Kulturvermittler Mahmoud Hosseini Zad

"Wir im Iran haben alle ein Doppelleben"

Der iranische Autor und Übersetzer Mahmoud Hosseini Zad
Der iranische Übersetzer Mahmoud Hosseini Zad. Im Jahr 2013 erhielt er für seine kulturvermittelnde Arbeit die Goethe-Medaille. © imago / Thomas Müller
Moderation: Andrea Gerk |
Die iranischen Leser schätzen zeitgenössische deutsche Literatur. Deren Kenntnis verdanken sie dem Übersetzer Mahmoud Hosseini Zad. Seine eigenen Werke durften jahrelang nicht erscheinen. Im Gespräch erzählt er, wie sich sein Doppelleben unter der allgegenwärtigen Zensurbehörde anfühlt.
Der Übersetzer Mahmoud Hosseini Zad hat zeitgenössische deutsche Literatur in den Iran gebracht: mit Übertragungen etwa der Texte von Judith Hermann, Sibylle Berg, Ingo Schulze oder Peter Stamm ins Farsi. Der Erfolg der Bücher habe ihn selbst überrascht, meint Hosseini Zad im Deutschlandfunk Kultur. Er beschreibt gleichzeitig die nach wie vor große Macht der Zensurbehörde:
"Also wir haben immer, sowohl in der Schah-Zeit wie auch heute, eine Zensurbehörde. Und diese Zensurbehörde kontrolliert alles, was Kunst und Literatur heißt: Filme, Theater, selbst Ausstellungen, Literaturübersetzungen – alles muss durch diese Behörde. Bei Übersetzungen würde ich sagen, die sind schon etwas leichtfertiger, man kann schon besser durchkommen. Vielleicht deshalb, weil die Übersetzer selber aufpassen, was sie wählen."

Gibt es eine zaghafte Öffnung?

Ein Roman von ihm durfte zehn Jahre lang nicht erscheinen, sagt Hosseini Zad. Plötzlich sei dann im vergangenen Dezember die Genehmigung erteilt worden. Ist das als Zeichen einer vorsichtigen Öffnung unter der Regierung Rohani zu bewerten? Der Übersetzer sieht das eher skeptisch:

"Nein, tatsächlich nicht. (…) Wir haben alle ein Doppelleben, und das ist immer noch so. Wissen Sie, sagen wir, von der Bekleidung der Frauen oder dann Alkohol oder solche Sachen, die sind immer verboten. Und auch in dieser Hinsicht, wir haben schon alle ein Doppelleben."
Hosseini Zad ging auch auf die jüngsten Anschläge im Iran ein. Dort herrsche jetzt eine Haltung der "nationalen Einheit", gleichzeitig sei man schockiert über die Ereignisse:
"Wir haben uns gerühmt: Wir sind ein stabiles Land. Und jetzt auf einmal diese Anschläge. Und ich würde sagen, selbst die Regierung ist noch schockiert, obwohl sie versucht, sich lässig zu zeigen. Das hat man überhaupt nicht erwartet."

Das Interview im Wortlaut:
Andrea Gerk: Bertolt Brecht und Friedrich Dürrenmatt, aber auch Uwe Timm, Judith Hermann und Ingo Schulze hat Mahmoud Hosseini Zad in den Iran gebracht. Er ist der bedeutendste Übersetzer deutschsprachiger Literatur ins Farsi und wurde 2013 für seine Rolle als Kulturvermittler mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. Zurzeit ist Mahmoud Hosseini Zad Stipendiat am Literarischen Colloquium Berlin und heute bei uns zu Gast. Guten Tag, schön, dass Sie da sind!
Mahmoud Hosseini Zad: Guten Tag! Danke!
Gerk: Sie haben ja Anfang der 70er-Jahre in München Politikwissenschaft studiert. Wie sind Sie denn da zur deutschen Literatur gekommen? Kam das schon mit oder haben Sie das in München entdeckt?
Hosseini Zad: Nee, das kam schon mit. Ich habe schon als Schuljunge mich für Literatur interessiert. Und bei uns wurde und wird auch immer noch westliche Literatur übersetzt, und die kannte ich natürlich auch damals. Und dann habe ich Deutsch gelernt, und weil ich mich für Literatur interessierte, habe ich versucht, über Literatur Deutsch zu lernen. Das Interesse verstärkte sich sozusagen.
Gerk: Wenn Sie sagen, die deutsche Literatur spielt im Iran ohnehin eine Rolle – was sind denn das für Autoren, eher Klassiker, die man dann kennt oder was wird da so gelesen?
Hosseini Zad: Damals schon, damals schon eher Klassiker – Goethe, Schiller, Stefan Zweig sowieso, Kafka, 70er- und 80er-Jahre dann kommen Heinrich Böll und Günter Grass dazu. Aber die zeitgenössische Literatur, nein, eigentlich. Ich würde sagen, erst durch mich ist die zeitgenössische Literatur in den Iran gekommen.

Achte Auflage von Judith Hermanns Buch "Alice"

Gerk: Wie wird denn sowas aufgenommen, wie jetzt Judith Hermann, oder Sibylle Berg ist ja schon sehr spezifisch, wie kommt sowas im Iran an?
Hosseini Zad: Also überraschend mit Erfolg. Als ich angefangen habe, diese Autoren zu übersetzen, wurde ich auch von meinen Kollegen angesprochen. Viele haben gezweifelt, ach, warum machst du das, übersetze mal Günter Grass oder Thomas Mann und Brecht weiter. Ich sagte nein, die Literatur interessiert mich, also spricht mich wirklich an, und dann kam der Erfolg.
Trotz aller Bescheidenheit muss ich das sagen. Judith Hermann, Ingo Schulze, Peter Stamm, die werden gelesen. Also für iranische Verhältnisse, die Auflagen sind hoch. Judith Hermann zuletzt mit "Alice", das ist die achte Auflage in Teheran, das ist wirklich gut. Oder Peter Stamm, "Agnes", ist genauso achte Auflage, und die werden immer wieder verlegt.
Gerk: Müssen Sie denn da, wenn Sie solche Texte übersetzen, irgendwas beachten? Gibt es da irgendeine Art von Eingriffen staatlicherseits oder haben Sie da ganz freie Hand?
Hosseini Zad: Nein, nein, das ist wünschenswert, aber das ist nicht so. Also wir haben immer, sowohl in der Schah-Zeit wie auch heute, wir haben eine Zensurbehörde. Und diese Zensurbehörde kontrolliert alles, was Kunst und Literatur heißt: Filme, Theater, selbst Ausstellungen, Literaturübersetzungen – alles muss durch diese Behörde.
Bei Übersetzungen würde ich sagen, die sind schon etwas leichtfertiger, man kann schon besser durchkommen, vielleicht deshalb, weil die Übersetzer selber aufpassen, was sie wählen, weil verfasste Literatur ist schon strenger. Ein Roman von mir zum Beispiel, selbst geschrieben …
Gerk: Wollte ich Sie fragen, der durfte ja auch nicht erscheinen.
Hosseini Zad: Überhaupt nicht. Zehn Jahre. Dann im vergangenen Dezember kam plötzlich die Genehmigung und ist jetzt auf dem Markt.
Irans Präsident Hassan Rohani am 11. April 2017 in Teheran. 
Irans Präsident Hassan Rohani© imago stock&people

Gibt es eine Art Öffnung unter der Regierung Rohani?

Gerk: Hat denn das, dass Ihr Roman zum Beispiel erscheinen konnte, auch was mit der Regierung jetzt zu tun? Ist denn da tatsächlich so eine Art Öffnung spürbar durch die Regierung Rohani?
Hosseini Zad: Das schon, ja, das schon. Also ich kann schon ein Beispiel sagen: Der Verlag, bei dem ich meine Übersetzungen herausgebe, hat zum Beispiel 70 Bücher, die verboten waren in der Ahmadinedschad-Zeit …, aber meine letzte Information, die Zahl hat sich reduziert auf zehn ungefähr oder 13. Es ist eine gewisse Öffnung da, ja.
Gerk: Verändert sich da auch in Teheran im Kulturleben was, denn mir fällt gerade ein, wir hatten auch Ramita Navai hier, die dieses Buch "Stadt der Lügen" über Teheran geschrieben hat, wo sie sehr schön zeigt, wie eigentlich alle dort so eine Art Doppelleben führen und man das Lügen so zur Gewohnheit sich gemacht hat, weil man gar nicht anders sein Leben geregelt kriegt. Verändert sich sowas?
Hosseini Zad: Nein, tatsächlich nicht. Das ist auch eigentlich – was Sie sagen, das wusste ich nicht –, aber das ist auch der Titel eines Interviews von mir mit der "taz", wir haben alle ein Doppelleben, und das ist immer noch so. Wissen Sie, sagen wir, von der Bekleidung der Frauen oder dann Alkohol oder solche Sachen, die sind immer verboten, und auch in dieser Hinsicht, wir haben schon alle Doppelleben.

Strategien zum Umgang mit der iranischen Zensurbehörde

Gerk: Müssen sich da die Verleger zum Beispiel, wenn die bestimmte Titel aus dem Ausland gerne im Iran verlegen wollen, da auch so verstellen, was einfallen lassen? Gibt es da bestimmte Strategien, wie man diese Zensurbehörde auch mal umgehen kann?
Hosseini Zad: Das gibt es schon. Entweder übersetze ich ein Buch oder ich bekomme eine Bestellung vom Verlag. Ich übersetze das Werk, dann gebe ich das dem Verlag, und der Verlag korrigiert, editiert und so weiter, und der Verlag bringt das Buch zur Behörde.
Es gibt auch bestimmte Strategien, sagen wir, in Wortwahl oder Satzbildung. Man hat schon gelernt, wie man eigentlich alles umgeht. Aber natürlich müssen wir schon manchmal Passagen weglassen. Bei mir ist es passiert, dass ich ein Buch weggelassen habe, obwohl ich in der Mitte war. Ich habe gemerkt, das geht nicht. Also ich muss vieles weglassen. Das ist schade. Das habe ich weggelassen.
Gerk: Wer wählt denn überhaupt aus, was aus Deutschland auf den Markt kommt?
Hosseini Zad: Bis, sagen wir, vor ein paar Jahren, das war der Übersetzer selbst, durch Internet oder dann durch diese Teilnahme der iranischen Verleger an den Buchmessen wie Frankfurt zum Beispiel. Da hat man jetzt einen Blick darüber. Die Frankfurter Buchmesse hat jedes Jahr einen Stand an der Teheraner Buchmesse.
Es gibt eine sehr, sehr gute Beziehung zwischen beiden Buchmessen. Und da haben auch die Verleger jetzt Informationen über die Neuerscheinungen in Deutschland. Sie können vorschlagen, aber das ist immer noch der Übersetzer, der entscheidet, was, und dann schlägt der Verlag vor.
Iranische Polizeikräfte patrouillieren nach den Anschlägen in den Straßen von Teheran. 
Iranische Polizeikräfte patrouillieren nach den Anschlägen in den Straßen von Teheran. © imago / Erfan Kouchari

Lage nach den Anschlägen im Iran

Gerk: Jetzt haben wir ja in diesen Tagen wieder sehr viel aus dem Iran gehört, nach diesen Anschlägen in Teheran. Was haben Sie von Ihren Landsleuten gehört, wie ist die Stimmung da?
Hosseini Zad: Durch Facebook oder Instagram oder Twitter ist man natürlich auf dem Laufenden immer, aber das ist das, was man auch öffentlich hört. Die Iraner haben eine Eigenschaft, und ich finde, das ist wirklich eine gute Eigenschaft: Wenn eine Katastrophe kommt, ist die nationale Einheit da, sofort, links und rechts vereinen sich, aber natürlich gibt es auch schockierte Leute. Das ist überhaupt für mich auch hier:
Wir haben uns gerühmt: Wir sind ein stabiles Land. Und jetzt auf einmal diese Anschläge. Und ich würde sagen, selbst die Regierung ist noch schockiert, obwohl sie versucht, sich lässig zu zeigen. Das hat man überhaupt nicht erwartet.
Gerk: Jetzt bringen Sie unsere Literatur in den Iran als Übersetzer, aber wir wollen auch mal was an persischer Literatur hier lesen. Was würden Sie uns denn empfehlen, was sollen wir unbedingt lesen von iranischen Autoren?
Hosseini Zad: Was hier übersetzt wird, das ist leider diese deutsche Verlagspolitik oder Strategie, finde ich ja nicht so interessant. Sie wollen immer eine ganz bestimmte Art von Literatur haben.

"Politik muss in der iranischen Literatur eine Rolle spielen"

Gerk: Was für eine bestimmte Art?
Hosseini Zad: Das ist meistens eine Literatur, in der es um Unterdrückung geht und dann um, sagen wir, Verachtung der Frau oder Unterdrückung der Frau, der Kinder. Politik muss unbedingt in dieser Literatur eine Rolle spielen. Aber wir haben auch eine andere Art von Literatur, von jungen Autoren. Es gibt wirklich wunderbare Erzählungen da. Also lesen Sie die persische Literatur, aber ein Buch favorisiere ich nicht eigentlich, nein. Es gibt bessere Literatur bei uns.
Gerk: Vielleicht sollten Sie mal in umgekehrter Hinsicht übersetzen, dass Sie uns mal ein paar Bücher aus dem Persischen ins Deutsche übersetzen oder geht sowas nicht als Übersetzer?
Hosseini Zad: Ja, das ist auch ein Problem: mein literarischer Geschmack. Mein Roman ist jetzt bei einer Literaturagentur. Ich hoffe, dass der Roman einen Verlag (findet).
Gerk: Den können wir ja dann lesen.
Hosseini Zad: Können wir natürlich. Gebe ich Ihnen dann. Kann ich ein paar E-Mail schicken. Ja, gerne! Sehr gerne! Aber natürlich, das ist noch ein total vages Projekt. Vielleicht, ich arbeite, nicht selbst als Übersetzer, mit einem Kollegen, an einer Sammlung von Kurzgeschichten, von Erzählungen. Also wir haben bessere Erzählungen als Romane sozusagen.
Gerk: Mahmound Hosseini Zad, vielen Dank, dass Sie hierher zu uns gekommen sind!
Hosseini Zad: Es war mir eine Freude! Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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