Leben mit dem Vulkan
Vor einem Jahr erschütterten Erdbeben El Hierro, die kleinste und am dünnsten besiedelte Insel der Kanaren. Wie kommen ihre Bewohner mit der unberechenbaren Naturgewalt zurecht?
Fischerboote liegen an der Mole. Das Meer glitzert. Und Familien baden an diesem Juninachmittag an dem kleinen Sandstrand des Fischerdorfs La Restinga auf der Kanareninsel El Hierro. Die Kinder springen ausgelassen von einem Lavafelsen ins Wasser, ihre Eltern sonnen sich, schnorcheln und baden.
"El agua está bueníssimo!" Das Wasser sei wirklich ausgezeichnet, sagt Sandra Padrón, als sie vom Schwimmen zurückkommt. Seit anderthalb Monaten, erzählt sie, sei das Strandleben wieder normal. Fast vergessen sei der Schrecken des letzten Jahres, als im Oktober direkt vor ihnen im Meer ein unterseeischer Vulkan zu brodeln begann.
Es war für Wissenschaftler und Medien eine Sensation, als zum ersten Mal seit 40 Jahren – seit der Explosion des Teneguía auf La Palma – auf den Kanaren wieder ein Vulkan ausbrach. Nachdem im Sommer drei Monate lang Erdbeben die Insel erschütterten, begann im Oktober knapp zwei Kilometer vor der Südspitze der Insel, das Meer zu sprudeln. Auf dem Meeresgrund trat Magma aus und Gase stiegen auf. Das Wasser über der Eruptionsstelle sah aus wie ein Whirlpool. Im Januar trieben dampfende Lavabrocken an der Wasseroberfläche. Und im Atlantik bildete sich vor der Küste ein riesiger braun-türkiser Teppich aus Asche und Gasen, fast so groß wie die kleine Insel El Hierro selbst. Der Fischerort La Restinga wurde vorübergehend evakuiert – bis die Wissenschaftler einschätzen konnten, wie stark der Vulkan wuchs und was genau er ausspuckte.
Im März gab es schließlich Entwarnung: Der Vulkan war zwar von etwa 350 Metern Tiefe bis auf 90 Meter unter die Wasseroberfläche gewachsen, schlief nun aber wieder ein. Die Vulkanologin Maria José Blanco, die mit einem Krisenteam auf der Atlantikinsel die Eruption überwachte, erklärte die aktive Phase des Vulkanausbruchs für beendet: "La erupción que comienzó el 10.10.2011 en la isla de El Hierro ha terminado."
Ruben Lopez lehnt an der Wand eines Restaurants vor La Restinga und blickt aufs Hafenbecken. Dort ist der Seenotrettungskreuzer vertäut, mit dem der Mitarbeiter des Vulkankrisenstabs oft zum Whirlpool hinausgefahren ist. Er sah dort tote Fische treiben und fischte riesige Lavabrocken aus dem Meer, doch nun sind nicht einmal mehr kleine Blasen im Wasser zu sehen. Das, was sich gerade hinter der Hafenmauer im Wasser in der Sonne spiegelt, sei nur eine Algenbank, erklärt er:
"Alles hat sich entspannt. Das Wasser ist jetzt wieder blau und sauber. Es tritt kein vulkanisches Material mehr aus, und auch keine Gase. Alles ist hier ist wieder ganz normal. Das Magma fließt nicht mehr. Nur die bereits ausgetretene, unterseeische Lava gibt noch geringe Mengen an Gasen, vor allem an CO2, ab. Darum sehen wir auf unseren Unterwasserkameras noch winzige Bläschen."
Noch im Januar fuhr der Telekommunikationsingenieur Ruben Lopez mit seinem Kollegen jeden Morgen durch Lavafelder in die Sperrzone der Insel, die Bucht von Tacorón, um die Konzentration an Gasen zu messen.
Inzwischen wird auch hier wieder normal gebadet – in von der Brandung geschützten Naturschwimmbecken. Riesige Atlantik-Brecher donnern an die aus Basalt und Lava geformte Küste. Wie ein poröser Schwamm sieht die Uferzone aus: durchlöchert, von Höhlen und Buchten. Möwen sitzen auf schroffen, rostroten Felsen und duschen in der Gischt. Im Meer bläst ein Buckelwal seine Fontäne in die Luft. Der Vulkan sorgte dafür, dass viel Plankton entstand, dadurch wurden erst Goldstriemen und Weißbrassen angelockt, die wiederum Nahrung für größere Fische waren. Da auf der Insel zurzeit noch ein Fischereistopp herrscht, erholen sich die Bestände schnell.
Ein paar Einheimische genießen das Spektakel und wandern mit Plastikeimern die Küste entlang, um bei Ebbe Lapas, Meeres-Napfschnecken, zu sammeln. Nur für zwei kleinere, weitgehend unbewohnte Zonen der Insel – "El Julan" und "La Dehesa" – steht die Ampel im Vulkanfrühwarnsystem noch auf Gelb: Das bedeutet "erhöhte Wachsamkeit" – aber keine Gefahr.
Ruben Lopez: "Überall auf der Insel El Hierro kann man völlig bedenkenlos umherlaufen. Man kann auch im Meer bedenkenlos tauchen und schnorcheln. Direkt an der Eruptionsstelle ist das noch verboten – aber davon abgesehen ist alles freigegeben. Auch die gesamte Küstenlinie. Ich selbst konnte noch nicht tauchen, ich hatte einfach keine Zeit. Aber ich mache es, sobald ich kann."
Momentan ist Ruben Lopez gut beschäftigt: Heute führt er einen kanarischen Politiker über die Insel, um ihm zu zeigen, wie das Vulkanfrühwarnsystem mit seinen zahlreichen Messstationen funktioniert, das das Spanische Nationale Geografische Institut auf der Insel installiert hat.
Ruben Lopez wartet die GPS-Stationen und Seismografen, die in Echtzeit ihre Daten nach Madrid schicken. Sie werden auf der Insel und in der spanischen Hauptstadt rund um die Uhr ausgewertet. Seit Ende Juni besonders intensiv. Denn da schien der Vulkan wieder zu erwachen: Etwa 2000 Erdbeben erschütterten die Insel innerhalb eines Monats, 300 von ihnen erreichten mehr als 2,7 Punkte auf der Richterskala. Die Insel ist aufgegangen wie ein Kuchen – an manchen Stellen sogar bis zu zehn Zentimeter gewachsen.
Doch die für die vulkanische Überwachung verantwortliche Vulkanologin betont: Sowohl die Deformation als auch die seismische Aktivität hätten sich wieder stark beruhigt. Die aktuellen Erdbeben liefen sogar noch sehr viel weiter entfernt und tiefer unter der Insel ab, als die vom vergangenen Jahr. Und da selbst damals kein Gebäude und keine Person zu Schaden gekommen waren, beruhigte María José Blanco die Öffentlichkeit.
Obwohl der Vulkanausbruch beendet ist, geht die vulkanische Aktivität weiter – die Magma-Bewegungen tief unter El Hierro gehören zum Inselleben dazu und sind Dank ausgefeiltem Überwachungssystem ungefährlich für die Einwohner.
Ruben Lopez: "Wir befinden uns jetzt in einem Moment der posteruptiven Phase, und es kann immer noch seismische Aktivitäten geben: Vorgestern erst gab es 17 Erdbeben auf der Insel – eines von ihnen wurde sogar gespürt. Aber das ist einfach das Magma, das sich in 20 Kilometern Tiefe unter der Insel verteilt – dabei entstehen auch Erdbeben. Es war ein sehr schwaches Beben. Wir glauben, es ist nicht weiter relevant, und die vulkanische Aktivität stabilisiert sich wieder in der Tiefe."
Janay Machín hat nichts von dem Beben gemerkt. Entspannt wandert sie 30 Kilometer weiter nördlich auf einem Bergrücken bei Los Llanillos im Golfotal einen alten Pfad entlang, vorbei an verwilderten Feigenbäumen. Der Nordostpassat bläst frische Meeresluft den Berghang herauf. Die 35-Jährige zeigt auf einen Gipfel. Das sei der Tanganasoga, sagt sie, der größte Vulkan der Insel, der hier für so viel Unruhe sorge:
"Obwohl wir auf einer Vulkaninsel leben, hat kaum einer bisher über den Vulkanismus nachgedacht. Hier nennt man die Vulkane einfach 'Berge'. Die Leute wissen nicht, was der Unterschied zwischen einem Berg und einem Vulkan ist, obwohl sie von Vulkanen umgeben sind."
Auch Janay Machín war sich dessen lange Zeit nicht bewusst, bis sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein Erdbeben spürte. Im letzten Sommer war das, sie telefonierte gerade mit einem Freund:
"Wir waren überrascht, wir haben das Beben gleichzeitig gespürt. Es fing mit einem leichten Trrr an. Dann haben sich die Tassen bewegt. Später haben wir erfahren, dass das 4,6 auf der Richterskala waren und man das Erdbeben sogar auf La Gomera und Teneriffa gespürt hat."
Janay Machín hat ein altes Steinhaus renoviert genau dort, wo die Erde am häufigsten bebt. Frontera heißt der Ort am Fuß eines imposanten Bergmassivs, genauer gesagt: in einem ehemaligen Vulkankrater, von dem einst die Hälfte ins Meer abgerutscht ist. 1.500 Meter hohe Felshänge ragen in den Himmel und formen einen Halbkreis um das fruchtbare Tal. Ananas- und Bananenplantagen reihen sich aneinander – viele Landwirte von El Hierro leben vom Anbau exotischer Früchte. Doch sie haben es schwer: Der Tourismus auf der Insel ist zeitweise um bis zu 70 Prozent eingebrochen, denn die Medienresonanz auf den Vulkanausbruch war heftig. Wie groß der wirtschaftliche Schaden ist, kann Veronica Montero, die Inselministerin für Tourismus, nicht sagen, doch es seien immer noch sehr viele, die wegblieben, vor allem aus Deutschland.
Veronica Montero: "Wirtschaftlich hat es uns sehr stark getroffen, denn wegen der reißerischen Medienberichterstattung sind deutlich weniger Menschen hergekommen. Viele Reisebüros, die mit dem Veranstalter TUI zusammenarbeiten, haben ihre Kunden auf andere Inseln umgeleitet, und sie tun das immer noch. Wir haben mit dem deutschen Konsul auf den Kanaren gesprochen und ihm die Insel gezeigt und klargestellt, dass es hier völlig ungefährlich ist – aber trotzdem bleiben die deutschen Touristen weg, weil hier angeblich eine Gefahr herrscht."
Aber auch die spanischen Touristen blieben weg, die sich wegen der Wirtschaftskrise weniger Reisen leisten können. Die größte Priorität, erzählt Veronica Montero, sei nun aber, das Transportproblem zu lösen. Denn wegen der fehlenden Touristen haben Flug- und Fährgesellschaften viele Verbindungen nach El Hierro gestrichen. Und so hat sie in ihrem Büro in der Inselhauptstadt Valverde nur kurz Zeit für ein Gespräch, dann fährt sie runter an die Küste, zum nahegelegenen Hafen von La Estaca, zum Demonstrieren. Die Touristenflaute hat auch sonst schon deutliche Folgen für El Hierros Wirtschaft.
Nahe der Inselhauptstadt im Norden von El Hierro, steht in einem Industriekomplex die Lagerhalle der Inselkooperative "Mercahierro". José Ramón Garcia schweißt getrocknete Feigen ein, um sie haltbar zu machen:
"Das sind Feigen von hier, aus El Pinar. Die sind rein ökologisch. In der Folie halten sie Jahre."
Noch vor fünf Jahren haben hier 17 Angestellte gearbeitet, jetzt sind es nur noch fünf. José Garcia deutet auf die fast leeren Regale.
"Sie waren früher voll. Jetzt haben wir nur noch wenige Produkte, weil wir einfach nichts verkaufen können. Wir können den Bauern nichts mehr abnehmen, weil wir es nicht loskriegen. Die Hotels stehen alle leer – an wen sollen wir da noch verkaufen? Unser Umsatz ist um mehr als die Hälfte eingebrochen, bei allen Produkten: Kartoffeln, Kürbisse, Bananen, Ananas, von allem haben wir deutlich weniger verkauft."
Auch Inmaculada Mendez spart sich inzwischen die halbstündige Fahrt in die Inselkooperative. Für ihr kleines Restaurant in Las Puntas, im Golfotal, macht sie zurzeit keine Großeinkäufe. An der gusseisernen Herdplatte ihrer Küche brät Inmaculada Mendez das Ziegenfleisch für die einzigen beiden Gäste. Drei Monate lang kam fast niemand zum Essen, sie bekam wie viele Kleinunternehmer und auch die Fischer 1000 Euro Unterstützung von der Inselregierung. Trotz Krise investierte sie in neue Tische und neue Kühlschränke:
"Nach und nach kommen mehr Leute. Sie bestellen auch mehr. Nicht viel, das können sie sich nicht leisten. Sie haben aber nicht vergessen, dass wir hier sind."
Das Schlimmste, glaubt sie, ist überstanden. Die Vorsitzende der Nachbarschaftsvereinigung von Las Puntas organisierte die Evakuierung ihres Dorfes. Doch inzwischen gehen ihre Töchter wieder normal zur Schule. Kein einziger Stein sei heruntergefallen, auf der ganzen Insel niemand seit Beginn der vulkanischen Aktivität verletzt worden:
"Ich glaube, wir Einwohner sind sehr selbstbewusst mit den Erdbeben und dem Vulkanausbruch umgegangen. Wir haben uns Mut gemacht, obwohl wir natürlich Angst hatten. Aber wir wussten auch: So schlimm ist es nicht."
Auch wenn das Geld knapp ist, feiern die Einwohner El Hierros gern. Zum Beispiel auf dem Rathausplatz der Inselhauptstadt Valverde, der sich dann in eine riesige Diskothek verwandelt. Ein großes, selbst genähtes Zelt ist über die Steinfliesen gespannt. Innen ist es pink angestrahlt und liebevoll mit Scherenschnitten wie ein orientalischer Tempel dekoriert. Eine lokale Musikgruppe spielt südamerikanische Rhythmen. Frauen defilieren in tief dekolletierten, engen Kleidern.
Menschentrauben schieben sich auf der Hauptstraße vor dem Cabildo, dem Sitz des Inselrats vorbei. Einen Drink in der Hand. So sehr der Vulkanausbruch auch heute noch die wirtschaftliche Situation auf der Kanareninsel belastet, so sehr bereichert er in diesen Tagen aber auch die Arbeit beispielsweise der Künstler. Wie etwa die von Julia Sisi, einer Malerin. Sie stellt gerade im Kulturzentrum von Valverde ihre Kunst aus, farbenfrohe Gemälde in Tusche und Acryl auf Leinwand, auf denen natürlich auch der Vulkan seinen Platz hat. Seit dem Ausbruch des Unterwasservulkans haben die Menschen auf El Hierro gelernt, sich mit einem aktiven Vulkan zu arrangieren, sagt Julia Sisi:
"Uns ist bewusst geworden, dass wir auf einer der jüngsten vulkanischen Kanareninseln leben – daran hatte vorher keiner gedacht. Das Gute ist: Jetzt haben wir Erfahrungen gesammelt und wissen, was zu tun ist. Und so kann die Insel als Beispiel für die anderen Kanareninseln oder andere Orte dienen, wie man mit einem Vulkanausbruch umgeht. Und wer weiß ... Der Vulkan ist von Tag zu Tag weniger aktiv. Vielleicht geht sein Feuer bald ganz aus. Das wäre gut."
"El agua está bueníssimo!" Das Wasser sei wirklich ausgezeichnet, sagt Sandra Padrón, als sie vom Schwimmen zurückkommt. Seit anderthalb Monaten, erzählt sie, sei das Strandleben wieder normal. Fast vergessen sei der Schrecken des letzten Jahres, als im Oktober direkt vor ihnen im Meer ein unterseeischer Vulkan zu brodeln begann.
Es war für Wissenschaftler und Medien eine Sensation, als zum ersten Mal seit 40 Jahren – seit der Explosion des Teneguía auf La Palma – auf den Kanaren wieder ein Vulkan ausbrach. Nachdem im Sommer drei Monate lang Erdbeben die Insel erschütterten, begann im Oktober knapp zwei Kilometer vor der Südspitze der Insel, das Meer zu sprudeln. Auf dem Meeresgrund trat Magma aus und Gase stiegen auf. Das Wasser über der Eruptionsstelle sah aus wie ein Whirlpool. Im Januar trieben dampfende Lavabrocken an der Wasseroberfläche. Und im Atlantik bildete sich vor der Küste ein riesiger braun-türkiser Teppich aus Asche und Gasen, fast so groß wie die kleine Insel El Hierro selbst. Der Fischerort La Restinga wurde vorübergehend evakuiert – bis die Wissenschaftler einschätzen konnten, wie stark der Vulkan wuchs und was genau er ausspuckte.
Im März gab es schließlich Entwarnung: Der Vulkan war zwar von etwa 350 Metern Tiefe bis auf 90 Meter unter die Wasseroberfläche gewachsen, schlief nun aber wieder ein. Die Vulkanologin Maria José Blanco, die mit einem Krisenteam auf der Atlantikinsel die Eruption überwachte, erklärte die aktive Phase des Vulkanausbruchs für beendet: "La erupción que comienzó el 10.10.2011 en la isla de El Hierro ha terminado."
Ruben Lopez lehnt an der Wand eines Restaurants vor La Restinga und blickt aufs Hafenbecken. Dort ist der Seenotrettungskreuzer vertäut, mit dem der Mitarbeiter des Vulkankrisenstabs oft zum Whirlpool hinausgefahren ist. Er sah dort tote Fische treiben und fischte riesige Lavabrocken aus dem Meer, doch nun sind nicht einmal mehr kleine Blasen im Wasser zu sehen. Das, was sich gerade hinter der Hafenmauer im Wasser in der Sonne spiegelt, sei nur eine Algenbank, erklärt er:
"Alles hat sich entspannt. Das Wasser ist jetzt wieder blau und sauber. Es tritt kein vulkanisches Material mehr aus, und auch keine Gase. Alles ist hier ist wieder ganz normal. Das Magma fließt nicht mehr. Nur die bereits ausgetretene, unterseeische Lava gibt noch geringe Mengen an Gasen, vor allem an CO2, ab. Darum sehen wir auf unseren Unterwasserkameras noch winzige Bläschen."
Noch im Januar fuhr der Telekommunikationsingenieur Ruben Lopez mit seinem Kollegen jeden Morgen durch Lavafelder in die Sperrzone der Insel, die Bucht von Tacorón, um die Konzentration an Gasen zu messen.
Inzwischen wird auch hier wieder normal gebadet – in von der Brandung geschützten Naturschwimmbecken. Riesige Atlantik-Brecher donnern an die aus Basalt und Lava geformte Küste. Wie ein poröser Schwamm sieht die Uferzone aus: durchlöchert, von Höhlen und Buchten. Möwen sitzen auf schroffen, rostroten Felsen und duschen in der Gischt. Im Meer bläst ein Buckelwal seine Fontäne in die Luft. Der Vulkan sorgte dafür, dass viel Plankton entstand, dadurch wurden erst Goldstriemen und Weißbrassen angelockt, die wiederum Nahrung für größere Fische waren. Da auf der Insel zurzeit noch ein Fischereistopp herrscht, erholen sich die Bestände schnell.
Ein paar Einheimische genießen das Spektakel und wandern mit Plastikeimern die Küste entlang, um bei Ebbe Lapas, Meeres-Napfschnecken, zu sammeln. Nur für zwei kleinere, weitgehend unbewohnte Zonen der Insel – "El Julan" und "La Dehesa" – steht die Ampel im Vulkanfrühwarnsystem noch auf Gelb: Das bedeutet "erhöhte Wachsamkeit" – aber keine Gefahr.
Ruben Lopez: "Überall auf der Insel El Hierro kann man völlig bedenkenlos umherlaufen. Man kann auch im Meer bedenkenlos tauchen und schnorcheln. Direkt an der Eruptionsstelle ist das noch verboten – aber davon abgesehen ist alles freigegeben. Auch die gesamte Küstenlinie. Ich selbst konnte noch nicht tauchen, ich hatte einfach keine Zeit. Aber ich mache es, sobald ich kann."
Momentan ist Ruben Lopez gut beschäftigt: Heute führt er einen kanarischen Politiker über die Insel, um ihm zu zeigen, wie das Vulkanfrühwarnsystem mit seinen zahlreichen Messstationen funktioniert, das das Spanische Nationale Geografische Institut auf der Insel installiert hat.
Ruben Lopez wartet die GPS-Stationen und Seismografen, die in Echtzeit ihre Daten nach Madrid schicken. Sie werden auf der Insel und in der spanischen Hauptstadt rund um die Uhr ausgewertet. Seit Ende Juni besonders intensiv. Denn da schien der Vulkan wieder zu erwachen: Etwa 2000 Erdbeben erschütterten die Insel innerhalb eines Monats, 300 von ihnen erreichten mehr als 2,7 Punkte auf der Richterskala. Die Insel ist aufgegangen wie ein Kuchen – an manchen Stellen sogar bis zu zehn Zentimeter gewachsen.
Doch die für die vulkanische Überwachung verantwortliche Vulkanologin betont: Sowohl die Deformation als auch die seismische Aktivität hätten sich wieder stark beruhigt. Die aktuellen Erdbeben liefen sogar noch sehr viel weiter entfernt und tiefer unter der Insel ab, als die vom vergangenen Jahr. Und da selbst damals kein Gebäude und keine Person zu Schaden gekommen waren, beruhigte María José Blanco die Öffentlichkeit.
Obwohl der Vulkanausbruch beendet ist, geht die vulkanische Aktivität weiter – die Magma-Bewegungen tief unter El Hierro gehören zum Inselleben dazu und sind Dank ausgefeiltem Überwachungssystem ungefährlich für die Einwohner.
Ruben Lopez: "Wir befinden uns jetzt in einem Moment der posteruptiven Phase, und es kann immer noch seismische Aktivitäten geben: Vorgestern erst gab es 17 Erdbeben auf der Insel – eines von ihnen wurde sogar gespürt. Aber das ist einfach das Magma, das sich in 20 Kilometern Tiefe unter der Insel verteilt – dabei entstehen auch Erdbeben. Es war ein sehr schwaches Beben. Wir glauben, es ist nicht weiter relevant, und die vulkanische Aktivität stabilisiert sich wieder in der Tiefe."
Janay Machín hat nichts von dem Beben gemerkt. Entspannt wandert sie 30 Kilometer weiter nördlich auf einem Bergrücken bei Los Llanillos im Golfotal einen alten Pfad entlang, vorbei an verwilderten Feigenbäumen. Der Nordostpassat bläst frische Meeresluft den Berghang herauf. Die 35-Jährige zeigt auf einen Gipfel. Das sei der Tanganasoga, sagt sie, der größte Vulkan der Insel, der hier für so viel Unruhe sorge:
"Obwohl wir auf einer Vulkaninsel leben, hat kaum einer bisher über den Vulkanismus nachgedacht. Hier nennt man die Vulkane einfach 'Berge'. Die Leute wissen nicht, was der Unterschied zwischen einem Berg und einem Vulkan ist, obwohl sie von Vulkanen umgeben sind."
Auch Janay Machín war sich dessen lange Zeit nicht bewusst, bis sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein Erdbeben spürte. Im letzten Sommer war das, sie telefonierte gerade mit einem Freund:
"Wir waren überrascht, wir haben das Beben gleichzeitig gespürt. Es fing mit einem leichten Trrr an. Dann haben sich die Tassen bewegt. Später haben wir erfahren, dass das 4,6 auf der Richterskala waren und man das Erdbeben sogar auf La Gomera und Teneriffa gespürt hat."
Janay Machín hat ein altes Steinhaus renoviert genau dort, wo die Erde am häufigsten bebt. Frontera heißt der Ort am Fuß eines imposanten Bergmassivs, genauer gesagt: in einem ehemaligen Vulkankrater, von dem einst die Hälfte ins Meer abgerutscht ist. 1.500 Meter hohe Felshänge ragen in den Himmel und formen einen Halbkreis um das fruchtbare Tal. Ananas- und Bananenplantagen reihen sich aneinander – viele Landwirte von El Hierro leben vom Anbau exotischer Früchte. Doch sie haben es schwer: Der Tourismus auf der Insel ist zeitweise um bis zu 70 Prozent eingebrochen, denn die Medienresonanz auf den Vulkanausbruch war heftig. Wie groß der wirtschaftliche Schaden ist, kann Veronica Montero, die Inselministerin für Tourismus, nicht sagen, doch es seien immer noch sehr viele, die wegblieben, vor allem aus Deutschland.
Veronica Montero: "Wirtschaftlich hat es uns sehr stark getroffen, denn wegen der reißerischen Medienberichterstattung sind deutlich weniger Menschen hergekommen. Viele Reisebüros, die mit dem Veranstalter TUI zusammenarbeiten, haben ihre Kunden auf andere Inseln umgeleitet, und sie tun das immer noch. Wir haben mit dem deutschen Konsul auf den Kanaren gesprochen und ihm die Insel gezeigt und klargestellt, dass es hier völlig ungefährlich ist – aber trotzdem bleiben die deutschen Touristen weg, weil hier angeblich eine Gefahr herrscht."
Aber auch die spanischen Touristen blieben weg, die sich wegen der Wirtschaftskrise weniger Reisen leisten können. Die größte Priorität, erzählt Veronica Montero, sei nun aber, das Transportproblem zu lösen. Denn wegen der fehlenden Touristen haben Flug- und Fährgesellschaften viele Verbindungen nach El Hierro gestrichen. Und so hat sie in ihrem Büro in der Inselhauptstadt Valverde nur kurz Zeit für ein Gespräch, dann fährt sie runter an die Küste, zum nahegelegenen Hafen von La Estaca, zum Demonstrieren. Die Touristenflaute hat auch sonst schon deutliche Folgen für El Hierros Wirtschaft.
Nahe der Inselhauptstadt im Norden von El Hierro, steht in einem Industriekomplex die Lagerhalle der Inselkooperative "Mercahierro". José Ramón Garcia schweißt getrocknete Feigen ein, um sie haltbar zu machen:
"Das sind Feigen von hier, aus El Pinar. Die sind rein ökologisch. In der Folie halten sie Jahre."
Noch vor fünf Jahren haben hier 17 Angestellte gearbeitet, jetzt sind es nur noch fünf. José Garcia deutet auf die fast leeren Regale.
"Sie waren früher voll. Jetzt haben wir nur noch wenige Produkte, weil wir einfach nichts verkaufen können. Wir können den Bauern nichts mehr abnehmen, weil wir es nicht loskriegen. Die Hotels stehen alle leer – an wen sollen wir da noch verkaufen? Unser Umsatz ist um mehr als die Hälfte eingebrochen, bei allen Produkten: Kartoffeln, Kürbisse, Bananen, Ananas, von allem haben wir deutlich weniger verkauft."
Auch Inmaculada Mendez spart sich inzwischen die halbstündige Fahrt in die Inselkooperative. Für ihr kleines Restaurant in Las Puntas, im Golfotal, macht sie zurzeit keine Großeinkäufe. An der gusseisernen Herdplatte ihrer Küche brät Inmaculada Mendez das Ziegenfleisch für die einzigen beiden Gäste. Drei Monate lang kam fast niemand zum Essen, sie bekam wie viele Kleinunternehmer und auch die Fischer 1000 Euro Unterstützung von der Inselregierung. Trotz Krise investierte sie in neue Tische und neue Kühlschränke:
"Nach und nach kommen mehr Leute. Sie bestellen auch mehr. Nicht viel, das können sie sich nicht leisten. Sie haben aber nicht vergessen, dass wir hier sind."
Das Schlimmste, glaubt sie, ist überstanden. Die Vorsitzende der Nachbarschaftsvereinigung von Las Puntas organisierte die Evakuierung ihres Dorfes. Doch inzwischen gehen ihre Töchter wieder normal zur Schule. Kein einziger Stein sei heruntergefallen, auf der ganzen Insel niemand seit Beginn der vulkanischen Aktivität verletzt worden:
"Ich glaube, wir Einwohner sind sehr selbstbewusst mit den Erdbeben und dem Vulkanausbruch umgegangen. Wir haben uns Mut gemacht, obwohl wir natürlich Angst hatten. Aber wir wussten auch: So schlimm ist es nicht."
Auch wenn das Geld knapp ist, feiern die Einwohner El Hierros gern. Zum Beispiel auf dem Rathausplatz der Inselhauptstadt Valverde, der sich dann in eine riesige Diskothek verwandelt. Ein großes, selbst genähtes Zelt ist über die Steinfliesen gespannt. Innen ist es pink angestrahlt und liebevoll mit Scherenschnitten wie ein orientalischer Tempel dekoriert. Eine lokale Musikgruppe spielt südamerikanische Rhythmen. Frauen defilieren in tief dekolletierten, engen Kleidern.
Menschentrauben schieben sich auf der Hauptstraße vor dem Cabildo, dem Sitz des Inselrats vorbei. Einen Drink in der Hand. So sehr der Vulkanausbruch auch heute noch die wirtschaftliche Situation auf der Kanareninsel belastet, so sehr bereichert er in diesen Tagen aber auch die Arbeit beispielsweise der Künstler. Wie etwa die von Julia Sisi, einer Malerin. Sie stellt gerade im Kulturzentrum von Valverde ihre Kunst aus, farbenfrohe Gemälde in Tusche und Acryl auf Leinwand, auf denen natürlich auch der Vulkan seinen Platz hat. Seit dem Ausbruch des Unterwasservulkans haben die Menschen auf El Hierro gelernt, sich mit einem aktiven Vulkan zu arrangieren, sagt Julia Sisi:
"Uns ist bewusst geworden, dass wir auf einer der jüngsten vulkanischen Kanareninseln leben – daran hatte vorher keiner gedacht. Das Gute ist: Jetzt haben wir Erfahrungen gesammelt und wissen, was zu tun ist. Und so kann die Insel als Beispiel für die anderen Kanareninseln oder andere Orte dienen, wie man mit einem Vulkanausbruch umgeht. Und wer weiß ... Der Vulkan ist von Tag zu Tag weniger aktiv. Vielleicht geht sein Feuer bald ganz aus. Das wäre gut."