Kampf gegen Not und Leid

Von Otto Langels |
Am 12. Februar 1980 legte eine Nord-Süd-Kommission unter dem Vorsitz des Altbundeskanzlers Willy Brandt den Vereinten Nationen eine Studie zu internationalen Entwicklungsfragen vor. In dem als "Brandt-Report" bezeichneten Bericht wurden die Industrienationen aufgefordert, unterprivilegierte Länder stärker zu unterstützen.
"Inzwischen ist es, glaube ich, von entscheidender Bedeutung, dass die Länder der Dritten Welt nicht den Eindruck bekommen dürfen, als seien sie nur Bauern auf den strategischen Schachbrettern der großen Mächte",

erklärte der damalige SPD-Vorsitzende und frühere Bundeskanzler Willy Brandt, als er am 12. Februar 1980 dem Generalsekretär der Vereinten Nationen in New York eine Studie überreichte, die als "Nord-Süd-" oder "Brandt-Report" bekannt wurde.

Auf Anregung des Präsidenten der Weltbank, Robert McNamara hatte Willy Brandt 1977 den Vorsitz einer "Unabhängigen Kommission für internationale Entwicklungsfragen" übernommen. Ihre Hauptaufgabe sah die Kommission darin, Auswege aus den wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichten der Weltgemeinschaft aufzuzeigen. Brandt wies darauf hin:

"Dass unsere eigene – ich meine der westlichen Welt – wirtschaftliche Zukunft, die Sicherung unserer Arbeitsplätze, besser gesagt: der Arbeitsplätze unserer Kinder und Enkel, in hohem Maße davon abhängt, dass und in welchem Maße unsere wirtschaftliche Verknüpfung mit anderen Teilen der Welt forciert werden kann."

Der Kommission gehörten Vertreter aus 20 Staaten an, darunter der ehemalige britische Premierminister Edward Heath, der frühere schwedische Ministerpräsident Olof Palme und der chilenische Ex-Präsident Eduardo Frei sowie Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsexperten. Die Hälfte der Mitglieder kam aus Entwicklungsländern. Trotz aller Bemühungen gelang es nicht, die Sowjetunion und die Volksrepublik China zur Mitarbeit zu bewegen.

Die Beratungen nahmen über zwei Jahre in Anspruch. Das Ergebnis trug den offiziellen Titel "Das Überleben sichern. Gemeinsame Interessen der Industrie- und Entwicklungsländer."

"Not und Leid müssen ein Ende haben", heißt es in der Einleitung des "Brandt-Reports".

"Es ist untragbar, dass die meisten Menschen in einem Teil der Welt ein verhältnismäßig angenehmes Leben führen, während sie in einem anderen um das nackte Überleben kämpfen."

Der "Nord-Süd-Bericht" begnügte sich nicht mit moralischen Appellen an die internationale Staatengemeinschaft. Die Kommission schlug ein Aktionsprogramm vor, das die politisch Verantwortlichen allerdings weitgehend ignorierten.

"Die Koppelung von Energiefragen, Nahrungsmittelfragen, bessere Finanzierung von Entwicklungsvorhaben; das Deutlichmachen, dass Nord-Süd-Politik auch friedenssichernde Politik ist."

Breite Zustimmung fanden die Vorschläge zum Abbau von Handelshemmnissen. Die Entwicklungsländer sollten zum Beispiel ein größeres Mitspracherecht beim Rohstoffhandel bekommen, aber auch mehr Eigeninitiative zeigen und Agrarreformen durchführen.

Aus dem Zusammenhang von Hochrüstung und Armut in der Dritten Welt leitete die Kommission die Forderung ab, das Wettrüsten durch Steuern einzudämmen.

"Der internationale Handel, die Rüstungsetats, die Rüstungsexporte oder Anderes können Anknüpfungspunkte sein, worauf man eine kleine, klitzekleine Abgabe legt."

Welche finanziellen Mittel eine weltweite Abrüstung freisetzen würde, illustrierte der "Brandt-Report" an konkreten Beispielen: Mit dem Geld eines 20 Millionen Dollar teuren Kampfflugzeugs ließen sich 20.000 Dorfapotheken errichten.

Der damalige Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Rainer Offergeld, wies auf das gravierende Missverhältnis zwischen Rüstungsausgaben und Entwicklungshilfe hin.

"Der Zahl 400 Milliarden Dollar Rüstung ist ja vielleicht noch die andere Zahl gegenüber zu stellen: etwa 20 Milliarden Entwicklungshilfe durch die westlichen Industriestaaten."

Der "Brandt-Report" wirkte zwar aufklärerisch und sorgte für ein großes Medienecho, entfaltete aber keine direkte politische Wirkung. Der Bericht bemerkte dazu bereits selbstkritisch an:

"Die Wohlhabenden sind selten gewillt, ihre Macht und ihre Mittel abzutreten und sie mit den Habenichtsen zu teilen."

1980 lebten 800 Millionen Menschen in extremer Armut, heute sind es 1,4 Milliarden. Statt wie gefordert die Entwicklungshilfe der Industrieländer auf 0,7 und weiter auf ein Prozent des Bruttosozialprodukts zu erhöhen, ist sie auf unter 0,3 Prozent gefallen. Die Bundesrepublik als eines der führenden Geberländer erreicht nicht einmal 0,4 Prozent. Und an der Spitze des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit steht heute ein Minister, der zuvor als Generalssekretär seiner Partei noch die Abwicklung eben dieses Ministeriums gefordert hatte.