Kent Haruf: "Unsere Seelen bei Nacht"

Der Zauber des späten Glücks

Kent Haruf: "Unsere Seelen bei Nacht"
Kent Haruf: "Unsere Seelen bei Nacht" © Diogenes
Verschenkt von Kolja Mensing, Literaturredakteur in der Lesart |
Der Roman "Unsere Seelen bei Nacht" von Kent Haruf ist ein zauberhafter, einfach erzählter Roman. Mit zwei Menschen, die keine Lust haben, sich ihrem Schicksal zu fügen und einsam zu bleiben: ein Melodrama mit einem genauen Blick für den Alltag.

Worum geht es?

Ich verschenke zu Weihnachten den Roman "Unsere Seelen bei Nacht" von Kent Haruf, das für mich eines der rührendsten und wärmsten Bücher des Jahres ist. Allein die Anfangsszene: Addie Moore, eine ältere Frau, die als Witwe in einer Kleinstadt im Mittleren Westen der USA lebt, geht eines Tages über die Straße und klingelt bei ihrem Nachbarn Louis, der auch schon etwas älter ist – und fragt ihn, ob er nicht gelegentlich bei ihr übernachten würden. Also, jetzt nicht wegen Sex oder so, sondern einfach nur, damit sie beide nicht allein sein müssen. Und das ist der Anfang eines ganz zauberhaften, ganz einfach erzählten Liebesromans mit zwei Menschen, die schon ein bisschen Leben hinter sich haben, aber eben noch nicht das ganze Leben. Und die einfach keine Lust haben, sich ihrem Schicksal zu fügen und einsam zu bleiben.

Was ist das Besondere?

Was mich an diesem Roman am meisten fasziniert, das ist der sehr genaue Blick, den Kent Haruf für den Alltag und die Alltagsrituale seiner Figuren hat. Wenn er zum Beispiel von der ersten Nacht erzählt, die Addie und Louis gemeinsam verbringen: Von der Papiertüte, in der Louis seine Zahnbürste über die Straße trägt, davon, wie die beiden nachts abwechselnd aufwachen, weil immer mal einer von ihnen auf die Toilette muss, wie Louis nachts das Fenster schließt, weil der Wind zu laut ist ... Das sind die kleinen, ganz und gar unpathetischen Dinge, die einem ganz schön ans Herz gehen.

Wem wollen Sie es denn schenken – und warum?

Ich schenke das Buch meiner Schwiegermutter, die hat nämlich genau wie ich einen versteckten Hang zu leicht rührenden Liebesromanen. Wir würden das natürlich beide nie zugeben, und wenn wir Lesestoff austauschen, sagen wir immer: "Na ja, das ist jetzt auch ganz schön kitschig" oder "ordentlich was fürs Herz". Aber insgeheim wissen wir beide, dass so ein anständiges Melodrama genau das Benzin ist, das wir tanken. "Unsere Seelen bei Nacht" von Kent Haruf ist da auf jeden Fall das Richtige.

Kent Haruf: "Unsere Seelen bei Nacht"
Aus dem Amerikanischen von pociao
Diogenes, Zürich 2017
196 Seiten, 20 Euro

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