Julian Nida-Rümelin: "Über Grenzen denken"

"Migration kann nicht die Antwort auf globales Elend sein"

Der Philosoph Julian Nida-Rümelin im Gespräch mit Thorsten Jantschek.
Der Philosoph Julian Nida-Rümelin im Gespräch mit Thorsten Jantschek. © Deutschlandradio / Sven Crefeld
Moderation: Thorsten Jantschek |
Während der Flüchtlingskrise wurde zu wenig gedacht und zu viel gefühlt - von beiden Lagern, kritisiert Julian Nida-Rümelin. In seinem Buch "Über Grenzen denken" skizziert der Münchner Philosoph eine Ethik der Migration.
Klarheit bringen in eine seit der Flüchtlingskrise "streckenweise ziemlich entgleiste" Diskussion über Flucht, Migration und Grenzen - das will der Philosoph und frühere Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin mit seinem Buch "Über Grenzen denken. Eine Ethik der Migration".

Herausforderung, eine globalisierte Welt zu gestalten

"Ich glaube, es wurde zu wenig gedacht und zu viel gefühlt, auf beiden Seiten übrigens", sagte Nida-Rümelin im Deutschlandradio Kultur. In unserem "Gespräch auf dem blauen Sofa" im Rahmen der Leipziger Buchmesse sprach sich Nida-Rümelin zwar für Kosmopolitismus, aber gegen offene Grenzen aus.
Zum einen, weil es zu wenige supranationale politische Gestaltungsmöglichkeiten gebe und man vor der Herausforderung stehe, wie in einer globalisierten Welt überhaupt noch politische Gestaltung möglich sei. "Das ist unser Problem. Aber die Auflösung der nationalstaatlichen Handlungsmöglichkeiten wäre in meinen Augen eine ganz gefährlich Entwicklung, bei der am Ende der globale Markt alles entscheidet - und nicht zugunsten sozialer und humanitärer Standards", warnt der Philosoph.
Zum anderen argumentiert Nida-Rümelin mit den Folgen offener Grenzen für globale Migrationsbewegungen: So lebten eineinhalb Milliarden Menschen unterhalb der absoluten Armutsgrenze: "Die Vorstellung, dass man diesen Menschen helfen kann, denen dringen geholfen werden muss – wir haben eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung –, dadurch, dass wir die Grenzen öffnen, ist völlig illusorisch."
Hinzukomme, dass es in der Regel nicht die Ärmsten aus den Herkunftsregionen seien, die die transkontinentale Migration tatsächlich bewältigten. "Das heißt, wir machen uns ein falsches Bild. So ist die Welt nicht, wie wir uns das vorstellen. Und deswegen kann Migration nicht die Antwort sein auf die Elendsproblematik im globalen Süden."

Integration von Kriegsflüchtlingen ist "streng genommen falsch"

Kritisch äußerte sich Nida-Rümelin auch zum Umgang mit Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen: "Der Geist der Genfer Flüchtlingskonvention besagt, sie sollten diesen Schutz so bekommen, dass sie dann, wenn der Krieg und Bürgerkrieg vorbei ist, zurückkehren in ihre Ursprungsregionen", betonte er.
"Wir haben völkerrechtliche Verpflichtungen, moralische Verpflichtungen, vorübergehend Schutz zu gewähren, bis die Kriegsursachen beendet sind oder der Bürgerkrieg vor Ort beendet ist, dann die rasche Rückführung, damit der Aufbau gelingen kann. Von daher würde ich schon sagen, ist streng genommen die Antwort 'Integration' falsch."
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An die Aufnahmegesellschaft gerichtet sagt Nida-Rümelin, diese müsse eine faire Verteilung der Vor- und Nachteile von Migration organisieren und insgesamt imstande sein, ihre sozialen Strukturen aufrechtzuerhalten. Verlange von der Migrationspolitik nichts, was du nicht auch in deinem sozialen Nahbereich praktizierst, fordert er in seinem Buch.
"Wenn wir in unserem sozialen Nahbereich sagen, also, ich will aber nicht, dass zum Beispiel meine Kinder in Schulen oder in Klassen gehen, in denen ein Großteil eben nicht Deutsch als Muttersprache hat, dann können dieselben Menschen nicht sagen: Öffnet die Grenzen!"

Julian Nida-Rümelin: Über Grenzen denken. Eine Ethik der Migration
Edition Körber-Stiftung, 220 Seiten, 20 Euro

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