Luiz Ruffato: "Das Buch der Unmöglichkeiten". Roman.
Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler
Verlag Assoziation A, Berlin 2019
146 Seiten, 18,50 Euro
Vom Überleben in der Megacity Sao Paulo
05:22 Minuten
Brutal, poetisch, ohne jegliche Sozialromantik: Luiz Ruffatos „Buch der Unmöglichkeiten“ erzählt Stadtgeschichten aus Sao Paulo. Im Mittelpunkt stehen die Aufstiegswilligen, die allesamt an den Verhältnissen scheitern.
Als im Januar mit Jair Bolsonaro ein bekennender Rechtsextremer und Liebäugler der Diktatur neuer brasilianischer Präsident wurde, schienen im Ausland viele überrascht. Dabei hätte man es besser (voraus-)wissen können – nicht zuletzt dank eines Autors, der bereits 2013, in einer vielbeachteten Rede zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse die gängigen Brasilien-Mythen zerpflückt hat.
Nun ist Luiz Ruffato, 1961 im vernachlässigten Bundesstaat Minais Gerais geboren, jedoch mehr als ein Debattenredner. Als inzwischen vielfach preisgekrönter Romancier ist er nicht einmal ein Vertreter jenes stilistisch oft altbackenen "sozialen Realismus", dessen gesellschaftskritischen Hervorbringungen man sich eher aus Pflichtgefühl denn aus Leselust unterzieht.
Sao Paulo der sechziger bis achtziger Jahre
Ruffatos fünfbändiger Roman-Zyklus "Vorläufige Hölle", dessen vierter Band unter dem Titel "Das Buch der Unmöglichkeiten" soeben in deutscher Übersetzung erschienen ist, wagt dennoch den häufig als obsolet bezeichneten Rundumblick, die panoramahafte Perspektive. Hatten die Geschichten der vorherigen drei Bände das Leben und Überleben in den ländlichen Regionen Brasiliens und in Ruffatos Geburtsstadt Cataguases thematisiert, werden die Leser nunmehr in die Mégapole Sao Paulo der sechziger bis achtziger Jahre geführt.
Wobei geführt eine gelinde Untertreibung ist: Ruffato nämlich – geschult an James Joyce und John Dos Passos' Manhattan Transfer – jagt, treibt und stößt in diese Irrsinnswelt aus Beton und Blechhütten, Prestigewahn und Prostitution, Helicopterlandeplätzen und Abfallhalden. Seine zahlreichen aufstiegswilligen, doch an der neofeudalen Gesellschaftsstruktur fast immer scheiternden Protagonisten tauchen schlaglichtartig auf und ab, denn betuliche Epik wird hier nicht geboten.
Glücksversprechen stößt an Hautfarbengrenzen
Couragierte Frauen wie Natália und Nelly oder verzweifelte Glückschmiede wie Dimas aber bleiben ab nun mit ihren fragmentierten Schicksalen auf immer im Gedächtnis. Nicht zuletzt dank eines Stils, der mitten im Satz Ausrufe- und Fragezeichen wagt oder wörtliche Rede inmitten dramatischer Ereignisse fettgedruckt setzt, dabei jedoch nie in die Falle hermetischer Kapricen gerät.
Denn wie sinnlich ist all das beschrieben in diesen tropischen short cuts mit ethischem Kompass, doch ohne sozialromantischen Moralismus! Eines jedoch verbindet die Schicksale von Ruffatos Protagonisten: So sehr sie sich auch strecken und um Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ringen oder für ihre Kinder nach einer Schule oder Ausbildungsmöglichkeiten suchen – immer wieder stoßen sie an soziale oder Hautfarbengrenzen. Die riesige pulsierende Stadt hält das Glücksversprechen, das mit ihr assoziiert wird, nicht ein.
Literarisch intensiv und hervorragend übersetzt
Aber zumindest hier im Buch ist dieser Sieg über das Individuum nicht total: Statt einer anonymen, anatomisierten Masse werden einzelne Menschen sichtbar, unverwechselbar in ihrem Charakter, ja selbst ihrem mitunter noch ländlich geprägten Duktus, der in Michael Keglers hervorragender Übersetzung auch im Deutschen seine Originalität bewahrt.
Dass nicht wenige dieser in Sao Paulo Gestrandeten nun ihrerseits rassistische Vorurteile pflegen, sich gegen ihre unmittelbaren Nachbarn im Elendsviertel wenden, auf "die starke Hand" der Militärs hoffen oder sich von Telenovelas berieseln und manipulieren lassen, wird freilich im "Buch der Unmöglichkreiten" ebenso wenig verschwiegen.
Und auch dies sei bemerkt: "Das Buch der Unmöglichkeiten" ist ein Kurzroman mit gerade einmal 146 Seiten. Literarische Intensität braucht keine Langatmigkeit.
Und auch dies sei bemerkt: "Das Buch der Unmöglichkeiten" ist ein Kurzroman mit gerade einmal 146 Seiten. Literarische Intensität braucht keine Langatmigkeit.