Trotz Wohnungsnot darf hier niemand einziehen
Eine 200.000 Euro teure Mauer zwischen einem Flüchtlingsheim und einem Wohngebiet sorgte für einem Jahr für heftige Kritik in München. Für Flüchtlinge wird das Gebäude nun doch nicht gebraucht. Weil niemand anderes einziehen darf, steht es leer.
In einem grauen Industriegebiet in Neuperlach, im Osten Münchens, steht Deutschlands wohl berühmteste Lärmschutzwand. Zwischen einem Flüchtlingsheim und einer Eigenheimsiedlung. Das, sagt Guido Bucholtz,
"... ist die sogenannte ‚refugee wall‘, also die Mauer, die vier Meter hohe, die damals aufgrund eines Gerichtsprozesses und einer Einigung erstellt worden ist."
Guido Bucholtz geht am Fuß der Mauer entlang. "Build bridges, not walls!"– "Baue Brücken, keine Mauern" haben Graffitisprayer auf die grauen Steinquader gesprüht, die im Amtsdeutsch Gabionen heißen. Bucholtz, Mitglied im Bezirksausschuss Perlach der Stadt München, bezeichnet das Bauwerk als "ein Monster". Aber:
"Die Mauer steht. Ich werd‘ sie nicht wegbekommen, das ist eine Gabionenwand. Dagegen kann ich nichts tun, ich werde jetzt keine Zeit mehr investieren."
"Checkpoint Ali"
Vor einem Jahr hat Bucholtz viel Zeit investiert. Er hat ein Drohnenvideo der Perlacher Lärmschutzwand ins Internet gestellt und sie mit der Berliner Mauer verglichen. Die Perlacher Mauer sei sogar noch 40 Zentimeter höher.
Daraufhin berichteten Journalisten weltweit über die "Munich Wall". Tenor: Deutschland sei doch nicht so flüchtlingsfreundlich, wie es die Willkommenskultur Glauben mache. Ein Münchner Künstlerkollektiv errichtete an der Mauer einen "Checkpoint Ali" und kritisierte, als SED-Wachtposten verkleidet, die Anwohner:
"Das ist das falsche Bild, das aus München rausgehen soll: dass eine Schutzwand gebaut wird. Die sollen integriert werden. Das ist das dümmste Bild, das man sich vorstellen kann."
"Das ist ein Unding, eine Frechheit. Das ist Einsperren von jungen Leuten. Wir sind in einer freien Welt und werden eingesperrt."
Leerstand trotz Wohnungsnot in München
Allerdings sperrt die Perlacher Mauer das Flüchtlingswohnheim nicht ein. Sie grenzt das Gebäude nur an einer Seite ab – in 200 Meter Entfernung. Der Münchner SPD-Stadtrat Alexander Reissl ärgerte sich deshalb über den Mauer-Vergleich:
"Eigentlich ist es geschmacklos und peinlich. Es ist vollkommen unangemessen, einen Bezug zur Berliner Mauer herzustellen. Dort wurde nämlich gestorben. Dort hat man nicht auf die andere Seite gehen können. Wenn man das versucht hat, hat man sein Leben riskiert."
In München-Neuperlach dagegen können sich die Flüchtlinge frei bewegen. Könnten. Wenn es denn welche gäbe. Denn hier beginnt der eigentliche Skandal: Seit einem Jahr steht das neu errichtete, mehrere Millionen Euro teure Asylbewerberheim vollkommen leer. 160 Menschen könnten hier in modernen Zimmern wohnen. Flüchtlinge – oder auch Studenten, die auf dem chronisch überlasteten Münchner Mietmarkt keine bezahlbare Bleibe finden, sagt Guido Bucholtz.
"Klar, das wäre ein bürokratischer Akt. Man müsste die Baugenehmigung neu einholen. Diese Anlage ist konzipiert für zehn Jahre. Rein von der Nutzung her ist alles besser als Leerstand."
Ausnahmegenehmigung gibt es nicht
Die Stadt München will sich vor dem Mikrofon nicht zum Leerstand äußern. Sie teilt schriftlich mit, dass im vergangenen Jahr weniger Flüchtlinge als erwartet nach München gekommen seien. Man brauche das Haus derzeit nicht. Studenten oder andere Mieter könnten trotzdem nicht einziehen, weil das Heim in einem Industriegebiet liege. Dort gebe es für Wohnzwecke eine Ausnahmegenehmigung – aber nur für Flüchtlinge.
Heute, am 9. November, trifft sich ein Stadtratausschuss, um über die Zukunft des Heims zu beraten. Egal, was dabei herauskommt – die Mauer wird bleiben. Die Anwohner dahinter geben nur noch ungern Interviews, seit Unbekannte ihre Häuserwände mit Hassparolen beschmiert haben.
"Also die Eskalation hat jetzt schon eine Grenze überschritten dahingehend, dass es zu Sachbeschädigung gekommen ist. Es wird kriminell, es ist radikaler geworden. Das ist schade. Die Stimmung ist höchst aufgeheizt."
200.000 Euro Baukosten für die Mauer
Alle dreißig Minuten fährt ein Wachdienst an der Mauer vorbei, um sicherzustellen, dass niemand auf das menschenleere Areal klettert. Kosten pro Monat: rund 2.000 Euro. Die Mauer selbst hat rund 200.000 Euro gekostet. Nein, man kann nicht sagen, dass hier alles glatt gelaufen wäre. Guido Bucholtz vom Bezirksausschuss Perlach hofft wenigstens, dass hier in nächster Zeit mehr Menschen leben – auf beiden Seiten der Mauer.
"Ich denke, das wäre relativ schnell möglich, wenn man es denn will. Wenn die Stadt sagt: ‚Packen wir’s an, ab die Post!" Ich denk‘, das wär‘ gut möglich."