Lucia Jay von Seldeneck (Text) & Florian Weiß (Illustration): Ich werde über diese Merkwürdigkeiten noch etwas drucken lassen. Tiermeldungen aus zwei Jahrtausenden
Kunstanstifter Verlag 2017
196 Seiten, 28 Euro
Vom beinlosen Paradiesvogel
Wie ein Pfeil in einem Storch half, den Vogelzug zu beweisen - das ist nur eine von 30 kuriosen Geschichten, die auf historischen Tiermeldungen beruhen. Ob Mönche, die Seidenraupen schmuggeln oder ein Paradiesvogel ohne Beine, als Leser kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr raus.
Über Jahrhunderte hinweg war das seltsame Verhalten einiger Vogelarten unerklärbar. Fest stand, dass es periodisch auftrat. Zur Winterzeit verschwanden die Tiere, im Frühling waren sie wieder da. Doch was geschah in der Zwischenzeit? Ob die Vögel Winterschlaf hielten? Oder sich gar in andere Wesen verwandelten, in Mäuse vielleicht, oder andere Vogelarten?
Die Wissenschaft entwarf Theorie um Theorie, um sich dem Phänomen des Vogelzugs zu nähern. Ein wichtiger Puzzlestein wurde 1822 der sogenannte Pfeilstorch: ein Weißstorch, der auf Schloss Bothmer nahe dem mecklenburgischen Klütz erlegt wurde und einen fremd aussehenden Pfeil im Körper stecken hatte. Dieser war aus tropischem Holz und stammte aus Ostafrika. Endlich gab es einen – im wahrsten Sinne des Wortes – stichfesten Beweis für den Vogelzug.
Prachtvoll gestalteter Band
Diese kuriose Geschichte ist eine von insgesamt 30 Tiererzählungen aus aller Welt, die Lucia Jay von Seldeneck gemeinsam mit dem Illustrator Florian Weiß in ihrem neuen Buch präsentiert. "Tiermeldungen aus zwei Jahrtausenden", wie der Untertitel lautet, liegen dem prachtvoll gestalteten Band zugrunde; entnommen aus Zeitungsmeldungen und Buchartikeln.
Sie handeln von epochalen Entdeckungen, wissenschaftlichen Durchbrüchen oder von kuriosen Begebenheiten. Diese Stories rund ums Tier wären schon allein ein Buch wert. Doch die Berliner Autorin stellt den tatsächlichen Geschehnissen eigens dazu verfasste Kurzgeschichten an die Seite, in denen sie die Handlungsfäden aus- und weiterspinnt.
Von Seldeneck erfindet beispielsweise einen Dialog zwischen den beiden Mönchen, die der Legende nach um 555 nach Christus Seidenraupen in ihren Pilgerstöcken aus China schmuggelten. Sie lässt Fischer im Auftrag des 124. japanischen Kaisers in den 1970er Jahren nach Medusen fahnden, oder Heinrich Gustav Flörke, den Professor des Akademischen Museums Rostock nächtens den ausgestopften Pfeilstorch untersuchen.
Was für Kuriosa!
Sämtliche Kurzgeschichten sind witzig und originell und die zugrunde liegenden Tiermeldungen intelligent ausgewählt, ob zum beinlosen Paradiesvogel, zum Hitler- oder Amikäfer. Was für Kuriosa!
Vollends zum Prachtband wird dieses Buch schließlich durch seine aufwändige Gestaltung. Das Hardcover im Großformat mit Leinenrücken präsentiert auf der jeweils linken Seite von Seldenecks Geschichte, während die jeweils rechte Seite aufzuklappen ist, um die dazu gehörende Tierillustration in Gänze zu sehen.
Florian Weiß hat die Medusen, Raupen, Affen, Elefanten und die übrigen tierischen Protagonisten mit einer umgebauten Tätowiermaschine aufs Papier gepünkelt. Durch diese ungewöhnliche Technik sind seine Porträts eine sehr reizvolle Mischung aus Detailgenauigkeit und verschwommener Kontur.
Florian Weiß hat die Medusen, Raupen, Affen, Elefanten und die übrigen tierischen Protagonisten mit einer umgebauten Tätowiermaschine aufs Papier gepünkelt. Durch diese ungewöhnliche Technik sind seine Porträts eine sehr reizvolle Mischung aus Detailgenauigkeit und verschwommener Kontur.
Zudem verortet der Illustrator jede Tiermeldung auf einer in der gleichen Manier gestalteten Weltkarte. Ein besonderes, optisches Vergnügen. So blättert man sich – als hätte man einen alten Atlanten in den Händen – durch diese eigentümliche Fauna und kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.