Die digitale Zukunft des Theaters
Bisher beschränkt sich der Einsatz von digitaler Technik an Theatern auf die Steuerung von Licht oder Ton. Wo die Reise hingehen kann, wurde auf der Tagung des größten europäischen Theaternetzwerks ETC erforscht - VR-Brillen und Hacker-Attacken inklusive.
Die digitale Zukunft hat im Theater längst begonnen! Licht-, Ton- und Bühnentechnik werden ja schon lange mit Computern gesteuert. Aber so richtig verstanden, was digitale Technik sonst noch alles kann, hat man in der Theaterszene noch nicht, meint der britische Theatermacher Marcus Romer:
"Ich glaube wir müssen sehen, dass die digitalen Techniken, gerade an deutschen Theatern, immer noch hauptsächlich für die traditionellen Guckkastenbühnen verwendet werden: für tollen sound, Videoprojektionen und so. Aber sie kann viel mehr! Wir sollten die Technik nutzen, um aus den Theaterhäusern rauszugehen, andere Räume und Plätze bespielen, um ein neues Publikum anzusprechen und auch um in andere Länder gehen zu können. Wir haben dank der neuen Techniken jetzt viel bessere Möglichkeiten der Übersetzung und Übertitelung, das müssen wir nutzen, um viel mehr Leute zu erreichen - das ist wichtig!"
In Zukunft wird wohl immer seltener vor einer Theateraufführung durchgesagt "Bitte schalten Sie Ihre Mobiltelefone ab", sondern im Gegenteil "Bitte schalten Sie sie ein!".
Neue Spielformen und Erzählweisen entstehen
Denn Smartphones können wie ein Joystick als Steuerungssystem verwendet werden, um für sich als Zuschauer zum Beispiel verschiedene Kameraperspektiven auf das Bühnengeschehen auszuwählen. Um per WhatsApp gemeinsam mit den anderen Zuschauern auf die Handlung Einfluss zu nehmen oder mit Hilfe einer App und einer Spezialbrille die Bühne in einen dreidimensionalen Raum zu verwandeln. Oder aber es kann passieren, dass das eigene Smartphone während der Aufführung gehackt wird. So wie in dem Zürcher Theater-Projekt "Anonymous P." von Chris Kondek und Christiane Kühl:
"Das Ganze war eine Installation… Publikum zuerst Spiel mit Smartphones gespielt, damit die an waren, dann von Hackern ausgelesen, E-Mail-Adressen der Zuschauer, wo sie waren, welche webseiten angeguckt… Das war für viele eine interessante Erfahrung."
Das Theater-Projekt "Anonymous P." war auf der Tagung des größten europäischen Theaternetzwerks ETC eines der konkreten Beispiele, wie die digitale Technik heute im Theater eingesetzt werden kann, welche neuen Spielformen und Erzählweisen dadurch entstehen können. Über 100 Theatermacher aus ganz Europa trafen bei der Konferenz im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien auf Pioniere digitaler Technik.
Der Medienkünstler und Bühnengestalter Chris Ziegler präsentierte zum Beispiel auf der Tagung seine neuen Visionen von "intelligenten Bühnenräumen", die er zurzeit in den USA zusammen mit Computerspiele-Entwicklern und Filmtechnikern erarbeitet:
"Die digitalen Pixel werden physisch und fliegen um einen herum wenn ich mich da herein begebe, die Architektur wird flüssig… Ein Ereignisraum, der neue Qualität bringen könnte."
So manche Theatermacher trauten ihren Augen kaum, welche bisher ungeahnten Möglichkeiten sich da eröffnen. Manche waren aber auch skeptisch, ob es letztendlich nur technische Spielereien sind, die die uralte Erzähltradition auf dem Theater aber am Ende gar zerstören könnten. Denn was macht ein Theatererlebnis bisher aus? Dass ich mit vielen anderen Menschen in einem Raum sitze und live, ganz nah und intim, für uns von Schauspielern eine Geschichte gespielt wird. Und wie wird das in Zukunft sein? Setzt man sich eine VR-Brille auf und läuft in der Theaterkulisse herum auf der Suche nach den Schauspielern und einer Geschichte?
Spaß am Experiment haben
Björn Lengers hat so eine Brille samt Joystick auf die Tagung nach Karlsruhe mitgebracht. Der Virtual-Reality-Entwickler hat vor einem Jahr zusammen mit einem Kollegen in Berlin die "Cyberräuber" gegründet, um digitale Technik speziell mit und für Theatermacher zu entwickeln:
"Theater war schon immer gut, neue Techniken aufzunehmen. VR bringt ehrlich gesagt dem Theater jetzt noch nicht viel Neues. Ich bin in meiner eigenen Welt, narzisstische Sache, aber das ist nur ein Zwischenstadium."
Björn Lengers hat am Schauspiel Dortmund mit an der Inszenierung der "Borderline Prozession" gearbeitet, die jetzt zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. Da fährt permanent eine Kamera um das riesige Bühnenbild herum und projiziert die Bilder auf Bildschirme über dem Bühnenbild, eine gigantische Theater-, Musik-, Kunst-, Filminstallation. Bei der man nie weiß, ob die Schauspieler gerade wirklich im Raum stehen oder per VR hineingebeamt wurden. Der Zuschauer muss selbst auswählen wo er hinguckt und letztendlich die Geschichte zusammen setzen. So wie wir uns heute unsere Wirklichkeit konstruieren!
Die Herausforderungen der neuen technischen Möglichkeiten annehmen, Spaß am Experiment haben, das ist dem Schauspiel Dortmund dabei wichtig – aber dennoch immer kritisch hinterfragen, was man da tut, dafür plädiert der dortige Chefdramaturg Michael Eickhoff:
"Wenn der Stoff, wenn der Inhalt es hergibt, solch ein Mittel einzusetzen, dann gerne, aber wenn ich den Stoff dafür missbrauche, hinbiege, dann bitte sein lassen."