Kommentar

Warum rechtsextreme Parteien in Europa so erfolgreich sind

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Protest gegen Politiker aus dem rechten Lager: Demonstranten in Madrid tragen Masken von Marine Le Pen (Frankreich), Mateusz Morawiecki (Polen), Santiago Abascal (Spanien), Viktor Orban (Ungarn) und Giorgia Meloni (Italien).
Protest gegen Politiker aus dem rechten Lager: Demonstranten in Madrid tragen Masken von Marine Le Pen (Frankreich), Mateusz Morawiecki (Polen), Santiago Abascal (Spanien), Viktor Orban (Ungarn) und Giorgia Meloni (Italien). © picture alliance / AP / Paul White
Ein Kommentar von Claus Leggewie · 03.07.2024
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Europaweit erleben rechtsextreme Parteien eine Renaissance. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Ein wesentlicher Grund: Viele Menschen sind noch immer von den totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts fasziniert.
Kennt noch jemand den 2016 verstorbenen Historiker Ernst Nolte, der sich vor seinem Absturz zum Holocaust-Leugner mit dem Standardwerk „Der Faschismus in seiner Epoche“ großes Ansehen erworben hatte? Darin verglich er drei faschistische Strömungen, die um die Wende zum 20. Jahrhundert gegen die liberale wie gegen die sozialistische Bewegung aufstanden – im Deutschen Reich, in Italien und auch in Frankreich, wo die von dem katholischen Antisemiten Charles Maurras gegründete „Action française“ die Blaupause faschistischer Denkmuster lieferte.

Reaktionäre Hauptgewinner

Erlebt diese Epoche eine Renaissance? Die Wahlerfolge der ultrarechten und eben nicht gemäßigt-konservativen Parteien Rassemblement National, Fratelli d’Italia und Alternative für Deutschland bei den jüngsten Europawahlen lassen das befürchten. Doch es ist komplizierter. Man muss nicht gleich die Wiedergeburt das Faschismus wittern - aber interessant ist doch, dass die reaktionären Hauptgewinner gegen Liberale und Linke in den Nachfolgestaaten der 1945 geschlagenen Ur-Faschismen zu finden sind. Und man darf die Anrainer Österreich, Ungarn und Polen hinzuzählen, wo die Ultrarechte ebenfalls ein Drittel bis knapp die Hälfte der Wählerschaft anzog.
In Österreich überflügelten die „Freiheitlichen“, in den 1950er-Jahren als Sammelbecken kaum geläuterter Nazis gegründet, die konservativen Christdemokraten. In Polen bleibt trotz des Siegs der Liberal-Konservativen ein ultrarechter Block stark, ähnlich wie in Ungarn. Die dort mit Korruption und Rechtsbeugung regierende Fidesz Viktor Orbans malt die Wiederkehr eines Groß-Ungarn aus, das zwischen den beiden Weltkriegen der mit den Nazis kollaborierende Admiral Horthy verkörperte.
Giulia Meloni regiert unter dem Banner des postfaschistischen MSI, das 1945 ausdrücklich aus dem italienischen Verfassungsbogen ausgeschlossen wurde. In Frankreich wurden proeuropäische Christdemokraten und Gaullisten von den Le Pens an den Rand gedrängt, die italienische Christdemokratie ereilte das gleiche Schicksal durch Berlusconi, Salvini und Meloni. Die deutsche Union ist davon bisher verschont geblieben.
Es ist das Hauptanliegen der besagten Parteien, politische Strömungen und Denkformen zu rehabilitieren, die sich in der faschistischen Epoche auch als Kollaborationsregime gründlich kompromittiert hatten. Jean-Marie Le Pen, der Gründervater des Clans, der im Juli die Macht in der französischen Republik zu erobern ansteht, entstammt diesem Milieu. Er verharmloste den Holocaust zu einer „Fußnote der Geschichte“, genau wie der AfD-„Ehrenvorsitzende“ Alexander Gauland.
Die Ultrarechten verbindet nicht nur die kompromisslose Ablehnung von Migration, der unbändige Hass auf politische Eliten und die penetrante Leugnung ökologischer Risiken, es einen sie auch antiwestliche Aversionen, vor allem gegen die nach 1945 hervorgetretene Führungsmacht Vereinigte Staaten.
Und da bringt die deutsche Landkarte – tiefschwarz im Westen, fast durchgängig blau-braun im Osten – eine zweite Besonderheit zutage: den Rechtsruck entlang der einstigen Ost-West-Grenze. In den Erfolgen von AfD und BSW zeigt sich keine Nostalgie für den Kommunismus, wohl aber eine seltsam anmutende Sympathie für ein sowjetfreies Russland und letztlich die Bereitschaft, Wladimir Putins Gewaltakt gegen ein europäisches Land hinzunehmen. Diese Neigung ist ein generelles Markenzeichen des aktuellen Postfaschismus, mit der möglichen Ausnahme Italiens, die eventuell auch nur taktischer Natur ist.

Noltes Ansatz war überlegen

Ernst Noltes Ansatz war den klassischen Faschismusanalysen der Linken überlegen, die in den 1930er-Jahren genau wie heute verkürzt auf die These hinausliefen, wer vom Faschismus reden wolle, dürfe vom Kapitalismus nicht schweigen. Als würde vor allem materielle Ausbeutung und Not die Leute in Mussolinis und Hitlers Arme getrieben haben. Nolte betonte dagegen die fatale Faszination der totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts, die uns die Herausforderungen unseres Jahrhunderts übersehen lassen. Das Comeback der Postfaschisten zeigt, dass diese Ideologien offenbar wenig von ihrer Attraktivität verloren haben.

Claus Leggewie, Jahrgang 1950, ist Professor für Politikwissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Mitherausgeber der Blätter für deutsche und internationale Politik. Von 2007 bis 2017 war er Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen.

Der Politologe Claus Leggewie
© picture alliance / Frank May
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