Liao Yiwu: Drei wertlose Visa und ein toter Reisepass. Meine lange Flucht aus China
Aus dem Chinesischen übersetzt von Brigitte Höhenrieder und Hans Peter Hoffmann
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018
522 Seiten, 26 Euro
Geschichte einer langen Flucht aus China
Flucht vor der Polizei an einem Ofenrohr die Hauswand herunter, eine nächtliche Busfahrt neben einem Wandermönch mit Käsefüßen und ständige Kämpfe mit Halsabschneidern: Liao Yiwu erzählt von seiner abenteuerlichen Flucht aus China.
Es ist gar nicht so leicht, aus China rauszukommen: Für seine Kritik am Massaker am Platz des Himmlischen Friedens wurde der Autor Liao Yiwu 1992 zu vier Jahren Gefängnis verurteilt und fortan als "feindliches Element" eingestuft.
Immer wieder bemühte er sich später um Ausreisedokumente, doch alles, was er bekam, waren "Drei wertlose Visa und ein toter Reisepass". Von seinen abenteuerlichen Ausreiseversuchen erzählt er in seinem neuen Buch.
Einige erfolglose Ausreiseversuche
Vor allem Vietnam lockt den Südchinesen, denn in der Hitze am Grenzfluss, wo sich leicht "ein großer Teebecher Dreckwasser" aus einem verschwitzten T-Shirt wringen lässt, kann man auf schläfrige Grenzer und geschäftstüchtige Schlepper hoffen. Mehrfach versucht Liao es, doch weit kommt er nie. 2010 wird ihm erstmals eine Reise zum Internationalen Literaturfestival Berlin genehmigt, so er denn zu politischen Themen im Ausland schweige.
Das sagt er den chinesischen Behörden zu, will er doch in die Heimat zurückkehren. 2011 aber ist für ihn das Leben in China keine Option mehr: Über Vietnam gelingt Liao Yiwu die endgültige Flucht nach Berlin, wo er bis heute lebt. Von all dem erzählt er in seinem neuen autobiografischen Werk.
Ein Wimmelbuch mit Hang zum "Namedropping"
Damit fügt er, der sich selbst einen "Erinnerungsarbeiter chinesischer Sprache" nennt, seinem bereits sehr umfangreichen Werk einen weiteren dicken Band hinzu. Einerseits vervollständigt Liao damit seine persönliche Lebensgeschichte, von der wir aus seinen Büchern bereits einiges über seine Familie und seine Haft wissen.
Andererseits knüpft er an seine zahlreichen Interviews mit einfachen Chinesen an, denn auch im neuen Buch begegnet er einer Vielzahl von Menschen – Freunden, Verlegern, Übersetzern, Agenten und Exilanten –, deren Charakterzüge oder sogar Lebensläufe er kurz umreißt.
So ist ein Wimmelbuch mit Hang zum "Namedropping" entstanden, das auch einem mit China vertrauten Leser einiges abverlangt. Interessanter sind dem gegenüber die erzählerischen Passagen, die oft viel furiosen Witz haben: etwa Liaos burleske Flucht vor der Polizei an einem Ofenrohr die Hauswand herunter, eine nächtliche Busfahrt neben einem Wandermönch mit Käsefüßen oder die apokalyptische Szene, in der sich ein Parteikader auf einem kaiserlichen Drachenbett von Prostituierten bedienen lässt.
Politisch erhellend und häufig sehr komisch
Liao schreibt sich durch vielfältige Lektüre im Laufe des Buches, regelmäßige Wahrsagerei mithilfe des "I Ging" und fiktiven Gesprächen mit Konfuzius bewusst in die chinesische Literaturgeschichte ein.
Vor allem aber müssen seine zahllosen Irrfahrten als vom turbulenten Klassiker "Die Reise in den Westen" inspiriert gelesen werden: Auch Liaos Reise wird schließlich ständig behindert, sei es von Polizisten, Halsabschneidern, Prostituierten oder auch mal von einem Affen.
Sein neues Buch ist für deutsche Leser streckenweise politisch erhellend und häufig sehr komisch. Oft aber ist es passagenweise auch sehr spezialistisch und darin vor allem interessant für Sinologen, Exilchinesen und sicherlich auch für den einen oder anderen Geheimdienst.