußerlichkeiten interessieren sie nicht, auch nicht das Epische. Ihre Form ist die Erzählung, wenig Ambiente, nur ein paar signifikante Artefakte. Um so dringlicher beschäftigt sie die Suche nach Erkenntnissen.
Auch ihr neuer Roman "Schöne Seelen und Komplizen" ist kein Roman im klassischen Sinn, sondern eine Aufeinanderfolge von ungefähr fünfzig jeweils höchstens vier Seiten umfassenden Situations- und Lebensbeschreibungen.
1989 das wichtigste Jahr
Die Protagonisten heißen Bodo, Vivian, Lydia, Ruppert oder Kati. Alle sind zwischen 1989 und 1992 in die gleiche Klasse eines DDR-Elitegymnasiums gegangen.
Im ersten Teil befasst sich Julia Schoch mit der Schulzeit, im zweiten Teil erfahren wir wenig über das Berufsleben der einzelnen, jedoch viel über ihre Gedanken. Weil, wie es heißt, das "Wichtigste im Leben der Menschen im Osten ganz sicher das Jahr 1989" war, sucht man nach Wende-Aussagen, und nach Kategorisierungen. Doch plakative Antworten, das ist das letzte, was Julia Schoch unterlaufen würde.
Das Spektakuläre in diesen Lebensbildern, die aus der Ich-Perspektive geschrieben sind, ist Julia Schochs erbarmungslos analysierender Blick. Er hält den Versuch der Protagonisten fest, sich selbst gegenüber die Wahrheit herauszufinden, Einsichten über Gefühle, über Seinszustände, Liebessehnsucht, Erfüllungshoffnung und über Daseinslügen.
Wenige Sätze nur zum Osten
Falk ist davon überzeugt, dass man ein Gefühl so lange spielt, "bis man es tatsächlich hat". Seine Quintessenz ist so schlicht wie wahr: "Irgendwann" ist man einfach der, "der man ist". Lakonie gehört seit Julia Schochs erstem Buch zur Tugend ihrer unbestechlichen Art.
Was Existenz und Wegfall der Mauer betrifft, sagt Cornelia, dass sie "an gar nichts geglaubt hatte", damals, was ihr aber niemand glaubt.
Es geht in diesem Buch um das Erwachsensein, um Bodos Tod und die hilflosen Reaktionen darauf und um die Frage, an was man sich eigentlich erinnert, wenn jemand gestorben ist. Es geht um Kinder und Trennungen, Ehebruch und Langeweile. "Ich hätte gerne richtige Feinde" sagt Ruppert, aber "nichts ist ernst".
Und der Osten? Wenige Sätze, ein paar Adjektive, ein Blick auf restaurierte Städte. Der Kommentar: "als hätte sich jemand in meiner Abwesenheit an meinem Leben vergriffen", oder die Erkenntnis, dass es den meisten Westlern am Vermögen "zu Staunen" mangele. Lapidare Einwürfe, der Ausnahmezustand ist von der Normalität des Lebens geschluckt worden.
Resignation und Realitätssinn
Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer sehen die ehemaligen Abiturienten mit eben so viel Resignation wie klarem Realitätssinn auf ihr Dasein. Es sind die einschätzenden Kommentare, es ist die Klugheit des Blicks, das Julia Schochs Buch "Schöne Seelen und Komplizen" über alle Ost-West Thematik hinweg zu einem präzisen, oft komischen, sehr lesenswerten Kommentar über das ganz normale Leben unserer Gegenwart macht.